MieterEcho

MieterEcho 333/April 2009

Quadrat BERLIN

Unbeliebt und überschätzt

Finanzsenator Thilo Sarrazin wechselt zum Vorstand der Deutschen Bundesbank – Zeit für eine kleine Bilanz über sein Wirken in Berlin

Benedict Ugarte Chacón

Thilo Sarrazin (SPD) ist oft als pflichtbewusster Staatsdiener dargestellt worden, der einsam und tapfer den „Sparkommissar“ gab, der weise und geradlinig seine schützende Hand über den klammen Landeshaushalt hielt. An diesem Bild hat Sarrazin selbst erheblich mitgewirkt. Denn auch wenn er sich hin und wieder mit seinen unverschämten Äußerungen unbeliebt machte, handelte er diesbezüglich äußerst geschickt. Sarrazin machte es sich zunutze, dass er von vielen überschätzt und deshalb für einen guten Finanzpolitiker gehalten wurde. Dabei ist die Bilanz seines Wirkens durchwachsen, teilweise sogar skandalös.

Die berufliche Laufbahn von Thilo Sarrazin zog sich seit den 70er Jahren durch verschiedene hintere Ränge von Ministerialbürokratien, bis er 1997 zur Treuhand Liegenschaftsgesellschaft wechselte, also zu jener bundeseigenen Gesellschaft, die für die Privatisierung von Wohnungen, Betriebsflächen und sonstigen Immobilien in den neuen Bundesländern zu sorgen hatte. Später wurde er Mitglied im Vorstand der Deutschen Bahn Netz AG, aus welchem er 2001 im Streit ausscheiden musste. Danach bewarb er sich in Berlin als BVG-Vorstandsvorsitzender. Diesen Job trauten ihm die Verantwortlichen allerdings nicht zu. Zu einem anderen lukrativen Posten reichte es wenig später aber doch: Im Januar 2002 berief der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ihn zum Finanzsenator. Sarrazins Bahn-Vertrag sollte eigentlich noch bis 2005 laufen. Deswegen stritt er sich als Senator mit der Deutschen Bahn herum, da ihm offenbar ein Senatorengehalt von rund 10.000 Euro nicht genügte und er stattdessen weiterhin sein Bahn-Gehalt von 17.000 Euro beziehen wollte. Das aber mochte Bahnchef Hartmut Mehdorn nicht auszahlen, weil ihm dies nach eigenen Angaben als „unzulässige Vorteilsgewährung“ hätte ausgelegt werden können. Zuvor hatte Sarrazin versucht, sich medial als großzügigen Macher darzustellen, der auf sein Senatorengehalt verzichten und damit für Berlin eine Stange Geld sparen würde. Da ihm Mehdorn einen Strich durch die Rechnung machte, begann Sarrazins Einstieg in die Berliner Politik mit einer Blamage. Auch zeigte die Anekdote sein recht korrumpiertes Politikverständnis. Die wenigsten Regierungsmitglieder lassen sich in ihrem Amt ganz offiziell von einem Unternehmen bezahlen.

Watschenmann mit Freibrief

Seinen Ruf als „guter Finanzsenator“, den ihm die Presse andichtete, verdankt er zwei Umständen. Zum Ersten galt er den Medien als unterhaltsam, weil aus seinem Gerede hin und wieder Äußerungen hervorstachen, die Stoff für kurzweilige Artikel lieferten. Zum Zweiten tat er vordergründig einfach etwas, das in der Berliner Landespolitik vollkommen neu war: Er verkündete, aufs Geld achten zu wollen. So kürzte er beim Personal und bei den Löhnen des öffentlichen Dienstes und stieg aus der Anschlussförderung für den Sozialen Wohnungsbau aus. Für die Kahlschlagpolitik gab er gern den Watschenmann, der seinem fröhlichen Bürgermeister und seinem drögen Wirtschaftssenator den Rücken frei hielt. Ob Studierende, Schüler/innen oder Kita-Kinder, ob Blinde oder Arme – alle durften „sparen bis es quietscht“ und bekamen von Sarrazin gratis eine Beleidigung mit auf den Weg. Wegen seiner Blitzableiterfunktion durfte er sich so einiges erlauben, das andere Politiker den Kopf gekostet hätte.

So kamen Sarrazin und der Senat sich ganz besonders gewitzt vor, als sie vor dem Bundesverfassungsgericht auf Bundeshilfen für Berlin klagten und dort vehement die Auffassung vertraten, die finanzielle Krise des Landes sei hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass der Bund seine Subventionen nach der Wiedervereinigung zu schnell heruntergefahren habe. Berlin treffe also keine Schuld an seiner finanziellen Situation. Das Gericht befand 2006, dass der Senat die Lage nicht angemessen dargestellt habe und wies die Klage ab. Sarrazin rückte später damit heraus, dass die Berliner Landespolitik durchaus eine gehörige Mitverantwortung an der Verschuldung trage und machte damit deutlich, dass der Senat und er wohl ernsthaft geglaubt hatten, das Verfassungsgericht an der Nase herumführen zu können.

Bei aller Sparpolitik bekam Sarrazin doch die verschiedenen Altlasten der früheren Senate nicht in den Griff. So existiert zum Beispiel bis heute kein vernünftiges Konzept für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, bei denen seine Vorgängerin Anette Fugmann-Heesing (SPD) durch mehrere In-Sich-Geschäfte und die nach Parteibuch eingesetzten Vorstände durch ihre Unfähigkeit ein finanzielles Desaster hinterlassen hatten. Sarrazin und der rot-rote Senat machten dort weiter, wo ihre Vorgänger aufgehört hatten und sahen zu, dass die Wohnungsbaugesellschaften mit ihren massiven Verbindlichkeiten möglichst geräuschlos weiter funktionierten. Als die Wohnungsbaugesellschaft Mitte 2005 kurz vor der Insolvenz stand, sprach man im Abgeordnetenhaus von der Spitze des Eisbergs.

Doch auch im Kleinen war es mit dem Sparen oft nicht allzu weit her. So wurde die von Sarrazin befürwortete Asbest-Sanierung des Steglitzer Kreisels – natürlich vollkommen unerwartet – doppelt so teuer wie geplant. Was mit dem sanierten Gebäude einmal passieren soll, weiß keiner so genau. Die Versicherungsgesellschaft Feuersozietät/Öffentliche Leben, die sich mit ihren Geschäften übernommen hatte, wurde 2004 unter Sarrazins Federführung verkauft. Risiken, die nach Angaben des Finanzsenators nicht abschätzbar waren und sich zwischen 30 und 150 Millionen Euro bewegen könnten, verblieben beim Land Berlin. Doch all dies ficht Sarrazin nicht an, genauso wenig wie die in jüngster Zeit aufgedeckten Schlampereien um das sogenannte Spreedreieck in Mitte.

Ermittlungen wegen Untreue

Ernsthaft in Schwierigkeiten geriet Sarrazin während der „Tempodrom-Affäre“. Im Herbst 2004 erhob die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn und seinen Genossen Peter Strieder, der wegen der Affäre schon einige Zeit zuvor als Stadtentwicklungssenator zurückgetreten war. Beiden wurde vorgeworfen, 2002 einem Sponsoringvertrag der Investitionsbank Berlin für das angeschlagene Tempodrom zugestimmt und sich damit der Veruntreuung von Landesmitteln verdächtig gemacht zu haben. Sarrazin sah in der Anklage keinen Grund zum Rücktritt und betonte immer wieder, dass er sich nichts vorzuwerfen habe. Die Verfahren wurden später eingestellt, da kein Schaden für das Land entstanden sei. Das Berliner Landgericht stellte dennoch fest, dass Sarrazin und Strieder ihre Pflichten als Senatoren verletzt hatten.

Die Geschichte mit dem Tempodrom war jedoch nicht Sarrazins einzige anrüchige Tat. Im Jahr 2002 machte er, mittlerweile als Finanzsenator auch Aufsichtsratsvorsitzender der BVG, den ehemaligen McKinsey-Berater Andreas von Arnim zum BVG-Vorstandsvorsitzenden. Dieser „sanierte“ das Unternehmen mit Sarrazins Segen dergestalt, dass er zwar die Belegschaft reduzierte, aber in den oberen Etagen alte Bekannte von sich und Sarrazin unterbrachte oder mit gut bezahlten Beraterverträgen ausstattete. Kurz vor seinem Weggang vergab Sarrazin noch einen Vorstandsposten ohne Ausschreibung. Kritikern hielt er entgegen, dass dies in Berlin so üblich sei. So viel zum „Mentalitätswechsel“, den Wowereit & Co. nach dem Bankenskandal beschworen hatten.

Schwarzes Loch Bankgesellschaft

Die Versorgung von alten Bekannten mit gut bezahlten Posten scheint ohnehin etwas zu sein, das sich Sarrazin bei seinen Vorgängern abgeschaut hat. Peter Hohlbein war sein Kollege bei der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft und wurde von ihm zum Chef der Beliner Gesellschaft zum Controlling der Immobilien-Altrisiken (BCIA) gemacht. Dieses landeseigene Unternehmen soll, nachdem die skandalösen Immobilienfonds der Bankgesellschaft vom Land Berlin übernommen wurden, eigentlich darauf achten, dass aus diesem Fondsgeschäft möglichst wenig Schaden entsteht. Denn die oft gepriesene Sanierung der Bankgesellschaft bestand im Wesentlichen darin, der Bank ihre Risiken abzunehmen und auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Die von der Bank garantierte Rendite für die Fondszeichner bezahlte von nun an das Land. Offensichtlich erwies sich Sarrazins „Sanierungsstrategie“ zumindest für Berlin als uneffektiv. Der Rechnungshof stellt zur BCIA fest, er habe „den Eindruck gewonnen, dass für die Gesellschaft die Interessen der Bank im Vordergrund stehen.“ Kein Wunder, bei der gesamten „Sanierung“ der Bank baute Sarrazin unter anderem auf den Rat von Leuten, die entweder für deren Geschäftspolitik oder deren Kontrolle schon vor der Krise 2001 verantwortlich waren und damit wohl andere Interessen hatten als den Landeshaushalt zu schonen. Sarrazin sorgte auch mit dafür, dass der mittlerweile verkauften Bank jährlich Millionensummen hinterhergeworfen werden. Der von ihm angekündigte Verkauf der Fondsimmobiliengesellschaften könnte sich darüber hinaus als großes Verlustgeschäft für das Land Berlin entpuppen (MieterEcho Nr. 330 und 331 berichteten). Rechtzeitig vor dieser möglichen Blamage hat sich Sarrazin aus der Affäre gezogen und wird nun der Bundesbank mit seiner geballten Kompetenz helfen, das deutsche Bankenwesen noch besser als bisher zu beaufsichtigen. Ob die Bundesbanker die Medienberichte kennen, wonach Sarrazin Mitarbeitern gegenüber zu cholerischen Ausfällen neigen und auch schon einmal mit einem Schlüsselbund um sich geworfen haben soll? Die künftigen Vorstandsprotokolle der Bundesbank werden sicherlich amüsant zu lesen sein.

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