MieterEcho

MieterEcho 333/April 2009

Quadrat BERLIN

„Aus dem Grundstück eine Geldmaschine machen“

Interview mit Daniel Dagan, dem Vorsitzenden des neu gegründeten Anwohnervereins „Bürgerinitiative Wilhelmstraße Berlin Mitte“

MieterEcho (ME): Welchen Belästigungen sind die Mieter/innen in der Wilhelmstraße ausgesetzt?

Daniel Dagan: Im eigenen Haus gibt es einen unüberschaubaren Kreis von Personen, viele Lärmbelästigungen und man fühlt sich fremd. Es gibt Müll im Treppenhaus sowie vor den Türen und die Aufzüge sind oft blockiert. Die Touristen nehmen leider keine Mülltrennung vor – sie sind auch nicht informiert darüber. Die Mülltonnen werden häufiger geleert und das ist natürlich mit Kosten verbunden. Es gibt praktisch einen hotelähnlichen Betrieb, aber ohne die Auflagen eines Hotels. Es gibt keinen Concierge, der sich um die Gäste kümmert. Diese klingeln nachts oder am frühen Morgen bei den Mieter/innen und suchen ihre Wohnung.

ME: Wie erklären Sie sich das Verhalten der Vermieter?

Daniel Dagan: Eins ist klar – wir reden über ein Filetstück, potenziell vielleicht das teuerste Grundstück Deutschlands. Verständlicherweise sind Wirtschaft und Politik daran interessiert. Die Versuchung ist sehr groß, die Anwohner zu vertreiben und aus dem Grundstück eine Geldmaschine zu machen.

ME: Wie schätzen Sie die Mieterhöhungsschreiben ein?

Daniel Dagan: Diese Mieterhöhungen sind in vielen Fällen überzogen, und sie sollten daher abgelehnt werden. Die meisten Mieter/innen haben eine Rechtsberatung aufgesucht, und viele von ihnen haben sich geweigert, die Mieterhöhung zu akzeptieren. Einige, die ohne eine Beratung die Erhöhung akzeptiert haben, sind allerdings jetzt daran gebunden.

ME: Haben Sie auch von Mieter/innen gehört, die resigniert und sich zurückgezogen haben?

Daniel Dagan: Ja, sehr viele Mieter/innen haben inzwischen diese Wohnanlage verlassen. Sie konnten es einfach nicht mehr ertragen. Und wir, die geblieben sind, wir sagen, wir müssen uns organisieren. Wir organisieren uns als Verein und erheben unsere Stimme, um öffentlichen Druck auszuüben und die Politik wach zu rütteln.

ME: Wie haben Sie die Mobilisierung der Mieter/innen erreicht?

Daniel Dagan: Durch Engagement und harte Arbeit von einzelnen Anwohner/innen. Diese verteilten Zettel und Aufrufe, sprachen die Anwohner/innen an, schrieben an die Behörden und sammelten Daten. Viele Leute, die vorher resigniert hatten, fassten endlich Mut und machen nun mit.

ME: Was hoffen Sie zu erreichen?

Daniel Dagan: Wir wollen erreichen, dass dieses sehr zentrale Wohngebiet ein ganz normales Wohngebiet bleibt und nicht für Luxuswohnungen, Luxusgeschäfte und teure Hotels reserviert wird, wie es wohl die Eigentümer wollen. Und ich glaube, das müsste auch ein Anliegen der Stadt Berlin sein. Aus meiner Sicht muss es dadurch geschehen, dass dieser hotelähnliche Betrieb in den Wohnhäusern eingestellt wird.

ME: Die Eigentümer haben auf Ihren Protest mit fristlosen Kündigungen der aktivsten Mieter/innen und einer einstweiligen Verfügung gegen Ihre Internetseite geantwortet. Wie reagieren Sie darauf?

Daniel Dagan: Mir wurde zum Beispiel fristlos gekündigt. Es wurde gedroht, mein Parkplatz würde gekündigt. Ich persönlich reagiere darauf, indem ich Briefe schreibe und der Kündigung widerspreche. Ich habe einen Anwalt engagiert, der das für mich tut. Und ich denke und hoffe, dass das die anderen auch so machen, weil diese Kündigungen und Drohungen einfach nicht gerechtfertigt sind. Sie sind dazu da, um uns Angst zu machen, aber es gibt keinen Grund für diese Angst. Ich glaube, wir sind im Recht, und wir können uns nach meiner Auffassung auch juristisch durchsetzen.

ME: Welche Rolle spielt der Senat bei dieser Auseinandersetzung?

Daniel Dagan: Die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hält sich sehr bedeckt. Sie war bisher nicht bereit, mit uns zu sprechen. Und ich denke, dass die Eigentümer das Gefühl haben, dass die Politik sie unterstützt. Das ist leider auch mein Eindruck. Insofern bin ich enttäuscht vom Senat. Wir fordern den Senat dazu auf, uns reinen Wein einzuschenken. Was hat der Senat eigentlich vor? Will er hinnehmen, dass die Wohnanlage evakuiert und womöglich in die Luft gesprengt wird?

ME: Wie hätte all dies vermieden werden können?

Daniel Dagan: Es hätte vermieden werden können, wenn die Politik Auflagen gemacht hätte, die es nicht zulassen, dass in Wohnhäusern hotelähnliche Betriebe eingerichtet werden. Die Privatisierung der Wohnanlage ist in diesem Fall eindeutig gescheitert. Ich führe es darauf zurück, dass die Politik nicht den Willen oder die Kraft hatte, deutliche und konkrete Auflagen zu vereinbaren, um die Vertreibung der Anwohnerschaft zu verhindern.

ME: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Tobias Höpner.

Abrissgenehmigung

Für den Wohnblock Wilhelmstraße 56-59 existiert bereits eine Abrissgenehmigung. Diese bricht jedoch nicht das bestehende Mietverhältnis der dortigen Mieter/innen. Es handelt sich um eine baurechtliche Abrissgenehmigung, die keine direkte Auswirkung auf das Mietrecht hat.

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