MieterEcho

MieterEcho 333/April 2009

Quadrat BERLIN

Ferienparadies Plattenbau

Dient die Zwischennutzung als Ferienwohnung zur Vertreibung der Mieter/innen und zur Vorbereitung für den Abriss?

Anwohnerverein „Bürgerinitiative Wilhelmstraße Berlin Mitte“

Einst letztes Vorzeigeobjekt des Wohnungsbaus der DDR ist das Plattenbau-Wohnviertel an der Wilhelmstraße in Mitte – auf einem Filetgrundstück, aus dem sicher mehr Profit herauszuholen wäre – nun von Abriss bedroht. Einziges Hindernis sind die Mieter/innen in den über 900 Wohnungen. Zur reibungslosen Entmietung der bis vor fünf Jahren in Besitz der WBM befindlichen Häuser scheint sich der jetzige Eigentümer, eine private Investorengruppe, daher etwas Besonderes ausgedacht zu haben: Freie Wohnungen werden nicht mehr an Dauermieter vermietet, sondern in Ferienwohnungen umgewandelt. Schließlich kann der Besitzer über sein Eigentum frei verfügen – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Amüsierhungrige junge Berlin-Touristen aus aller Welt machen häufig Lärm und bringen alle negativen Begleiterscheinungen einer ständig wechselnden Belegung mit sich. Die alteingesessenen Mieter/innen haben darunter zu leiden. Auf längere Sicht werden irgendwann die letzten von ihnen entnervt das Feld geräumt haben, und der Vermieter kann den hotelähnlichen Betrieb dann praktisch über Nacht, ohne lästige Mieterkündigungen, einstellen und zum Abriss übergehen. Der Abriss eines ersten Hauses ist schon beantragt und bewilligt worden und soll noch vor Jahresende stattfinden.

Vielleicht um den Wegzug der Mieter/innen zu beschleunigen, wurden sie Ende 2008 mit überzogenen Mieterhöhungsverlangen konfrontiert. Damit war dann aber für viele die Schmerzgrenze erreicht: Eine Anwohnerinitiative gegen die Zweckentfremdung der Wohnungen und die überhöhten Mietforderungen formierte sich. Eine Umfrage der Initiative unter der Mieterschaft ergab, dass inzwischen schon über 200 Wohnungen zweckentfremdet sind. Ein Aufgang mit 21 Wohneinheiten erwies sich als komplett „entmietet“. Damit verschwinden auch immer mehr Geschäfte, denen die Stammkundschaft wegbricht. Weiterhin stellte sich heraus, dass die Mehrzahl der Mieter/innen den Mieterhöhungsverlangen nicht zugestimmt hatte. Für viele Mieter/innen stellte sich aufgrund der Belästigung durch den Ferienwohnungsbetrieb in ihrem Haus eher die Frage einer Mietminderung – und die Frage, wie man den Zumutugen Einhalt gebieten könnte.

Die Initiatoren richteten die Website www.wilhelmstrasse.org zur Information und als Kontaktbörse der Mieterschaft ein, verteilten Flyer und Fragebögen, um Informationen zu beschaffen und sich zu vernetzen. Eine Gesprächsrunde mit Vertretern der Parteien und des Bezirksamts offenbarte die Machtlosigkeit der Politik. Man musste eingestehen, dass der Eigentümer zwischen den Schutzklauseln im Kaufvertrag und den Auflagen im Bebauungsplan Lücken entdeckt hatte, die ihm – juristisch wasserdicht – die systematische Entmietung des Wohngebiets ermöglichen. Um eine neue Strategie gegen die Vermieterpläne zu erarbeiten, waren die Anwohner am 29. Januar 2009 zu einer Vollversammlung in die Grundschule am Brandenburger Tor geladen, bei der die 200 Stühle für den Andrang der Besucher nicht ausreichten. Die anwesenden Mieter/innen wollten dem Treiben des Eigentümers (der inzwischen den Initiatoren der Mieterbewegung fristlos gekündigt und mittels Unterlassungsklage die Website praktisch stillgelegt hatte) nicht länger kampflos zusehen und beschlossen die Gründung eines Vereins, um das Wohngebiet als solches zu erhalten, die sozialen Strukturen zu verbessern und das gesellschaftliche Miteinander zu fördern.

Damit die Vertreibung von Mieter/innen „durch die Hintertür“ nicht weiter um sich greift, wird es nötig sein, eine Gesetzesänderungsinitiative einzubringen, welche die rechtlichen Grundlagen im Sinne des Mieterschutzes verändert.

Die Bürgerinitiative Wilhelmstraße fordert vom Abgeordnetenhaus von Berlin „die gesetzliche Gleichstellung von Wohnungseigentümern und Mietern bezüglich der Sondernutzung von Wohnungen als Ferienwohnungen und damit das Verbot von kurzzeitigen Vermietungen von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern“. Begründet wird diese Forderung mit der Feststellung des Berliner Kammergerichts vom 31. Mai 2007, dass ein Ferienwohnungsbetrieb üblicherweise weitgehende Beeinträchtigungen mit sich bringt, verursacht z.B. durch einen ständigen Besucherwechsel. Hierdurch erhöhe sich die Anonymität zwischen den Nachbarn und verringere sich das Sicherheitsgefühl. Besitzer von Eigentumswohnungen brauchen das nicht hinzunehmen.

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 333