MieterEcho 332/Februar 2009: Schneeballsystem für die Kommunen
Christian Linde
Die deutschen Kommunen stehen vor einem enormen Investitionsbedarf. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) betragen die erforderlichen Investitionen für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur bis zum Jahr 2020 mindestens 704 Milliarden Euro. Um die Ausgaben zu verringern und die Einnahmen zu steigern, empfehlen die Difu-Wissenschaftler auch diejenigen Instrumente, die zur schlechten Finanzlage der Kommunen beigetragen haben.
Marode Schulen und Verwaltungsgebäude, reparaturbedürftige Straßen und veraltete Entsorgungseinrichtungen – so der alarmierende Zustand der kommunalen Infrastruktur. Der Handlungsbedarf resultiert aus den seit 1992 kontinuierlich zurückgegangenen Investitionen. Wie hoch der Investitionsrückstand ist und welche Anstrengungen künftig notwendig sein werden, hat das Difu in einer Studie ermittelt, die im Rahmen der Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und dem Bundesverband der Deutschen Zementindustrie gefördert wurde. Demnach sind bis zum Jahr 2020 mindestens 704 Milliarden Euro erforderlich, um den Infrastrukturbestand in Ordnung zu bringen. Dies bedeutet jährliche Investitionen von rund 47 Milliarden Euro.
Den größten Anteil macht mit 59% der Ersatzbedarf aus. Der Erweiterungsbedarf folgt mit 31% und der Nachholbedarf liegt bei 10% der notwendigen Aufwendungen. „Die Investitionen werden jeweils etwa zur Hälfte durch die Kommunen selbst und durch die kommunalen Unternehmen aufgebracht. Mit Investitionen auf dem Niveau des Jahres 2005 könnte künftig zumindest der jährliche Erweiterungs- und Ersatzbedarf weitgehend abgedeckt werden und der Investitionsrückstand würde nur noch wenig zunehmen“, heißt es in dem Bericht. Im Vergleich der einzelnen untersuchten Bereiche besteht der größte Handlungsbedarf im Straßenbau (162 Milliarden Euro), bei den Schulen (73 Milliarden Euro) und den kommunalen Abwasseranlagen (58 Milliarden Euro). „Klar erkennbar wird der immer noch vorhandene Nachholbedarf in den neuen Bundesländern“, stellt das Difu fest. Dort müssten allein 24% aller erforderlichen Finanzmittel konzentriert werden, um den nach wie vor existierenden Rückstand gegenüber den alten Bundesländern auszugleichen. Bei Ersatzinvestitionen beträgt der Anteil in den neuen Bundesländern nur 47%. „Eine Ursache dafür ist in den umfangreichen Investitionen nach der Wiedervereinigung zu sehen“, heißt es in dem Bericht. „Werden Unterhalt und Erneuerung der Infrastruktur vernachlässigt, so führt dies langfristig nicht nur zu höheren Kosten sowie zum Rückgang von Wachstum und Produktivität. Auch die Nutzer kommunaler Infrastruktur könnten gefährdet, die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt werden – beispielsweise im Gesundheitsbereich oder in Schulen – und schließlich sind auch negative Umweltfolgen möglich“, warnt das Difu.
Für die Frage, wie die Kommunen angesichts ihrer prekären Haushaltslage die notwendigen Projekte finanzieren sollen, hat das Difu ein Szenario entwickelt. Danach solle der Investitionsrückstand nicht gleichmäßig verteilt bis zum Jahr 2020 abgetragen werden, sondern konzentriert von 2009 bis 2015.
Um die Ausgaben zu verringern und die Einnahmen zu steigern, empfehlen die Wissenschaftler allerdings ausgerechnet jene Instrumente, die in zahlreichen Fällen für die Misere der Kommunen eine wesentliche Mitverantwortung tragen, nämlich die Teilprivatisierung öffentlicher Güter. „Die durch strategisches Investitionsmanagement, den Einsatz intelligenter Finanzierungsinstrumente und Public-Private-Partnership-Projekte erreichbaren positiven Effekte würden ab 2012 stärker greifen. Diese könnten dann weit über das Jahr 2020 hinaus eine nachhaltige Wirkung erzeugen. Unterstützt durch entsprechende politische Rahmenbedingungen und Prioritäten wäre so die Deckung des kommunalen Investitionsbedarfs bis 2020 machbar“, behaupten die Wissenschaftler. Dabei sollte das Beispiel Bergkamen deutlich gemacht haben, dass nicht Privatisierung, sondern Rekommunalisierung sich sowohl für den öffentlichen als auch den privaten Haushalt bezahlt macht. Die nordrhein-westfälische Kreisstadt hat am 1. Juli 2006 ihre Entsorgungsbetriebe von einem privaten Betreiber zurückerworben. Seitdem sind die Kosten für die Bürger/innen gesunken und die Gehälter der Mitarbeiter/innen gestiegen.
Das infolge der Finanzkrise von der Bundesregierung beschlossene Konjunkturpaket II für Kommunen und Länder könnte die Investitionen früher als vermutet in Gang setzen. Der Deutsche Städtetag verlangt jedoch, eine weitere Belastung der klammen Kassen zu vermeiden. An dem 50 Milliarden Euro schweren Programm zur Stützung der Konjunktur müssen sich die Kommunen nämlich beteiligen. Auf den Berliner Haushalt, der mit über 59 Milliarden Euro verschuldet ist, würde damit nach Angaben des Senats bei erwarteten 500 Millionen Euro aus dem Investitionspaket eine zusätzliche Belastung von etwa 100 Millionen Euro zukommen.