MieterEcho 332/Februar 2009: Blühende Tafellandschaften

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MieterEcho 332/Februar 2009

Quadrat STADT

Blühende Tafellandschaften

Die wohltätige Tafelbewegung ist zu einem professionellen Betrieb geworden, doch mit der Professionalisierung mehrt sich die Kritik

Benedict Ugarte Chacón

Letztes Jahr begingen die Tafeln in Deutschland ihr 15. Jubiläum. Ausgehend von Berlin, wo 1993 von einigen Unternehmerinnen die erste Tafel gegründet wurde, entwickelte sich deren Anzahl in den folgenden Jahren rasant. Allein 2008 wurden 60 neue Tafeln gegründet, sodass es bundesweit nun mehr als 800 sind. In den ersten Jahren sammelte die Berliner Tafel nicht mehr verkäufliche Lebensmittel ein und verschenkte sie an Obdachlose, Sozialhilfebeziehende, Strichjungen oder Straßen-Punks. Mittlerweile haben sich die Tafeln in Deutschland zu einem professionalisierten Betrieb unter dem Dach des Bundesverbands Deutsche Tafel e. V. entwickelt. Bei einem großen Teil der heute bedachten Menschen handelt es sich um Hartz-IV-Betroffene. Doch die Tafeln sind nicht unumstritten. Kritiker sprechen von der „Vertafelung der Gesellschaft“, Kunden beschweren sich über die Behandlung durch die Mitarbeiter der Tafeln und über die Qualität der ausgereichten Lebensmittel.

In Berlin versorgt die Tafel nach eigenen Angaben 125.000 Bedürftige pro Monat, bei einem Drittel davon handelt es sich um Kinder und Jugendliche. Hierzu sammelt der Verein in der ganzen Stadt verwertbare Lebensmittel ein, sortiert sie und bringt sie zu verschiedenen Einrichtungen. Die Lebensmittel stammen zum großen Teil von Supermärkten, Lebensmittelgeschäften oder anderen Gewerbetreibenden, die die überschüssige Ware ansonsten entsorgen würden.

Gemeinsam mit den Kirchen und dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) arbeitet die Berliner Tafel in der Aktion Laib und Seele zusammen, die mittlerweile 45 Ausgabestellen in Kirchengemeinden unterhält, wo Bedürftige einmal in der Woche Lebensmittel für einen Euro erhalten. Hierzu muss die Bedürftigkeit z. B. mit einem Hartz-IV- oder einem Rentenbescheid nachgewiesen werden. Weiterhin betreibt die Berliner Tafel vier Kinder- und Jugendrestaurants. Hier soll Kindern eine gesunde und ausgewogene Ernährung nahe gebracht werden. Zudem soll vermittelt werden, „Messer und Gabel richtig zu verwenden und zu merken, dass Tischsitten weder überflüssig noch kompliziert sind“. Als ihr Herz bezeichnet die Berliner Tafel ihre freiwilligen Helfer/innen und ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen. Zurzeit sind bei der Berliner Tafel und der Aktion Laib und Seele ca. 2000 Ehrenamtliche aktiv.

Konflikt mit Tafel-Fahrern

Doch mit diesen ehrenamtlichen Kräften scheint es manchmal Probleme zu geben. Clara Fuhrmann*, die in einer pädagogisch betreuten Einrichtung für Kinder aus allen Schichten arbeitet, erzählt von Schwierigkeiten, die die Einrichtung mit mehreren Fahrern der Berliner Tafel hatte: „Früher wurden wir regelmäßig beliefert. Und einerseits sind wir sehr dankbar für die Hilfe, da wir auch wirklich darauf angewiesen sind. Andererseits steht und fällt alles mit den Fahrern.“ So hätten Tafel-Fahrer den Mitarbeiter/innen manchmal diktiert, welche Mengen an Lebensmitteln sie ihnen abzunehmen hätten – auch wenn die Einrichtung sie gar nicht gebrauchen konnte. „Da haben sich Fahrer als Wohltäter aufgespielt und willkürlich Lebensmittel verteilt. Das ging nach dem Motto ‚nur wenn Du brav bist, bekommst Du was ,Gutes’.“ Hanna Grün*, die in derselben Einrichtung beschäftigt ist, berichtet, dass die Mitarbeiter/innen „Angst“ gehabt hätten, sich über die Fahrer zu beschweren. „Wir dachten, wenn wir etwas sagen, werden wir gar nicht mehr beliefert.“ Mittlerweile holen sie die Lebensmittel selbst bei der Tafel ab. „Seitdem ist auch die Qualität besser“, sagt Hanna Grün, „vorher haben wir oft angegammelte Sachen bekommen.“ Beide berichten, bei anderen Einrichtungen sei es ähnlich zugegangen.

Sabine Werth, eine der Gründerinnen und Vorsitzende der Berliner Tafel, sieht in solchen Konflikten etwas Menschliches, das auch „im wirklichen Leben“ vorkommen könne. Leider sei es so, dass die Fahrer so lange frei agieren könnten, bis im Büro der Berliner Tafel eine Beschwerde eingehe. Hier jedoch liege das Problem, denn wenn sich Einrichtungen aus Angst nicht mehr beliefert zu werden, nicht melden, kann das Büro der Tafel auf solche Zustände nicht reagieren.

Grundsätzliche Kritik

Im Gegensatz zu Kunden, die sich mit organisatorischen Problemen herumplagen, üben andere Fundamentalkritik an den Tafeln. So wurde die Qualität der ausgereichten Lebensmittel etwa auf einer Veranstaltung mit dem Berliner Sozialforum im Dezember 2008 kritisiert. Für Sigrid Graumann vom Sozialforum, das demnächst eine Kampagne gegen die „Vertafelung der Gesellschaft“ starten will, kann es sich bei solchen Beschwerden aber auch um eine Art „Blitzableiter“ handeln. Denn viele Menschen, die auf die Aktion Laib und Seele angewiesen seien, empfänden das Anstehen nach Lebensmitteln als Demütigung. Das Sozialforum macht sich grundsätzliche Gedanken zum Tafelsystem. Mit dessen stetiger Ausweitung legitimiere der Sozialstaat seinen Rückzug und es beginne die Entwicklung zu einem „Almosensystem“, in dem Wohltätigkeit in private Hände gelegt werde. Den Tafeln komme dabei eine „ideologische Doppelfunktion“ zu. Zum einen könnten sich die Spender aus der Wirtschaft als Wohltäter präsentieren und zum anderen würden die Leistungsempfänger gedemütigt.

Weiterhin werfen die Kritiker den Tafeln vor, dass es sich bei einem „großen Teil“ ihrer Beschäftigten nicht um Ehrenamtliche handle, sondern um Ein-Euro-Jobber, die für einen „Hungerlohn“ arbeiten müssten. Sabine Werth hingegen spricht von 50 solcher Stellen, die in allen Bereichen der Berliner Tafel angesiedelt seien. Für die Kirchengemeinden und ihre Ausgabestellen könne sie aber nicht sprechen.

McKinsey und die Tafeln

Ein weiterer Vorwurf, den Kritiker den Tafeln machen, ist, dass die Unternehmensberatung McKinsey angeblich Einfluss auf sie ausübe und dies mit einem neoliberalen Grundinteresse, nämlich Wohltätigkeit zu privatisieren. Darauf macht ein verschwörungstheoretischer Text aufmerksam, der als Geheimtipp im Internet kursiert. McKinsey hat tatsächlich zusammen mit der Berliner und der Hamburger Tafel einen „Leitfaden“ zum Tafel-Aufbau erstellt, der sowohl an bestehende Tafeln gerichtet ist, als auch an Menschen, die sich für die Gründung einer Tafel interessieren. Darin sind zahlreiche Organisationstipps enthalten, die sich manche politische Initiative vielleicht auch einmal ansehen sollte.

Erschütternd an dem „Leitfaden“ ist jedoch das Armutsverständnis von McKinsey, das einer Seifenoper zu entspringen scheint, in der Obdachlose unter Brücken und Junkies an Bahnhöfen wohnen. Es wird jedoch explizit darauf hingewiesen, dass die Aufgabe der Tafeln nicht darin bestehe, „den Grundbedarf der Bedürftigen zu decken und so den Staat aus der Verantwortung zu entlassen“. Ähnlich argumentiert Sabine Werth, die nicht versteht, warum sich Kritik und Protest nicht gegen die verantwortliche Politik richten.

Die Politik hat sich bisher gescheut, Leistungen der Tafeln auf die Hartz-IV-Regelsätze anzurechnen, auch wenn hin und wieder solche Ideen herumgeistern. Dennoch könnte es eines Tages soweit kommen – auch wenn das sich stetig ausweitende Tafelangebot und dessen Inanspruchnahme ein deutliches Anzeichen dafür ist, dass Hartz IV nicht zur Deckung des Lebensunterhalts reicht.

Kritische Kampagnen müssten sich also zumindest für eine stattliche Erhöhung der Regelsätze einsetzen. So liest sich auch die Forderung des Bundesverbands Deutsche Tafel. Der Vorstandsvorsitzende des Verbands, Gerd Häuser, forderte im Mai 2008 vor dem Hintergrund des Armutsberichts der Bundesregierung, dass die Politik alles dafür tun müsse „die soziale Lage und Teilhabe für Bedürftige“ zu verbessern. „Die soziale Sicherung hierzulande reicht nicht aus.“

Peter Grottian, Politikprofessor und Mitbegründer des Sozialforums, sieht ein Spannungsverhältnis zwischen dem „Blühen der Tafeln und dem Verdorren des Sozialstaats“. Dies gelte es, in der nächsten Zeit zu thematisieren. Auch die Verantwortlichen sollten damit „konfrontiert“ werden.

* Name von der Redaktion geändert.

Ausgabestellen

Bedürftige Berliner/innen können bei den Laib-und-Seele-Ausgabestellen einmal in der Woche für einen Euro einen Beutel mit Lebensmitteln erhalten. Der Wohnsitz muss im Einzugsbereich der Ausgabestellen liegen und mit Personalausweis nachgewiesen werden. Die Bedürftigkeit ist durch einen Einkommensbescheid zu belegen. Das monatliche Einkommen muss unter 900 Euro liegen.

Infos zu den Ausgabestellen unter www.laib-und-seele-berlin.de oder Tel. 030 – 787 163 52

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