MieterEcho 332/Februar 2009: Drei Hallen sind eine zuviel
Tobias Höpner
Jetzt geht es aufwärts mit Berlin als Stadt der Events! Endlich können wir nicht mehr nur mit hausgemachten Open-Air-Ereignissen à la Christopher Street Day oder Fête de la Musique glänzen, sondern auch Weltstars unter einem wetterfesten Dach präsentieren. „Dank der O2-World erlebt Berlin Events, die ohne diese moderne Multifunktionsarena nicht in unsere Stadt gekommen wären“, verlautbarte der Regierende Bürgermeister, und sein Sportstaatssekretär flankierte, die neue Halle konkurriere eben mit London und Paris – und nicht mit anderen Berliner Stadtteilen.
Die aufsehenerregende Ouvertüre im September, als man populäre Musikbands wie Coldplay und Metallica präsentierte, unterstrich den proklamierten Anspruch. Und weil das Eröffnungsfeuerwerk sich so schön in die Netzhaut einbrannte, fiel es kaum auf, dass danach ganz andere Veranstaltungen den Alltag der Halle prägten. Die regelmäßigen Spiele der Eisbären und der Albatrosse wurden durch Konzerte einer anderen Größenordnung ergänzt: die Toten Hosen, Howard Carpendale und die Puhdys.
Tatsächlich darf man bei höchstens einer der monatlich rund 20 Veranstaltungen annehmen, sie hätte möglicherweise ohne die O2-World nicht in Berlin stattgefunden. Dies lässt sich leicht belegen, wenn man recherchiert, wo die jeweiligen Künstler bei ihrer letzten Tournee in Berlin gastierten. Woher kommen die übrigen 19 Veranstaltungen? Von welchen Bühnen werden diese abgezogen? Es ließ sich zum Jahresende feststellen, dass gut 85% der Veranstaltungen in der O2-World zuvor in städtischen Hallen und auf städtischen Bühnen stattgefunden hatten.
Während die Betreiber der beiden modernsten städtischen Hallen, des Velodroms und der Max-Schmeling-Halle, prompt auf Nachverhandlungen mit dem Senat bestanden, um die wegen mangelnder Auslastung drastisch ansteigenden Defizite auszugleichen, wird auf die Sanierung der Deutschlandhalle verzichtet: Sie soll abgerissen werden, da sich ihr Betrieb nicht mehr lohne – obwohl sie als eingetragenes Denkmal gilt. Sind dies also die Auswirkungen des Baus der O2-World?
Um die Zusammenhänge zu verstehen, hilft ein Blick zurück in die 90er Jahre: Im Rahmen der Olympiabewerbung und vor dem Hintergrund von Größenwahn und Wachstumsglauben wurden mehrere neue Veranstaltungshallen geplant. Von diesen wurden das Velodrom und die Max-Schmeling-Halle schließlich gebaut, obwohl Olympia 2000 nach Sydney gegangen war. Schnell wurde klar, dass der Betrieb der beiden neuen Hallen sich nur dann halbwegs rechnen würde, wenn gleichzeitig die Deutschlandhalle als Multifunktionshalle geschlossen würde. So wurde bereits vor zwölf Jahren ihr Max-Schmeling-Halle beschlossen, aber so lange aufgeschoben, wie sie noch als reine Eissporthalle in Betrieb ist.
Liegt also alles an der verkorksten Olympiabewerbung und ihren Folgen? Hören wir uns eine offizielle Einschätzung des Senats aus dem Jahr 2001 an: „Die Betreibung von drei im wesentlichen identischen Großhallen, die sich zudem im Eigentum des Landes Berlin befinden, durch zwei in Konkurrenz zueinander stehende Hallenbetreiber würde negative Auswirkungen für den für Großhallen relevanten Veranstaltungsmarkt nach sich ziehen. (...) Von einer derartigen Konkurrenzsituation auf dem Berliner Hallenmarkt würden zwar die kommerziellen Veranstalter profitieren, die finanziellen Lasten dieses Wettbewerbs hätte jedoch das Land Berlin zu tragen.“ Die Argumentation macht stutzig. Zwar wurde mit ihr der geplante Abriss der Deutschlandhalle begründet. Doch war 2001 auch das Jahr, in dem sich die Anschutz Corporation zum Bau der O2-World für das Gelände am Ostbahnhof entschied, es von der Bahn erwarb und in Verhandlung mit dem Berliner Senat über die Baugenehmigungen trat. Um den Investor Anschutz wurde geworben. Senat und Bezirk wollten unbedingt die große Halle ans Spreeufer holen, um endlich das schleppende Stadtentwicklungsprojekt Mediaspree anzuschieben. Viele Zugeständnisse waren die Folge, seien es die Ausnahmegenehmigungen beim Brandschutz, der Abriss von Teilen der denkmalgeschützten East-Side-Gallery oder die aufdringlichen Reklameleuchttafeln.
Bereits 2001 war klar, dass die neue Arena eine harte Konkurrenz für die städtischen Hallen bedeuten würde. So hatte z. B. 1998 der Chef der Berliner Messe, Karl-Joachim Kierey, gleichzeitig Vizepräsident des Europäischen Verbands der Veranstaltungszentren, beteuert, dass sich der Betrieb einer neuen Großveranstaltungshalle mit Platz für 15.000 bis 20.000 Gäste „nur dann tragen würde, wenn man sämtliche stattfindenden Events in einer Halle konzentriert“. Gemeint waren natürlich die profitablen Events. Und genau das erleben wir nun auch. Es steht schon gar nicht mehr zur Debatte, die Deutschlandhalle als Mehrzweckhalle wieder herzurichten. Vielmehr geht es darum, was aus dem Velodrom und der Max-Schmeling-Halle werden soll. Stimmen, die beiden Hallen ebenfalls zu privatisieren, sind bereits laut geworden. Doch niemand wird dabei auf den Defizitausgleich in Millionenhöhe durch die Senatskasse verzichten wollen.
Zweifellos werden diese beiden Hallen zukünftig die Stadt sehr viel mehr Geld kosten als bisher. Während sich Anschutz über eine gut laufende O2-World freuen kann, werden Gewinne mal wieder privatisiert, Verluste aber sozialisiert.