MieterEcho 332/Februar 2009: Segregation durch Armut
Jutta Blume
Segregation erfolgt in Städten weniger entlang ethnischer Grenzen, sondern vor allem zwischen sozialen Schichten. Dies bestätigt eine aktuelle Studie von Sinus Sociovision über migrantische Milieus in Deutschland. Mitauftraggeber war der Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung (vhw). Der Verband, der sich für die Bildung von selbstgenutztem Wohneigentum einsetzt, hat in diesem Zusammenhang auch die Wohnwünsche der Bevölkerung mit Migrationshintergrund erforscht.
Dass ethnische Segregation überbewertet wird und zumeist soziale Ursachen hat, dürfte keine bahnbrechende Neuigkeit sein. Schon das Forschungsprojekt "Zuwanderer in der Stadt" aus dem Jahr 2005 (siehe MieterEcho Nr 309/ April 2005) bewertete das Leitbild der ethnischen Mischung als nicht hinreichend für eine erfolgreiche Integration. Vielmehr helfen soziale Netze in der eigenen ethnischen Gruppe bei der Integration. Auf der Grundlage einer repräsentativen Befragung zur Situation der 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland definierte Sinus Sociovision acht migrantische Milieus. Lediglich in zweien davon ließen die Befragten den Wunsch nach Abgrenzung erkennen: Im "religiös verwurzelten" sowie im "prekären und entwurzelten Milieu". "Rein ethnische Quartiere gibt es in Deutschland nicht", schlussfolgert Reinhart Bartholomäi, der Vorstandsvorsitzende des vhw. Auch die Nachfrage nach solchen Quartieren sei "nicht dramatisch". Hinzu kommt allerdings eine ungewollte Segregation aufgrund von niedrigen Einkommen, die auch die traditionelle Arbeiterschicht betrifft. Die Konzentration in bestimmten Stadtteilen erfolgte entsprechend der unterschiedlichen Zuwanderungswellen, entweder im unsanierten Altbaubestand der Innenstadt oder im sozialen Wohnungsbau am Stadtrand. Angehörige der gering verdienenden Milieus geben überdurchschnittlich oft an, in einfachen, teilweise sanierungsbedürftigen Gebäuden zu wohnen.
"Segregation ist nichts anderes als eine räumliche Abbildung sozialer Ungleichheit in der Gesellschaft", schreibt Riza Baran in einem Positionspapier des Migrationsrats Berlin-Brandenburg. Die räumliche Trennung werde von den Menschen erst dann als problematisch erfahren, wenn sie unfreiwillig erfolge. Dann sei sie "nicht Ergebnis einer Wohnstandortwahl, sondern von Zwängen, beispielsweise des Wohnungsmarkts". Das Ergebnis der vhw-Studie, dass in fünf der acht Milieus weniger Wert auf das Wohnen gelegt wird als bei Deutschen ohne Migrationshintergrund, sollte daher mit Vorsicht zu genießen sein. So sind die im Schnitt kleineren Wohnungen der Migranten wahrscheinlich auf deren Einkommenssituation zurückzuführen.
Unabhängig vom Einkommen erleben Menschen mit Migrationshintergrund aber häufig Diskriminierungen bei der Wohnungssuche. Über 30% der Befragten gaben dies an, und 50% halten den Wohnungsmarkt für undurchsichtig. "Das würden wahrscheinlich auch 50% der Deutschen sagen", relativiert Bartholomäi. Riza Baran weiß hingegen zu berichten, dass die Nennung eines türkisch klingenden Namens häufig zu negativen Antworten bei der Wohnungssuche führt. Ähnliches berichtet auch Eva-Maria Andrades vom Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin. "Mit alltäglichen Diskriminierungen wenden sich die Leute aber selten an uns", erklärt sie. Schließlich gebe es in solchen Fällen selten handfeste Indizien. Erst kürzlich ging aber eine Beschwerde über eine private Hausverwaltung ein, die deutsche Sprachkenntnisse für die Wohnungsvermietung voraussetzte. Auch das Angebot, dass Verwandte und Freunde für die Mietinteressentin übersetzen könnten, schlug die Hausverwaltung aus. "Wir haben die Hausverwaltung um schriftliche Stellungnahme gebeten, und der Geschäftsführer hat diese Praxis bestätigt", so Andrades. Das Antidiskriminierungsnetzwerk berät und vermittelt bei Fällen offenkundiger Diskriminierung. Bei der Landesstelle für Gleichbehandlung des Senats arbeitet man noch an einer Statistik über Benachteiligungen bei der Wohnungsvermietung.
Kaufen statt mieten scheint eine Strategie zu sein, um den Benachteiligungen durch die Vermieter zu entkommen. Was die Milieus der besser verdienenden Migranten betrifft, so sieht der vhw eine Unterversorgung mit qualitativ hochwertigen Eigentumswohnungen. 30% der Befragten besitzen bereits Wohneigentum, wenn auch teilweise im Herkunftsland. Jeder siebte könne sich vorstellen, die derzeit bewohnte Wohnung oder das derzeit bewohnte Haus zu kaufen. Das betrachtet der vhw als positives Zeichen für eine Bindung nicht nur an den Wohnort, sondern auch an Deutschland. "Das Milieumodell schafft neue Möglichkeiten, zielgruppengerechte Wohnungsangebote zu schaffen", sagt Peter Rohland, der Geschäftsführer des vhw Berlin. Gerade das Potenzial der einkommensstärkeren Gruppen könne "zielgruppengerecht und nachhaltig" erschlossen werden. Zum Bedarf der unteren Einkommensgruppen hingegen äußert sich der Verband nicht.
Der Migrationsrat Berlin-Brandenburg stellt dagegen eine Wohnungsknappheit im Billigsegment fest und beklagt, dass bei Stadtteilsanierungen oft zu wenig Rücksicht auf die Einkommenslage der lokalen Bevölkerung genommen werde. Die Instrumente des Milieuschutzes sind hier lange nicht mehr ausreichend (siehe MieterEcho Nr. 329/August 2008). So zeigten sich beispielsweise in Friedrichshain-Kreuzberg, aber auch in Neukölln Verdrängungstendenzen. "Es wäre möglich, über höhere Zuschüsse der Jobcenter, beim Wohn- oder Kindergeld einen Ausgleich zu schaffen", meint Riza Baran. Auch Initiativen wie die Gründung von deutsch-türkischen Genossenschaften könnten helfen, die Bewohnerschaft zu halten. Vielleicht wäre dies ein Weg, dem Wunsch nach einer stärkeren Beteiligung im Quartier zu entsprechen, die ein Großteil der Befragten in der Sinus-Studie geäußert hat.
Weitere Infos und Download der Studie: www.sinus-sociovision.de
Das Antidiskriminierungsnetzwerk des Türkischen Bunds in Berlin-Brandenburg e.V. verfügt über eine Beratungsstelle für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung.
Kontakt: www.adnb.de
Tel. 030 - 623 26 24