MieterEcho 332/Februar 2009: Absage an die sozial durchmischte Stadt

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MieterEcho 332/Februar 2009

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Absage an die sozial durchmischte Stadt

Mit den neuen Ausführungsvorschriften Wohnen blendet der rot-rote Senat die Wohnungsmarktentwicklung für Hartz-IV-Beziehende aus

Christian Linde

Am 1. März treten die neuen Ausführungsvorschriften Wohnen (AV-Wohnen) in Kraft. Für zwei Drittel der über 600.000 betroffenen Haushalte bedeuten die Beschlüsse der rot-roten Koalition keine Verbesserung, da der Senat viele Entwicklungen des Wohnungsmarkts nicht berücksichtigt. Mit der erneut unzureichenden Regelung bei der Wohnkostenübernahme für Langzeiterwerbslose und Sozialhilfebeziehende und der Abschaffung der sogenannten Schonfrist drohen nach Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) sogar vermehrt Zwangsumzüge.

"Es wird eine völlig neue Ausführungsverordnung Wohnen geben." Das kündigte Heidi Knake-Werner (Die Linke) während einer Tagung der "Beratergruppe zur Fortschreibung des Obdachlosenrahmenplans und Wohnungslosenpolitik in Berlin" am 11. Juli 2007 an. Es war der Tag der Veröffentlichung des derzeit gültigen Mietspiegels. Auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt hätten sich seit dem Inkrafttreten von "Hartz IV" Veränderungen in einem Umfang ergeben, dass "eine kleinteilige Anpassung", so die Sozialsenatorin seinerzeit wörtlich, nicht angemessen sei. In wenigen Wochen soll es nun so weit sein. Stimmt die Runde des Rats der Bezirksbürgermeister zu, wird die neue AV-Wohnen am 1. März 2009 rechtswirksam. Damit stehen nach mehr als eineinhalbjähriger Diskussion hinter verschlossenen Türen die Neuregelungen für die Wohnkostenübernahme fest. Von einem großen Wurf kann allerdings keine Rede sein. Im Gegenteil. Beabsichtigt ist lediglich, den Mietrichtwert für 1-Personen-Haushalte um 5% von derzeit 360 auf 378 Euro bruttowarm zu erhöhen. "Der Senat reagiert mit der Erhöhung auf die Mietpreisentwicklung, wonach insbesondere die Mieten für kleine Wohnungen angestiegen sind", heißt es in einer Erklärung von Knake-Werner.

Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt ignoriert

Wirft man einen Blick auf die Zahlen des Berliner Wohnungsmarkts, bleibt die zwischen der Sozial- und der Finanzverwaltung ausgehandelte neue AV-Wohnen weit hinter dem tatsächlichen Bedarf zurück. Schon die bisherige AV-Wohnen stützt sich auf Wohnungsmarktdaten von 2004 - auf Zahlen, die beim Inkrafttreten der "Angemessenheitskriterien" für die "Kosten der Unterkunft" am 1. Juli 2005 bereits überholt waren. Zudem weist der Mietspiegel 2007 eine durchschnittliche Mietsteigerung von 5,8% und einen Anstieg um 10,2% bei den Hartz-IV-tauglichen Wohnungen unter 40 qm aus. Die Mietpreise bei den, unabhängig von Größe und Lage, bis dato preiswerten ALG-II-kompatiblen Wohnungen, sind um 9,9% gestiegen. Gleichzeitig haben sich die Heizkosten seit 2005 um über 30% verteuert.

Nach dem Mietspiegel 2007 stehen den mehr als 190.000 ALG-II-Single-Haushalten nur 275.000 Wohnungen im Rahmen der Mietobergrenzen zur Verfügung. Rechnet man die geringverdienenden Singles hinzu, gibt es für jede Wohnung bis 360 Euro bruttowarm mindestens zwei Nachfrager. Der für den Sommer angekündigte Mietspiegel 2009 wird diesen Trend wohl bestätigen. Verschärfen dürfte sich die Lage auch dadurch, dass der Sozialwohnungsbau zum Stillstand gekommen ist. "Der Verzicht auf die weitere Förderung von Sozialbauwohnungen und die zunehmende Aufwertung und Sanierung vorhandenen Wohnraums führen zu einer Abnahme des Angebots in den unteren Preisklassen", warnt selbst die Investitionsbank Berlin in ihrem Wohnungsmarktbericht.

Kritik von Gewerkschaften

Der DGB lehnt die neue AV-Wohnen als unzureichend ab. Nach Einschätzung von Doro Zinke, der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden für Berlin-Brandenburg, sei damit angesichts des angespannten Markts für günstige kleine Wohnungen eine dramatische Zunahme von Zwangsumzügen programmiert. Zudem knicke der Senat "vor der Drohgebärde des Bundesrechnungshofs ein". Der Bundesrechnungshof hatte beanstandet, dass die Miete in Berlin nach Beginn der Erwerbslosigkeit ein Jahr lang in ihrer vollen Höhe übernommen wird, und eine rigidere Regelung verlangt. Diese sogenannte Schonfrist soll nun auf ein halbes Jahr verkürzt werden. Auch ver.di-Berlin kritisiert die neue AV-Wohnen. Roland Tremper, Geschäftsführer von ver.di-Berlin, spricht von "massiven Verschärfungen der Existenzbedingungen von Menschen, die auf die Unterstützung nach den AV-Wohnen angewiesen sind". Tremper forderte die rot-rote Koalition auf, "diese unsozialen Veränderungen zu revidieren und die dringend notwendigen Erhöhungen zu beschließen". Ver.di verlangt eine Anhebung der Mietobergrenzen um mindestens 25%.

Mietobergrenzen gemäß AV-Wohnen für ALG-II-Beziehende ab 1. März 2009 nach Haushaltsgröße (alter Wert in Klammern):

1-Person: 378 Euro (360)
2-Personen: 444 Euro (444)
3-Personen: 542 Euro (542)
4-Personen: 619 Euro (619)
5-Personen: 705 Euro (705)

Die Berliner MieterGemeinschaft, der DGB und die AG Soziales Berlin hatten bereits 2008 vom Senat gefordert:

"Keinesfalls eine Regelung zu erlassen, die hinter den bescheidenen sozialen Standards der bestehenden Vorschrift zurückbleibt. So ist die 12 Monatsregelung zu übernehmen. (...)
Die Neugestaltung der Richtwerte hat sich unbedingt an den Maximen der sozialen Wohnungsversorgung und der Segregationsvermeidung zu orientieren. Die Richtwerte der AV-Wohnen sind um mindestens 25% zu erhöhen. (...)
Den steigenden Betriebskosten, insbesondere den Kosten für Energie ist Rechnung zu tragen. (...)
Bei Umzügen ist die Unterscheidung zwischen freiwilligen und notwendigen zu vermeiden. (...)
Der soziale Wohnungsbau (...) gehört wieder auf die Tagesordnung."

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