MieterEcho 332/Februar 2009: Spaltung der Stadtgesellschaft
Christian Linde
Eine stadtpolitische Antwort auf die Auswirkungen der Globalisierung gibt es nicht. Zu gering sind die Eingriffsmöglichkeiten staatlicher Institutionen aufgrund dominierender Strategien wie Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung. Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Urbanistik fordern eine stärkere Ausrichtung der kommunalen Politik an den sozialen Belangen aller Stadtbewohner.
Wie wirkt sich Globalisierung auf Städte aus? Wie begegnen die Kommunen den daraus resultierenden Herausforderungen und wo liegen die Grenzen der Einflussmöglichkeiten? In Gesprächen mit Funktionsträgern aller politischen Ebenen und Vertretern der Wirtschaft sowie durch die Auswertung verschiedener Veröffentlichungen und Studien hat das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) nach Antworten gesucht. "Der aktuelle Globalisierungsprozess bedeutet eine tief greifende Transformation kommunaler Strukturen und Handlungsfelder", lautet eine Kernaussage der Untersuchung. Dies gelte sowohl für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt als auch für die demografische Entwicklung, die sozialen Verhältnisse, das Stadtbild und das räumliche Gefüge. "Zu den wesentlichen Merkmalen des Veränderungsschubs gehören die Internationalisierung der Produktions- und Unternehmensstrukturen, ein Umbruch des Arbeitsmarkts mit einer Erosion der an gesicherter Vollzeitbeschäftigung orientierten Normalarbeitsverhältnisse, der Zunahme neuer, vielfach nur vorläufiger, den Erfordernissen des Markts entsprechender und häufig prekärer Beschäftigungsverhältnisse sowie einer deutlichen Einkommenspolarisierung."
Nach Aussage des Difu kennzeichnet wachsende Armut eine Spaltung der Stadtgesellschaft. Die Spielräume staatlicher Institutionen, die dem entgegenwirken könnten, seien begrenzt. Äußerer Veränderungsdruck, interne Modernisierungsstrategien und Haushaltsengpässe haben laut der Untersuchung zu einer nachhaltigen Schwächung der kommunalen Selbstverwaltung geführt. "Die Stadtpolitik als Antwort auf die mittel- und unmittelbaren Auswirkungen des aktuellen Globalisierungsprozesses gibt es nicht", stellen die Wissenschaftler fest. Nichtsdestotrotz hätten sich gemeinsame strategische Schwerpunkte herausgebildet, u. a. eine fortschreitende Internationalisierung kommunalen Handelns mit grenzüberschreitenden Netzwerken, Partnerschaften und Veranstaltungen. Standortpolitik würde vor allem auf "externe Akteure wie Investoren, zukunftsorientierte Unternehmen, hochqualifizierte Arbeitskräfte sowie Touristen" ausgerichtet. Demzufolge würden die kommunalen Strukturen, Aufgaben und Einrichtungen "für den Privatsektor, seine Prinzipien und Akteure, der betriebswirtschaftlich orientierten Modernisierung von Verwaltungsstrukturen bis zur Privatisierung kommunaler Leistungen und Unternehmen geöffnet". Die Ergebnisse dieser Politik der Städte und Gemeinden sind nach Einschätzung der Wissenschaftler kritisch zu bewerten. Auf der einen Seite stünden "attraktive Standorte für das breite Feld der Zukunftstechnologien, vielfältige Wohn-, Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebote, ausgefallene städtebauliche Projekte, die in der Regel mit einem deutlichen kommunalen Image- und Attraktivitätsgewinn einhergehen sowie erneuerte Stadtzentren, die als Hintergrund sich häufender Events und als Anziehungspunkte für steigende Touristen- und Besucherzahlen fungieren". Auf der anderen Seite seien soziale und ökonomische Probleme und Benachteiligungen kaum geringer geworden. Der Anteil unsicherer und in der Regel schlecht bezahlter Beschäftigungsverhältnisse habe zugenommen und die Armutsquote sei weiter gestiegen. Verfestigt habe sich vielfach auch die räumliche Segregation in nicht nur ethnisch abgegrenzte Quartiere, sondern vor allem durch Abgrenzung aufgrund der sozialen und finanziellen Situation der Bewohner/innen.
Um diesen Entwicklungen wirksam begegnen zu können, seien "bloße Symptomkorrekturen" nicht ausreichend. Gefordert wird von den in der Studie befragten Verantwortungsträgern nicht nur eine Stärkung der kommunalen Ebene, sondern eine "Abkehr von der vorrangigen Wettbewerbs- und Angebotsorientierung zu einer verstärkten Berücksichtigung konkreter Bedarfe und sozialer Belange aller Stadtbewohner". Diese Neuausrichtung sollte demnach nicht allein die kommunale Ebene erfassen, sondern für alle Akteure des zunehmend komplexer werdenden politischen Mehr-Ebenen-Systems gelten, in das die Städte eingebunden seien. "Ziel dieser Forderungen ist nicht eine Abkehr von der Globalisierung, sondern eine Neuorientierung des aktuellen, neoliberal geprägten Globalisierungsprozesses."
Der große Umbruch, Deutsche Städte und Globalisierung
Werner Heinz
Edition Difu – Stadt Forschung Praxis
2008. Bd. 6, 358 Seiten, 38 Euro
ISBN: 978-3-88118-456-4
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