MieterEcho 332/Februar 2009: Exklusion durch Exklusivität
Christian Linde
Während der soziale Wohnungsbau zum Stillstand gebracht wurde, blüht in Berlin die Bautätigkeit im Bereich hochpreisiger und luxuriöser Wohnungen. Vor allem in attraktiven Lagen und in Stadtquartieren mit Gentrifizierungspotenzial entstehen Townhouses und Lofts. Investoren und Projektentwickler werben für Wellness-Wohnen und Wohneigentum als Einkommensquelle. Für Haushalte mit durchschnittlichem Einkommen und prekär Beschäftigte wird das Angebot auf dem Wohnungsmarkt dagegen immer geringer.
"Drei Zimmer, Wohnfläche ca. 220,9 qm, Balkon/Terrasse: ca. 44,8 qm. Baujahr: 2008." Dies ist einem Wohnungsangebot zu entnehmen für ein "Loft mit Terrasse und 'Car'-Loggia auf einer Etage". Kaufpreis: 797.424 Euro, d. h. 3610 Euro/qm. Der Standort: Reichenberger Straße, Ecke Liegnitzer Straße in Kreuzberg. Der Investor, die eigens für das Projekt gegründete TOPOS Paul-Lincke-Höfe GmbH & Co KG, rückt bei der Vermarktung das nahe gelegene Paul-Lincke-Ufer in den Mittelpunkt. "Die direkte Umgebung ist geprägt durch Bauten aus der Gründerzeit. Das urbane Wohnumfeld verfügt über Einkaufsmöglichkeiten des täglichen Bedarfs ebenso wie über gastronomische Einrichtungen internationaler Prägung. Zur Naherholung steht das begrünte Paul-Lincke-Ufer mit seinen Cafés, Spazierwegen und Wasserflächen zur Verfügung. Die Ansiedlung expansiver Medienunternehmen wie MTV, Universal Music und Viva sorgte in den letzten Jahren für eine weitere Aufwertung des Standorts. Werbeagenturen und die Designakademie Berlin sind direkt in den Paul-Lincke-Höfen ansässig". Die Kaufpreise der Lofts in der Größe zwischen 200 und 540 qm bewegen sich zwischen einer halben und zwei Millionen Euro. Das Car-Loft-Projekt ist weltweit bisher einmalig. Planungen existieren jedoch bereits für etliche weitere Großstädte im In- und Ausland. "Das Wohnen in der Stadt liegt im Trend. Die neue Generation möchte eine urbane Vielfalt, aber auch viel Freiraum und Car-Loft bietet die Lösung - das Einfamilienhaus mit Garten und Garage auf einer Etage inmitten der Großstadt", so das Unternehmen.
Die Car-Lofts bilden nur ein Element des Baubooms im Hochpreis- und Luxussegment. Während der soziale Wohnungsbau praktisch zum Erliegen gekommen ist, etablieren Architekten, Projektentwickler und Kapitaleigner, flankiert von der Politik, einen Wachstumsmarkt. Was Mitte der 90er Jahre noch als eine Einzelerscheinung registriert wurde, entwickelt sich zur Marke. Die Spielflächen nationaler und internationaler Investoren für konzeptionelles Wohnen erstrecken sich vom historischen Baudenkmal bis zum Neubau. Um der Hauptstadt ein "italienisches" Gesicht zu geben haben etwa der bayrische Immobilienentwickler Ludwig Maximilian Stoffel und die Modedesignerin Giovanna Stefanel Anfang des Jahres die Firma Stofanel Investment AG gegründet. In den kommenden Jahren sollen Investitionen im Umfang von 300 Millionen Euro getätigt werden. Beabsichtigt sind ausschließlich Luxus-Wohnprojekte. Bereits in Bau befindet sich der Komplex "Marthashof" in Prenzlauer Berg. Entstehen soll ein Dorf mitten in der Stadt. Insgesamt 133 Wohneinheiten, die sich durch variable Grundrisse mal als Gartenhaus, mal als Penthouse oder Townhouse präsentieren, umgeben von einem 3000 Quadratmeter großen Gartenhof. Der Quadratmeterpreis soll ab 3000 Euro aufwärts liegen. Noch in diesem Jahr beginnt die Stofanel Investment AG mit dem Bau von 200 Wohneinheiten auf einem 50.000 qm großen Areal an der Zehlendorfer Clayallee. Auf einem Naturgrundstück am Griebnitzsee sollen 46 Einzelhäuser erstellt werden. An der East-Side-Gallery in Friedrichshain - auf Tuchfühlung zur Veranstaltungshalle O2-World - ist ein 50 Meter hoher Wohnturm geplant. Mit diesen Projekten reiht sich Stofanel in die beachtliche Anzahl nationaler und internationaler Investoren ein, die derzeit in begehrten Stadtlagen Residenzen für eine zahlungskräftige Klientel errichten.
"High-Class" und "Wellness-Wohnungen" errichtet auch die Vivacon AG. Anfang September hob der Investor die beiden Großprojekte "yoo Berlin" und "Luisenstadt" mit einem Gesamtvolumen von 172 Millionen Euro aus der Taufe. In Zusammenarbeit mit dem populären Designer Philippe Starck entstehen am Spreeufer knapp 100 Designerwohnungen. Vorgesehen ist ein zehngeschossiger Solitär mit insgesamt 13.200 qm Wohnfläche. Darin will "yoo Berlin" verschiedene Wohnkonzepte vereinen - vom Townhouse über das Penthouse bis hin zum Apartment.
An einem ähnlich exponierten City-Standort, der "Luisenstadt", zwischen Spree und Köllnischem Park, wird auf einer 12.000 qm großen Fläche das derzeit größte Einzelprojekt der Vivacon realisiert. In einer Kombination von Alt- und Neubau werden auf 26.000 qm rund 310 Wohnungen und Townhouses zukünftig das Quartier prägen. Kernstück ist die Revitalisierung der unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen AOK-Zentrale "Haus Luise". Integriert werden "Lagoon Houses", Maisonetten sowie Penthouses. Die "Lagoon Houses" öffnen sich zu den Innenhöfen, die mit Wasserbecken und exotischen Pflanzen gestaltet werden. "Wir haben gezielt ein Nutzungskonzept entworfen, das verschiedene Zielgruppen und Wohnformen zusammenführt", heißt es in der Projektbeschreibung. "So werden unter anderem auch 100 Serviced Apartments entstehen, die sich innerhalb der neuen Vivacon-Produktlinie ,Living Domicil' gezielt an Kapitalanleger wenden. Das Konzept: Die Apartments sind komplett eingerichtet und beinhalten Rundum-Services mit Reinigungs-, Sicherheits- und Besorgungsangeboten." Kosten: ca. 3000 Euro/qm. Zudem ist die Vivacon AG mit den Projekten "Living 106" und "Britzer Parkvillen" auf dem Wohnungsmarkt vertreten. Das in Köln ansässige börsennotierte Unternehmen ist bundesweit führend bei der Revitalisierung und beim Verkauf denkmalgeschützter Immobilien. Darüber hinaus bietet es Neubau-Eigentumswohnungen "in absoluten Top-Lagen deutscher Metropolen" an.
In Berlin entstehen zahlreiche neue Luxus-Wohnquartiere, insbesondere in Gestalt sogenannter Townhouses, zwischen 4,50 und 8,50 Meter breit, drei bis fünf Etagen hoch, versehen mit einem schmalen Garten. An insgesamt 15 Standorten in fünf Bezirken werden derzeit knapp 125 der luxuriösen Häuser gebaut. Die neuesten Projekte entstehen in den "Prenzlauer Gärten" am Volkspark Friedrichshain, im "Panke-Park" unweit der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes, im "Fichtenberg-Carré" in der Steglitzer Rückertstraße und in den "Puccini-Hofgärten" in Weißensee. Die Attraktivität für Interessenten liegt in der zentralen Lage. "Ideal für Stadtmenschen mit Eigenheimambitionen", erläutert die DSK Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft mbH, ein Entwicklungsträger und Treuhänder des Landes Berlin, das Erfolgsrezept der Stadthäuser, deren Vorbilder aus London, Paris, Florenz, Amsterdam, San Francisco und New York stammen. Im Inneren der Gebäude präsentiert sich die typische Wohnkultur der Townhouses: Jedem Lebensbereich ist eine Etage zugewiesen.
Auch die Agromex GmbH & Co KG ist am Geschäft mit dem Luxuswohnen beteiligt. Aktuelle Bauprojekte: das Hafenquartier Mitte sowie elf am Spandauer Schifffahrtskanal entstehende exklusive Stadthäuser. Bei der Entwicklung neuer Projekte räumen die Investoren der Standortfrage oberste Priorität ein. "Dabei ist nicht nur die gegenwärtige Situation Ausgangspunkt der Betrachtung, sondern auch das Potenzial eines Grundstücks bei entsprechender Entwicklung. Marktbeobachtung und maßgeschneiderte Konzepte, basierend auf den langjährigen Erfahrungen, sichern eine zuverlässige Einschätzung der bestehenden Möglichkeiten", heißt es bei der Agromex. Denn nicht nur die Nutzung exklusiver Räume, sondern auch die Weitervermarktung durch deren Erwerber gehört zum Service der Immobilienwirtschaft. "Wenn Sie vermieten und Vermögen bilden wollen, bieten Markenimmobilien als Kapitalanlage hohe Renditechancen. Mieteinnahmen, Wertzuwachs, Steuervorteile, niedrige Hypothekenzinsen und Inflation erwirtschaften Ihnen eine zusätzliche Altersvorsorge", verspricht die Nürnberger Terraplan Immobilien und Treuhandgesellschaft mbH.
Die Vermarktung des Standorts Berlin bleibt nicht ohne Folgen für den Wohnungsmarkt insgesamt. "Während Objekte in der Innenstadt gefragt sind, werden Außenbezirke abgehängt. Aus Immobiliensicht ist Berlin wieder geteilt, doch statt Ost und West lautet der Gegensatz nun Innen und Außen", beklagt die Industrie- und Handelskammer (IHK). Während sich der Fokus auf das Zentrum richte und die Leerstände schrumpften, sei das Interesse von Nutzern und Anlegern in den Außenbezirken gering, heißt es in einer von der Hochtief-Projektentwicklung und der TLG-Immobilien GmbH in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahr 2007, deren Trends von Experten für 2008 bestätigt wurden. "Die Berliner Innenstadt erlebt derzeit einen Boom im Segment Luxus-Wohnen."
Die von der IHK als "Spaltungstendenzen" charakterisierte Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt hat auch Auswirkungen auf den Wohnungsbestand. "Pro Jahr müsste der Neubau bei etwa 1% des Wohnungsbestands liegen, wenn Marktabgänge infolge von Alter oder Sanierungszustand ausgeglichen werden sollen. In Berlin wären das knapp 19.000 Wohnungen. Von diesem 1% sind wir aber weit entfernt", so Ludwig Burkardt, Vorstandsmitglied des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). Bereits seit zehn Jahren verringert sich der Bestand an Wohnungen in Berlin kontinuierlich. Die ehemals öffentlichen Wohnungsunternehmen wie Gehag oder GSW standen vor der Privatisierung für den Erhalt und die Erweiterung ihrer Wohnungsbestände. Das Interesse privater Marktakteure liegt dagegen vorrangig im Handel mit Wohnungen, was das Interesse an einer Angebotserweiterung ausschließt. Zudem schwinden mit dem Verkauf der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften auch die Akteure des sozialen Wohnungsbaus und des Wohnungsbaus im niedrigpreisigen Segment.
Der Bau von Luxuswohnungen, die damit einhergehende Aufwertung von Wohnquartieren und die Verknappung im Normal-Wohnungssektor haben entsprechende Auswirkungen auf die allgemeinen Mietkosten. Immer mehr Berliner müssen mittlerweile über die Hälfte ihres verfügbaren Einkommens für die Miete aufwenden. Laut dem im März von der GSW und der Immobilienberatung Jones Lang LaSalle veröffentlichten Wohnkostenatlas, ist die Belastung in den Innenstadtbezirken besonders hoch. Dem gegenüber hat sich die Einkommenssituation verschlechtert. Laut Landesamt für Statistik haben die Bruttolöhne der Berliner seit 2000 nur um 4,2% zugenommen, während die Verbraucherpreise im gleichen Zeitraum um 10,7% gestiegen sind.
Zumindest am Beispiel der Profilierung der Car-Lofts werden mittlerweile Aspekte über das Kriterium des Wohnens hinaus etabliert, die bei der Überführung von öffentlichen in privatrechtlichen Raum bemüht werden. So diente etwa der Slogan der Deutsche Bahn AG "Sicherheit, Service, Sauberkeit" zur Entfernung unliebsamer Personengruppen von Bahnhöfen. Die kürzlich von Berlins Polizeipräsident Glietsch an Besitzer von Luxusautos gerichtete Warnung, die Straßen Kreuzbergs zu meiden, scheint die Schaffung von exklusiven Räumen wie den Car-Lofts zu legitimieren, wo der sichere Parkplatz gleich mit der Wohnung gebaut wird.
Was ist Luxuswohnen?
Die Immobilien Zeitung stellte in ihrer Ausgabe vom 21. August 2008 diese Frage. Neben bestimmten Ausstattungsmerkmalen sei das Preisniveau relevant: Sogenannte Premiumwohnungen in Berlin kosten demnach mindestens 3.500 Euro/qm bzw. werden ab 12 Euro/qm nettokalt vermietet. Bezüglich der Ausstattungsmerkmale werden die Kriterien des Marktforschungsunternehmens BulwienGesa genannt (Zitat):
- Projekte erhalten markante Namen
oder Bezeichnungen
- Projekte von bekannten Architekten
- Ausstattung von renommierten Designern/verschiedene Ausstattungslinien/Markenhersteller, hochwertige Materialien
- Hohe Bedeutung von Sicherheitsaspekten (Videoanlage, Doorman)
- Arrondierende Nutzungen (Wellness, Servicewohnen)
- Ausrichtung der Wohnung nach zwei Himmelsrichtungen
- Balkon, Terrasse, Dachgarten
- Integrierte Einbauküche, große Küche, Gäste-WC
- Von der Tiefgarage ein direkt in die Wohnung gehender Lift.