MieterEcho 331/Dezember 2008: Im neuen Zuhause

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MieterEcho 331/Dezember 2008

Quadrat REZENSION

Im neuen Zuhause

17 Geschichten von Wohnungslosigkeit

Rezension von Bettina Engels

Siegbert kommt in den sechziger Jahren auf der Flucht vor der Bundeswehr nach Kreuzberg. „Ich wollte meine Freiheit“, sagt er, „die habe ich schon zuhause nicht gehabt.“ Er genießt das Nachtleben, arbeitet mal hier, mal dort. Mit Anfang 30 erkrankt Siegbert schwer an Tuberkulose. Nach langer Krankheit und Trennung von seiner Partnerin wird er Anfang der 90er Jahre wohnungslos. Mary, heutig 60-jährig, zieht mit Anfang 20 „der Liebe wegen“ aus dem irischen Bray ins Ruhrgebiet. Mit ihrem Mann und den zwei gemeinsamen Töchtern lebt sie über zwei Jahrzehnte dort, wo sein Job als Montagearbeiter die Familie hinführt, zuerst im algerischen Minenort Miliana, später in der nigerianischen Metropole Lagos. Als er auf einer Baustelle verunglückt und seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, zerbricht die Ehe. Mary verkraftet die Scheidung nicht, fängt an zu trinken. Sieben Jahre lebt sie auf der Straße.

Der Politologe Christian Schröder, der Sozialarbeiter Wolfgang Kutta und der Fotograf Guido Frebel haben Siegbert, Mary und 15 weitere ehemals Wohnungslose porträtiert. Alle leben heute (wieder) in einer eigenen Wohnung. Über einen Zeitraum von einem Jahr haben die Autoren in Gesprächen mit den Porträtierten ihre Geschichten, ihren Weg in die Wohnungslosigkeit und wieder in ein eigenes Zuhause, ihre Lebensentwürfe und Träume erfahren. Die Texte erzählen ehrlich, respektvoll und unter Verzicht auf die Tränendrüse die Geschichten von Armut, von Gewalt und Sucht, vom Leben in Heimen, in Haft und auf der Straße.

17 Geschichten, 17 Gesichter: zerfurcht, traurig, nachdenklich, hoffnungsvoll. Die Fotos zeigen die ehemals Wohnungslosen im Porträt, in ihrer jetzigen Wohnung und mit einem Gegenstand, der ihnen wichtig ist. Michael zeigt eine Windmühle aus Tausenden Streichhölzern, die er in Haft gebastelt hat – Abwechslung im eintönigen Leben hinter Gittern. Erich, gelernter Kellner und seit 20 Jahren ohne bezahlte Arbeit, hat sich stolz mit den Speisekarten der Suppenküche fotografieren lassen, in der er seit 15 Jahren ehrenamtlich tätig ist.

Eine viertel Million Menschen in Deutschland sind wohnungslos – Tendenz steigend. Ebenso vielen droht der unmittelbare Wohnungsverlust. Erschwinglicher Wohnraum ist immer schwerer zu bekommen. Die Hartz-IV-Mietobergrenzen machen angemessenes Wohnen für viele Betroffene praktisch unerreichbar. Von einem einklagbaren Recht auf eine Wohnung sind wir in Deutschland weit entfernt. Die Autoren wollen zeigen, dass Wohnungslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung viele Gesichter hat, wollen das gängige Bild von Obdachlosigkeit infrage stellen. Das ist ihnen gelungen.

Lebensbilder von der Straße. Portraits von Menschen in Wohnungsnot. Ein Fotobuch von Christian Schröder und Wolfgang Kutta.

Mit Fotos von Guido Frebel.

Hg. von der Evangelischen Kirche in Bottrop 2008

Gebunden, 96 Seiten, ISBN 978-3-00-025840-4

Erhältlich gegen 12 Euro Spende unter www.esb-bottrop.de.

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