MieterEcho 331/Dezember 2008: Strom statt Sperre

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MieterEcho 331/Dezember 2008

Quadrat RATGEBER WOHNEN

Strom statt Sperre

Privathaushalten wird aufgrund unbezahlter Rechnungen immer häufiger der Strom abgestellt

Christian Linde

Die Zahl der Haushalte, die von der Energieversorgung abgeschnitten werden, steigt kontinuierlich an. Während Energieversorgungsunternehmen in Deutschland restriktiv gegen Schuldner vorgehen, haben zahlreiche andere Länder soziale Standards eingerichtet, die eine Grundversorgung sichern. Der Bund der Energieverbraucher fordert angesichts der Preisentwicklung auf dem Energiemarkt einen Sozialtarif.

Immer häufiger kommen Kunden mit der Bezahlung ihrer Strom- oder Gasrechnung in Verzug. Vor allem die explodierenden Kosten der letzten Jahre können viele mit ihrem Einkommen nicht mehr bewältigen. Nach Schätzungen des Bunds der Energieverbraucher wird bundesweit jährlich etwa 800.000 Privathaushalten der Strom und knapp 400.000 das Gas abgestellt. Der Vorsitzende des Bunds der Energieverbraucher, Aribert Peters, hält dies für einen Skandal: „Die deutschen Versorger gehen weit radikaler gegen ihre Kunden vor, als irgendwo anders in Europa. Und die Politik weigert sich, zumindest den gemäß EU-Richtlinien vorgeschriebenen Mindestschutz für Verbraucher in deutsches Recht umzusetzen.“

Das Problem wächst von Jahr zu Jahr. Bereits 2006 ermittelten die Hanseatische Inkasso-Treuhand GmbH und die Unternehmensberatung Nordsan bei einer Befragung von 23 Stadtwerken, dass deren Tarifkunden pro hundert Zähler zwischen 11 und 80 Mahnungen jährlich zugestellt werden. Hochgerechnet auf rund 40 Millionen Haushalte macht das jährlich 15 Millionen Zahlungsaufforderungen. Wenn die Schuld 95 Euro oder mehr beträgt, erfolgt nach fünf Wochen die Sperrung. Während die Quote der Sperrungen in westdeutschen Bundesländern eher gering ausfällt, ist sie in den neuen Bundesländern und in Städten mit größerem sozialen Gefälle vergleichsweise hoch. In Berlin hat sich die Zahl der Sperrungen von Gasanschlüssen im vergangenen Jahr mit 3200 mehr als verdoppelt. Bei den Stromkunden waren es laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa bereits 2005 knapp 25.000 Haushalte.

Verbraucher nicht wehrlos

Grundsätzlich können Mieter/innen in drei Fällen mit einer Stromsperre konfrontiert werden: Wenn die Rechnung nicht beglichen wird, die geforderte Summe wegen „Unbilligkeit“ verweigert wird oder wenn der Vermieter die gezahlten Abschläge nicht an den Energieversorger weiterreicht. Zwar sieht der Gesetzgeber vor, dass die Versorgung nach § 19 der Stromgrundversorgungsverordnung unterbrochen werden kann. Dazu besteht jedoch keine Berechtigung, wenn die Folgen der Unterbrechung nicht im Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen oder der Kunde darlegt, dass hinreichende Aussicht besteht, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt. Außer Acht bleiben dabei schlüssig begründete Beanstandungen, die frist- und formgerecht eingereicht worden sind. Auch Rückstände, die aufgrund von Sondervereinbarungen zwischen Kunden und Lieferanten getroffen worden sind, können nicht geltend gemacht werden. Vor Gericht strittige Preiserhöhungen, die noch nicht rechtskräftig entschieden sind, können dem Kunden ebenfalls nicht angelastet werden.

Die Sperre selbst muss einen Monat vorher angedroht bzw. drei Werktage vor dem Vollzug konkret angekündigt werden. „Die Androhung ist nur gültig, wenn unmissverständlich erkennbar wird, dass bei Nichtzahlung eine Sperre erfolgt. Wenn der Verbraucher den Forderungen also begründet widerspricht, dann darf die Versorgung ebenso wenig unterbrochen werden, wie bei Kunden, die den Preiserhöhungen widersprochen haben“, so der Bund der Energieverbraucher.

Soll der Stromfluss dennoch zum Stillstand gebracht werden, haben die Kunden noch weitere Möglichkeiten sich zur Wehr zu setzen, und zwar mittels eines Hausverbots. Dem Personal des Energieversorgungsunternehmens kann der Zutritt zum Wohnungsanschluss verweigert werden. Zwar liegen in Miethäusern die Anschlüsse häufig außerhalb der Wohnung, aber: „Wie beim Hausrecht in der Wohnung können auch im Treppenhaus oder im Keller eines Mietobjekts Manipulationen an Anschluss- bzw. Zählereinrichtungen vom Betroffenen verboten werden, da hier der Vermieter dem Mieter im Rahmen seiner Fürsorgepflicht die Abwehr störender Handlungen Dritter schuldet“, informiert der Verbraucherverband. Zwar schreibt die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBELTV) vor, dass die Mitarbeiter von Versorgungsunternehmen Zutritt zu den privaten Räumen haben, „das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung steht aber höher und kann deshalb auch ohne Probleme durchgesetzt werden“, betont der Verband.

Praxis in anderen Ländern

Ein Blick auf andere Länder zeigt, dass auch Regelungen jenseits von Sanktionen möglich sind. So hat die Versorgungswirtschaft in Großbritannien auf Vorschlag der Regulierungsbehörde eine gemeinsame Datenbank aufgebaut, in der besonders schutzwürdige Verbraucher registriert sind. In Frankreich haben sich Regierung und nationale Stromversorger bereits 1996 auf eine Charta mit dem Titel „Energie-Solidarität“ verständigt. Demnach sollten sich bei Schulden zunächst Sozialdienste einschalten können. Im Jahr 2000 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das den Zugang zur öffentlichen Infrastruktur festschreibt: „Jede Person in besonderen Schwierigkeiten hat Anspruch auf Hilfe der Gemeinschaft zur Lieferung von Wasser, Energie und Telefon in der Wohnung. Bei Nichtbezahlung der Rechnung bleibt die Versorgung so lange aufrechterhalten, bis über den Antrag auf Hilfe entschieden worden ist.“ Ein Hilfsfonds unter Beteiligung staatlicher Stellen sowie Strom-, Gas- und Wasserversorgern tilgt nach Prüfung die Schulden bedürftiger Haushalte.

In den USA existiert ein sogenanntes Energiebeistandsprogramm, das vorsieht, Betroffenen auf Antrag Zuschüsse zu gewähren. Insgesamt erhalten 5,8 Millionen Haushalte in den Vereinigten Staaten Unterstützung. Laut OECD ist weltweit Belgien mit seinem sozialen Ressourcen-Management führend. Dort können Bedürftige eine Strommenge von jährlich 600 Kilowattstunden kostenlos verbrauchen. Zudem existiert ein abgestuftes Hilfesystem mit Sozialtarifen. Eine Unterbrechung der Energielieferung in den Wintermonaten ist verboten. Bei Zahlungsschwierigkeiten können Kunden einen sogenannten Budgetmeter, einen Geldkartenzähler, einrichten lassen. Ist das Guthaben aufgebraucht, bleibt eine Minimalversorgung sichergestellt.

Deutschland ist Entwicklungsland

Auch in Deutschland werden Stimmen lauter, die wirksame Hilfe für Bedürftige verlangen: „Kein Licht, kein heißes Wasser, kein Radio, keine warmen Mahlzeiten mehr – das Kappen der Stromversorgung darf nicht länger bittere Realität für Kunden sein, die einer Zahlungsaufforderung aus eigener Kraft nicht mehr nachkommen können“, verlangte Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen, anlässlich des Weltverbrauchertags am 15. März 2008. Politik und Energiekonzerne müssten ein Verbot von Stromsperren für einkommensschwache Haushalte und die verbindliche Einführung von Sozialtarifen beschließen. „Energieversorgung ist fester Bestandteil allgemeiner Daseinsvorsorge und muss für jeden Menschen gewährleistet sein – dies steht bereits im Entwurf der EU-Charta zu Rechten der Energieverbraucher“, so Müller.

EU-Richtlinie seit 2003 in Kraft

In Artikel 3 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt heißt es: „Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, einschließlich Maßnahmen zur Vermeidung eines Ausschlusses von der Versorgung (...). Dies gilt nicht zuletzt für Empfänger von Transferleistungen.“ In einer Untersuchung des Heidelberger Instituts für Energie- und Umweltforschung wird festgestellt, dass die gestiegenen Energiekosten trotz erheblicher staatlicher Transferzahlungen für Haushalte mit geringsten Einkommen wie ALG II, Sozialgeld und Sozialhilfe eine zusätzliche finanzielle Belastung darstellen. „Die Energiekostensteigerungen werden durch die Form der Leistungserstattung nur teilweise ausgeglichen. Während der im Regelsatz zugrunde gelegte Berechnungsansatz zur Deckung der Kosten für Haushaltsstrom kaum ausreicht, um die steigenden Stromkosten abzufangen, müssen die Heizkosten in der Regel in voller Höhe von den Kommunen übernommen werden. Die Preissteigerung bei Haushaltsstrom führt damit zu einer zusätzlichen Kostenbelastung der Leistungsempfänger“, so das Institut.

Sozialtarif für alle

Obwohl die EU-Richtlinie soziale Standards verlangt, fehlt nach wie vor ein entsprechender Passus in der deutschen Energiegesetzgebung. Der Bund der Energieverbraucher fordert deshalb die Einführung eines Sozialtarifs für alle Strom- und Gaskunden. Danach soll eine bestimmte Strom- oder Gasmenge, zum Beispiel 1000 Kilowattstunden jährlich oder drei Kilowattstunden täglich, für jeden Anschluss kostenlos zur Verfügung stehen. Darüber hinaus soll der Arbeitspreis angepasst und der obligatorische Grundpreis ersatzlos gestrichen werden.

Vielleicht greifen außerparlamentarische Initiativen anlässlich des 60. Jahrestags der Verabschiedung der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der UNO vom 10. Dezember 1948 das Thema auf. Dort heißt es in Artikel 25 Absatz 1: „Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet.“ Diese Richtlinie schließt Strom- und Gassperren aus. Denn mit ihrem Beitritt zu den Vereinten Nationen haben alle UNO-Mitgliedsstaaten – und damit auch die Bundesrepublik – diese Erklärung anerkannt.

Weitere Infos unter: www.energieverbraucher.de

Was können Mieter/innen bei Liefersperren tun?

Der Bund der Energieverbraucher rät: „Ist der Mieter unmittelbar Vertragspartner und zahlt er seine Strom-, Gas-, Wasser- oder Fernwärme-Rechnung nicht, ist das Versorgungsunternehmen nach seinen Versorgungsbedingungen berechtigt, die Lieferung einzustellen. Vorher müssen aber einige Voraussetzungen erfüllt sein:

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss beachtet werden. Es sind die Folgen der Liefersperre für den Kunden, dessen künftige Zahlungsfähigkeit und -willigkeit zu berücksichtigen.

Spätestens nach der Anmahnung der offenstehenden Rechnung sollte sich der zahlungsunfähige Kunde an die Sozialbehörde wenden, um die Zahlungen sicherzustellen. Wird vom Sozialamt eine Zahlungszusage erteilt, darf die Versorgung nicht eingestellt werden.“

ALG II-Beziehende (SGB II) sollten sich an das Jobcenter ihres Bezirks wenden, Beziehende von Sozialhilfe (Grundsicherung nach SGB XII) an das Sozialamt ihres Bezirks.

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