MieterEcho 331/Dezember 2008: Wohlfahrtsstaat für Banken

MieterEcho

MieterEcho 331/Dezember 2008

Quadrat FINANZKRISE

Wohlfahrtsstaat für Banken

Gewinn für die Bank, Verlust fürs Volk

Hermann Werle

Der Ausblick des MieterEchos Nr. 327/ April 2008 „Kein Ende Subprime-Krise“ findet sich in gigantischem Ausmaß bestätigt. Im Herbst 2008 sind selbst den Zweckoptimisten aus Politik und Wirtschaft die Worte für Schönwetterreden vergangen. Industriezweige straucheln und die Autoindustrie verhängt Produktionsstopps. Von Rezession ist die Rede. Weltweit, so Juan Somavia von der Internationalen Arbeitsorganisation, könnten durch die aktuelle Finanzkrise 20 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen. Nötig wären sofortige Aktionen der Regierungen, „um eine lang anhaltende und weltweite soziale Krise zu verhindern“.

Tausende Leiharbeiter/innen wurden bereits auf die Straße gesetzt und allein in der deutschen Autoindustrie drohen massenhaft Firmenpleiten und der Abbau von bis zu 50.000 Stellen. Anhand einiger Überschriften des Handelsblatts vom 2. Oktober lässt sich eine Verkettung von Krisenerscheinungen ablesen, die es in sich haben: „Autoabsatz in den USA bricht ein“, „Stahlunternehmen geraten in den konjunkturellen Abwärtssog“, „Maschinenbau spürt Konjunkturabkühlung“, „Baubranche setzt den Rotstift an“, „Kaufst Du noch, oder sparst Du schon?“ und „Unternehmen bereiten sich auf Abschwung vor“. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz prophezeit, dass es zur schlimmsten Rezession der vergangenen 25 Jahre kommen werde und sich die Europäer große Sorgen machen müssen. „Auch sie sind dabei, in eine Rezession zu rutschen. Und in den meisten Teilen Europas war die Arbeitslosigkeit bisher schon höher als in Amerika. Ich glaube, zusammen mit den USA ist das die Region, die am stärksten betroffen ist“.

Trotz aller Warnungen ist von einer sozialen Krise in den hiesigen Debatten wenig zu vernehmen. Das Krisenvokabular beschränkt sich wahlweise auf die Finanz-, Banken- und als besonders schwerwiegend die Vertrauenskrise. Eine Bank könne der anderen nicht mehr trauen, war die allerorts zu vernehmende Klage, als ein Finanzinstitut nach dem anderen in den Strudel der Krise geriet. Wem sollte ein Banker in dieser Situation auch vertrauen? Als Branchenkenner rechneten sie zu Recht damit, dass andere Banken ebenfalls in der Klemme steckten und die Rückzahlung etwaiger Kredite unsicher sei. Da bleibt als Retter in der Not nur der Staat mit seinem von den Bürger/innen finanzierten Haushalt, der in Deutschland rund 283 Milliarden Euro beträgt. „Banken flehen in der Finanzkrise um Hilfe: Der Staat greift ein“, titelte die FAZ am 30. September und beschrieb seitenlang die Rettungsaktivitäten in den USA und Europa. Eine absurde Situation, wurde der Öffentlichkeit in den betreffenden Ländern doch seit Jahren eingebläut, dass sich der Staat aus dem Wirtschafts- und Finanzgeschehen heraushalten solle. Die Privatbanken waren stets treibende Kräfte bei der Durchsetzung immer weitergehender „Befreiungen“ von staatlicher Reglementierung und Kontrolle. Mit der entsprechenden politischen Flankierung wurde der Boden bereitet, auf dem faule Kreditpapiere weltweit gesammelt und gehandelt werden konnten.

„Ideologische Übertreibungen“

Als mit der vom damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering entfachten „Heuschreckendebatte“ die Geschäftspraktiken von Finanzinvestoren in die Kritik gerieten, verfassten Klaus-Peter Müller und Manfred Weber im August 2005 eine Verteidigungsschrift unter dem Titel „Versagt die soziale Marktwirtschaft? – Deutsche Irrtümer“. Müller, als Sprecher der Commerzbank und Präsident des Bundesverbands Deutscher Banken, und Weber, als Vorstandsmitglied desselben Verbands, beklagten darin „ideologische Übertreibungen“, wenn allen Ernstes behauptet würde, „in Deutschland grassiere ein ‚ungezügelter Kapitalismus’, in dem die Unternehmen nur noch eine kalte Gewinnmaximierung verfolgten – zulasten der Arbeitnehmer und letzten Endes der gesamten Gesellschaft.“ Die Bänker sehen die Probleme natürlich vielmehr im „Ausufern unserer Sozialsysteme“ und in der „in Jahrzehnten politisch geförderten Anspruchshaltung der Bürger gegenüber dem Staat.“ Und den Kritikern liberalisierter Finanzmärkte halten sie entgegen, dass diese „geradezu sträflich die Bedeutung der Kapitalmobilität für eine prosperierende Weltwirtschaft“ unterschätzen würden. In der Regel würden Investoren das Interesse an langfristig rentierlichen Engagements teilen und außer dem Markt könne auch niemand darüber befinden, „wo die Grenze zwischen kurzfristigen und langfristigen Renditezielen, zwischen ‚guten’ und ‚schlechten’ Finanzinvestoren liegt. (...) Würde sich die Politik diese Schiedsrichterrolle anmaßen, wären wirtschaftliche Fehlallokationen vorprogrammiert. Es empfiehlt sich von daher eine größere Zurückhaltung der Politik bei der Beurteilung von Investitionsentscheidungen, deren Risiken andere tragen“. So die Meinung der höchsten Repräsentanten der privaten deutschen Bankenwirtschaft.

Geschwätz von gestern

Drei Jahre später, nach der Verkündung der staatlichen Risikoabschirmung, mit dem eleganten Namen „Finanzmarktstabilisierungsgesetz“ (s. S. 10), hat der Bankenverband sein Verhältnis zum Staat offensichtlich grundlegend geändert. Nach dem Motto „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ ließ Klaus-Peter Müller die interessierte Öffentlichkeit am 20. Oktober wissen, die privaten Banken begrüßten es, „dass die Politik sehr schnell und mit einem überzeugenden Maßnahmenpaket auf die aktuelle Finanzmarktkrise reagiert hat.“ Damit würde die Politik entscheidend dazu beitragen, dass das Vertrauen in die Märkte zurückkehre und die Kreditversorgung von Unternehmen und privaten Haushalten dauerhaft sichergestellt bleibe. „Dafür ist die deutsche Finanzwirtschaft der Politik, Bundesregierung sowie Bundestag und Bundesrat zu Dank verpflichtet.“ Der Dank kommt sicherlich von ganzem Herzen, denn auf eine Gegenleistung für die vielfältige staatliche Hilfe, wie es die Bundeshaushaltsordnung vorsieht, verzichtet die Bundesregierung in ihrem Gesetz gänzlich.

„Die Freiheit, hohe Gewinne zu machen“

Inzwischen wird sowohl gegen das staatliche Kreditinstitut KfW ermittelt, das seiner Tochter IKB unter die Arme gegriffen hatte als auch gegen die Hypo Real Estate (siehe Kasten). Die Vorwürfe reichen von Marktmanipulation und Insiderhandel bis zu fehlerhafter Kapitalmarktinformation und Betrug.

Von den verantwortlichen Bankmanagern oder vom Bundesverband der deutschen Banken ist keine Aufklärung der möglicherweise kriminellen Machenschaften zu erwarten. Das sollte nicht verwundern, handelt es sich doch nicht um das Fehlverhalten einzelner Personen, sondern um ein systemisches Problem. Innerhalb dieses Systems sind die Finanzmärkte das wohlorganisierte Geschäft einer Vereinigung von Finanzdienstleistern, deren Geschäfte nur deshalb nicht kriminell sind, weil der Gesetzgeber sie ermöglicht und im Nachhinein sogar dafür bürgt. Und so ist es müßig, wie die FAZ zu fragen, wo die Finanzspezialisten sind, „die uns zumindest eine Erklärung schuldig sind, wie es zu dem kollektiven Akt der Unvernunft“ kommen konnte und „was sie durch irrwitzige Spekulationsgeschäfte, die ganze Staaten in den Abgrund reißen, beigetragen haben.“

Der oben bereits zitierte Nobelpreisträger Stiglitz erklärt sehr treffend, dass die Situation nichts mit Unvernunft zu tun hat, sondern als „Wohlfahrt zugunsten der Großwirtschaft“ verstanden werden muss. Das System sei alt. „Wir beschützen unsere Stahlindustrie mit Zöllen, wir subventionieren den Biotreibstoff Ethanol, wir subventionieren die Landwirtschaft. Wir gewähren unserer Industrie allerlei Geschenke und Schutz. Das ist auch in der Finanzindustrie so.“ Die Banken „hatten die Freiheit, hohe Gewinne zu machen, und wir haben nur die Freiheit, die Verluste zu übernehmen.“

Das Milliardengeschenk zum Abschied

Mitte 2007 geriet die Industriekreditbank (IKB) durch ihre Zweckgesellschaften Rhineland Funding Capital Corporation und Rhinebridge Funding als erste deutsche Bank in den Strudel der Subprime-Krise. Als Hauptaktionarin übernahm die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) die „faulen“ Subprime-Kredite der angeschlagenen IKB, um diese vor der Pleite zu retten. Das über die KfW abgewickelte staatliche Rettungspaket von über neun Milliarden Euro sowie der anschließende Verkauf der IKB an den US-Fonds Lone Star zum Schnäppchenpreis von geschätzten 150 Millionen Euro wurden am 21. Oktober von der Europäischen Kommission genehmigt. Dazu sagte die oberste Wettbewerbshüterin der EU, Neelie Kroes, dass Banken, wie Unternehmen in anderen Wirtschaftszweigen auch, ihr Geschäftsgebaren grundlegend verändern müssten, „wenn sie Umstrukturierungsbeihilfen erhalten. Nichts ist umsonst.“ Gerade der Aspekt, dass es diese „Umstrukturierungsbeihilfen“ nicht umsonst gibt, wurde vom Bund der Steuerzahler in seinem kürzlich vorgelegten Bericht „Die öffentliche Verschwendung 2008“ bemangelt. Denn die IKB-Krise koste den Steuerzahler direkt und indirekt 9,2 Milliarden Euro, und das, weil „eine private Bank mit der öffentlichen KfW im Rucken sich im großen Stil auf Geschäftsfelder gewagt hat, deren Risiken sie nicht beherrscht, wahrend gleichzeitig die Bundesregierung im Aufsichtsrat der IKB vertreten war“. Und wie „professionell“ die staatseigene KfW agiere, zeige sich daran, dass sie am 15. September 2008, dem Tag des Insolvenzantrags der schon langst taumelnden US-Bank Lehman Brothers, noch 350 Millionen Euro überwiesen habe. Ein Vorgang, der die Bild-Zeitung veranlasste, der KfW das Prädikat „Die dümmste Bank Deutschlands“ zu verleihen. Doch Dummheit allein scheint es nicht gewesen zu sein. Im Zusammenhang mit der Überweisung an Lehman durchsuchte am 22. Oktober das Bundeskriminalamt die Geschäftsräume der KfW. Laut der Staatsanwaltschaft Frankfurt gebe es einen Anfangsverdacht der Untreue, weshalb ein Ermittlungsverfahren gegen Vorstandsmitglieder der KfW eingeleitet worden sei. Trotz der bisherigen üppigen „Umstrukturierungsbeihilfen“ wachsen die Kosten der IKB-Pleite noch weiter an. Ende Oktober wurde bekannt, dass die KfW der IKB noch einmal 1,25 Milliarden Euro zugeschossen hat, um deren Eigenkapital zu erhöhen. Schlecht für die Steuerzahler, aber umso besser für den Fonds Lone Star. Dieser übernahm die mit frischem Kapital ausgestattete IKB Ende Oktober für einen Bruchteil der zuletzt erfolgten Kapitalerhöhung. Als vorläufigen Schlusspunkt kündigte die IKB an, das staatliche Rettungspaket in Anspruch nehmen zu wollen.

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