MieterEcho 330/Oktober 2008: Geschenke statt Geschäfte

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MieterEcho 330/Oktober 2008

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Geschenke statt Geschäfte

Großflächenwerbung prägt zunehmend das Stadtbild: In Berlin hat die Liberalisierung des Baurechts die Vermarktung im öffentlichen Raum erst angeheizt

Christian Linde

Seit der ersten „Annoncier-Säule“ Mitte des 19. Jahrhunderts sind zentrale Orte in der Stadt mit Werbung bestückt. Doch in der Epoche nach Ernst Litfaß hat Außenwerbung ungeahnte Dimensionen angenommen. Diente die „Litfaßsäule“ ursprünglich auch als Nachrichten- und Kulturvermittler, verfolgen die allgegenwärtigen Eingriffe in das Stadtbild heute fast ausschließlich kommerzielle Ziele. Die Opposition verlangt ein „Konzept zur Steuerung der Großflächenwerbung im öffentlichen Raum“. Denn von der Materialschlacht profitieren vor allem die privaten Verwerter.

Werbung hat in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten eine immer größere Bedeutung gewonnen, und dies nicht nur in den Medien, sondern auch im öffentlichen Raum. Die Anschlagssäulen des Reklame-Pioniers Ernst Litfaß, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts zum Alltag gehörten, fügten sich nahezu nahtlos in das Stadtbild ein. Am 4. Dezember 1854 erteilte der Polizeipräsident die Genehmigung für die erste „Annoncier-Säule“ in der Münzstraße im Bezirk Mitte. Die Auflage der Behörde: Auch die neuesten Nachrichten mussten bei der Nutzung präsentiert werden. Gleichzeitig war von staatlicher Seite eine Zensur möglich.

Heute verfügt keine Sicherheitsbehörde mehr über die Vergabe von Flächen. Die Botschaften auf den Plakaten müssen auch keine Zensurbehörde durchlaufen. Die Bezirke und das Land Berlin haben die Verantwortung, aber Auflagen existieren kaum. Von Harmonie im Stadtbild kann keine Rede mehr sein. Die Großflächenwerbung hat mittlerweile stadtbildprägenden Charakter und viele städtebauliche Elemente werden durch die flächendeckende Plakatierung sogar bis zur Unkenntlichkeit überlagert. Für Diskussionen hat nicht nur die Großflächenwerbung an der Charité, am Charlottenburger Tor und am Bebelplatz gesorgt. Am touristenträchtigen „Checkpoint Charlie“ in Kreuzberg ist der einzige Altbau mit einem Werbeplakat verhängt. Der Gasometer in Schöneberg (s. S. 6) ist mit einer riesigen Leuchtwerbung versehen, der größten an einem Gebäude in ganz Europa. Weil Werbeeinnahmen inzwischen attraktiver als Wohn- und Gewerbemieten sind, existiert am Leipziger Platz ein Teil der Gebäude nur als Werbefassade. Diese Entwicklung ruft selbst die wirtschaftsfreundlichen Grünen auf den Plan. „Wir meinen, dass Großflächenwerbung auf ein stadtverträgliches Maß reduziert werden muss“, sagt Claudia Hämmerling, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Abgeordnetenhausfraktion.

Verbotszonen für Private

Die Werbeflut ist vor allem ein Effekt der Liberalisierung des Baurechts, die der rot-rote Senat vor drei Jahren durchgesetzt hat. Selbst die Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Manuela Damianakis, spricht von einem „Problem“. Die Grünen fordern eine Veränderung der Bestimmungen. Die Werbeverhüllung an privaten Baugerüsten soll baugenehmigungspflichtig werden. Ist eine Erlaubnis erteilt worden, soll eine Verlängerung über einen definierten Zeitraum hinaus – unabhängig vom Baufortschritt – nicht mehr möglich sein. Anhand eines Kriterienkatalogs soll der Senat auch festlegen, dass Großflächenwerbung nur noch an „städtebaulich und ästhetisch vertretbaren Standorten“ genehmigt wird. In Anlehnung an die Gebühren für die Sondernutzung öffentlichen Straßenlands soll ein Gebührentatbestand für die kommerzielle Nutzung des öffentlichen Raums geschaffen werden. Insbesondere in Hinblick auf Eigentümer, die ihre Grundstücke zweckentfremdet nutzen, etwa statt zur Errichtung von Wohn- oder Bürogebäuden zur Errichtung von Großflächenwerbung. Öffentliche Gebäude oder Denkmale sollen zukünftig nur dann mit Werbung verhängt werden dürfen, wenn sie aufgrund von Bauarbeiten ohnehin mit einer Plane verhüllt werden müssen. Die bisherige quasi freihändige Vergabepraxis soll durch eine öffentliche Ausschreibung ersetzt werden. „Nur so ist Kostentransparenz möglich und die öffentliche Hand behält die Kontrolle über die Dauer der Werbeverhüllung und die Dauer und Qualität der Sanierung“, heißt es in einem Antrag an das Abgeordnetenhaus. Auch der Landesrechnungshof hatte bereits in diesem Zusammenhang das „intransparente und vergaberechtswidrige Verfahren bei der Restaurierung von Baudenkmalen“ beklagt.

Gewinnträchtige Werbeflächen

Wie lukrativ das Geschäft mit der Vermarktung von Werbeflächen sein kann, verdeutlichen Beispielrechnungen, die von den Grünen angeführt werden: Die Sanierung der Cadillac-Skulptur am Rathenauplatz durch die Unternehmergruppe AG City habe rund 40.000 Euro gekostet. Nach Abzug der Standortgebühren an den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, der im Gegenzug Werbeflächen zur Verfügung gestellt hatte, erzielte der Investor durch deren Verpachtung unterm Strich einen Reingewinn von 80.000 Euro.

Im Zuge der Sanierung des Strandbads Wannsee, durchgeführt unter anderem von der Stiftung Denkmalschutz, die sich mit Expertise und 3,6 Millionen Euro an der Maßnahme beteiligt hat, vermarktete eine Werbeagentur im Auftrag der Stiftung 38 Werbeflächen an verschiedenen Standorten im Bezirk Mitte, was laut Preisliste zu einem Umsatz von bis zu 27,5 Millionen Euro führte. Deshalb sei ein Steuerungskonzept allein nicht hinreichend. „Berlin muss auch an den gewaltigen Gewinnen beteiligt werden“, verlangen die Grünen.

Vorbild Hamburg?

Vergleicht man den Ertrag für die öffentliche Hand mit dem anderer Städte, entgehen dem Hauptstadtsäckel durch die Versäumnisse bei der Vermarktung jedes Jahr Einnahmen zwischen 30 und 50 Millionen Euro. Und dies, obwohl Finanzsenator Thilo Sarrazin Städtevergleiche alles andere als fremd sind. Geht es um die Ausgaben- und Einnahmestruktur des Haushalts, zieht der SPD-Politiker bevorzugt die Situation in anderen Bundesländern heran, etwa um den Abbau von Personal oder die Reduzierung von Sozialausgaben zu begründen. Vorbild für eine Verbesserung der Kassenlage könnte für die rot-rote Koalition das schwarz-grün-regierte Hamburg sein. Die Hansestadt hat ihre Werbeflächen im vergangenen Jahr erstmals ausgeschrieben und damit die Einnahmen nahezu versiebzehnfacht. Das sichert in den kommenden 15 Jahren Einkünfte in Höhe von 508 Millionen Euro. Zum Vergleich: In den zurückliegenden fünfzehn Jahren seit 1993 beliefen sich die Einnahmen auf lediglich 30 Millionen Euro. Der Gewinnsprung ist auf einen einfachen Verfahrenswechsel zurückzuführen. Die Stadt hat die Konzessionen für Großflächenwerbung erheblich verknappt und dann die Gebühren drastisch erhöht. Dass Finanzsenator Thilo Sarrazin auf diese einfache „marktwirtschaftliche“ Idee bisher nicht gekommen ist, mag daran liegen, dass der SPD-Politiker mehr über Ausgabenkürzungen als über Einnahmenmöglichkeiten nachdenkt.

Allerdings könnte ein weiteres Hindernis das Abkassieren von privaten Verwertern auf Jahre hinaus verlängern: Das Land Berlin hat im Rahmen eines Public-Private-Partnership-Projekts – zum Beispiel mit der Wall AG – vertragliche Vereinbarungen über Werbung an Toilettenhäuschen und Bushaltestellen getroffen, die noch bis 2018 Gültigkeit besitzen. Zum Dank dafür hat Hans Wall aber immerhin eine bedeutende Patenschaft übernommen – die Pflege des Grabs von Ernst Litfaß auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof.

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