MieterEcho 330/Oktober 2008: Landschaft mit Öko-Wohnen und Kreativwirtschaft

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MieterEcho 330/Oktober 2008

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Landschaft mit Öko-Wohnen und Kreativwirtschaft

In der Debatte über die Nachnutzung des Flughafens Tempelhof wiederholt der Berliner Senat seine Lieblingsstichworte – grundlegende Planungsentscheidungen sollen noch dieses Jahr getroffen werden

Jutta Blume

Wirklich gebraucht wurde er schon lange nicht mehr, aber viele Westberliner verbinden mit ihm nostalgische Erinnerungen. Am 31. Oktober jedoch wird der Flughafen Tempelhof nach dem im April gescheiterten Volksentscheid endgültig geschlossen. Damit gewinnt Berlin mitten in der Stadt eine Freifläche weit größer als der Tiergarten. Um kein Gefühl der Leere aufkommen zu lassen, hält der Senat derweil einen Ideenwettbewerb nach dem anderen ab.

In den frühen 70er Jahren erreichte der Flughafen Tempelhof eine Auslastung von fünf bis sechs Millionen Passagieren pro Jahr – zuletzt nutzten ihn jährlich nur noch 350.000 Fluggäste. In der riesigen Abfertigungshalle konnte man sich sehr verloren vorkommen. Vom Architekten Ernst Sagebiel von 1937 bis 1941 geplant und gebaut, entsprach das 1,2 Kilometer lange Flughafengebäude der Monumentalästhetik der Nazizeit, so war etwa eine Zuschauertribüne für Militärparaden Teil des Konzepts. Große Teile des Gebäudes liegen unter der Erde und beherbergten früher Bunker, Kriegsproduktionsstätten und ein eigenes Kraftwerk.

Nach der Schließung bleiben ein weites Feld mitten in der Stadt und ein riesiges, denkmalgeschütztes Gebäude. Noch gehören die Immobilien dem Bund, sollen aber der Stadt Berlin zu einem noch zu verhandelnden Preis verkauft werden.

Kern der zukünftigen Nutzung wird eine „Parklandschaft Tempelhof“ auf dem größten Teil des Flugfelds sein. An den Rändern schwebt der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine neue Bebauung in drei Bereichen sowie die Umnutzung des Flughafengebäudes vor.

Vom Feld zum Rollfeld zum Feld

Der erste Schritt für alle weiteren Entwicklungen ist momentan eine Änderung des Flächennutzungsplans (FNP), die der Senat bis zum Sommer 2009 verabschieden will. Bis zum 6. Oktober 2008 lagen die Pläne in der Senatsverwaltung aus. Bürger/innen konnten Einsprüche und Anregungen dazu äußern, und im Frühjahr 2009 wird eine zweite Auslegung stattfinden. Schon im FNP von 1994 ist der zentrale Bereich des Tempelhofer Felds als Parkanlage und der äußere Teil als Fläche für Wohn- und Gewerbebauung ausgewiesen. Die Stilllegung des Flughafens war also auch damals bereits eingeplant. Im neuen FNP sind nun die Bauflächen an den Rändern erheblich geschrumpft und der Grünbereich hat sich entsprechend vergrößert. Neben dessen Nutzung als Park- und Sportanlage taucht nun ebenfalls die Option „Feld, Flur und Wiese“ auf. Damit wird zum einen Naturschutzbelangen entsprochen, denn die Wiese zwischen den Rollfeldern hat sich auch als besonderer Lebensraum für Tiere und Pflanzen entwickeln können. Doch nicht zuletzt ermöglicht die neue Definition des FNP, das Areal zunächst als Wiese bestehen zu lassen. Denn das nötige Geld für die Gestaltung und Pflege eines Parks von derartigen Ausmaßen wird der Berliner Senat auf die Schnelle nicht aufbringen können. Auch Vorschläge aus dem 2007 veranstalteten Online-Ideenwettbewerb wie eine stadtnahe ökologische Landwirtschaft könnten auf dieser Grundlage umgesetzt werden.

Dennoch stehen bereits ehrgeizige und auf das Prestige der Stadt gerichtete Planungen im Raum. So diskutiert man im Senat über die Ausrichtung der Internationalen Gartenschau (IGA) 2017, über die noch im Herbst entschieden werden soll, und über eine Internationale Bauausstellung mit den Schwerpunkten Klimaschutz und generationenübergreifendes Wohnen im selben Jahr. Erst wenn über die IGA-Bewerbung abgestimmt wurde, soll ein landschaftsplanerischer Wettbewerb für den Park ausgeschrieben werden.

Flughafen Tempelhof

Auf dem Gelände des heutigen Flughafens Tempelhof befand sich früher ein Exerzierplatz. Nach Aufnahme des Flugbetriebs in den 1920er Jahren, wurde der Flughafen zunächst ständig erweitert. Architekt des monumentalen Flughafengebäudes war Ernst Sagebiel, der auch das Reichsluftfahrtministerium an der Wilhelmstraße plante (heute Sitz des Bundesministeriums der Finanzen). Das Flughafengebäude umfasst 284.000 qm Bruttogeschossfläche auf einer Länge von ca. 1,2 km. Es zählt bis heute zu den größten Gebäuden der Welt.

1948 bekam der Flughafen eine neue Bedeutung: Zusammen mit den beiden Flugfeldern Tegel und Gatow diente er während der Blockade West-Berlins dem Transport von Verpflegungsgütern für die Berliner Bevölkerung. Diese Versorgung durch die Berliner Luftbrücke zwischen verschiedenen westdeutschen Städten und Berlin dauerte vom 26. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949.

Die zivile Luftfahrt begann 1950. Der Flughafen Tempelhof wurde, nachdem der Flughafen Tegel in Betrieb ging, 1975 bereits zum ersten Mal geschlossen, jedoch 1985 aufgrund des gestiegenen Bedarfs nach Flügen wieder geöffnet.

Die Start- und Landebahnen gelten mit gut 2 km als zu kurz für große Flugzeuge.

Am 24. Mai 2001 stürzte ein anfliegendes einmotoriges Kleinflugzeug ab und prallte auf eine Brandwand eines Wohngebäudes in Neukölln. Beide Insassen starben. Am 30. Oktober 2008 wird der Flugbetrieb endgültig eingestellt.


Tempelhofer Freiheit

Eine vollständige Neugestaltung bis zum Jahr 2017 wäre ein sehr ehrgeiziges Projekt. Von den insgesamt 386 Hektar sollen 220 zur Parklandschaft werden. Zum Vergleich: Für den zur Zeit neu entstehenden Park auf dem Gleisdreieck mit 35 Hektar standen 24 Millionen Euro zur Verfügung, das Geld reicht aber vorne und hinten nicht. Die öffentliche Auseinandersetzung und der Planungsprozess nahmen über zehn Jahre in Anspruch. Dennoch versucht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für das Tempelhofer Feld schnell neue Konzepte und Bilder zu produzieren, nicht zuletzt, um keine neue Kritik an der Flughafenschließung aufkommen zu las-sen. Zu Budget und Kosten kann die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung noch keine Auskunft geben. Nach Berichten der Zeitung Die Welt schätzt die Senatsfinanzverwaltung allein die Unterhaltskosten des Geländes und der Gebäude auf fünf Millionen Euro pro Jahr.

Anbindung an die Nachbarquartiere

Mehr noch als die Frage der Gestaltung des leeren Felds in der Mitte stellt sich die Frage der Einbindung in die Stadt. Bislang trennt der Flughafen die Bezirke Tempelhof und Neukölln. Die angrenzenden stark befahrenen Straßen machen es auch für die Zukunft schwierig, einen Park auf der Fläche attraktiv und zugänglich zu machen. Drei Bauflächen sollen daher für die städtische Anbindung sorgen. Seit Oktober läuft ein städtebaulicher und landschaftsplanerischer Wettbewerb zum Columbia-Quartier im Norden des Flugfelds. „Ziel der langfristigen Entwicklung ist ein gemischtes und lebendiges Quartier. Ein besonderes Gewicht wird auf die Themen Ressourceneffizienz und innovatives Wohnen gelegt“, heißt es in der Wettbewerbsankündigung. Unter innovativem Wohnen verstehen die Stadtplaner des Senats etwa Baugruppen, Mehrgenerationenhäuser und neue Genossenschaftsmodelle. Diese Wohnformen sind vor allem ansprechend für eine gut situierte Mittelschicht mit ökologischem Anspruch, wie sie sich im nördlich angrenzenden Bergmann-Kiez bereits findet.

In einem weiteren Planungsschritt soll das etwas kleinere Stadtquartier Neukölln, angrenzend an den Kiez um die Schillerpromenade, entwickelt werden. Einen Zeitplan dafür gibt es aber noch nicht. Etwa 2400 neue Bewohner könnten dort im Geschosswohnungsbau ein neues Domizil finden. Findet nicht in den nächsten Jahren eine rapide Aufwertung des Schillerkiezes statt, könnten hier enorme soziale Gegensätze aufeinander treffen. Der Schillerkiez mit über 20.000 Bewohner/innen ist seit 1999 eines der Quartiersmanagement-Gebiete der Stadt. Mehr als die Hälfte der Bewohner/innen lebt unterhalb der Armutsgrenze. Allerdings hat das Quartier mit seiner gründerzeitlichen Bebauung und als zukünftig ruhige Wohnlage auch Potenzial, zahlungskräftige Bewohner/innen zu gewinnen. Ein neues Stadtquartier mit direkter Parkanbindung wird wahrscheinlich zu Gentrifizierungsprozessen beitragen.

Auf der Tempelhofer Seite des Flughafens setzt der Senat hingegen auf einen neuen Gewerbestandort, da angrenzend an den Mehringdamm und den S-Bahnring sich nur schwer eine attraktive Wohnlage entwickeln lässt. Das Stadtquartier Tempelhof soll zu einer „Adresse für Zukunftstechnologien“ werden. „Wir merken, dass Interesse aus der Wirtschaft da ist“, sagt Senatssprecherin Manuela Damianakis. Im Zusammenhang mit dem Flughafengebäude selbst fallen die ‚magischen’ Stichworte „Kultur-, Medien- und Kreativwirtschaft“.

Für die Öffentlichkeit wird sich nach dem Ende des Flugbetriebs im November zunächst nicht viel ändern, abgesehen vom fehlenden Fluglärm. Das Tempelhofer Feld wird eingezäunt und unzugänglich bleiben. Erst ab dem Frühjahr 2009 wird es temporäre Öffnungen geben, so Manuela Damianakis. Ein entsprechendes Konzept sei noch im Entstehen.

Weitere Informationen:

www.berlin.de/flughafen-tempelhof
www.tempelhof-projektaufruf.de

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