MieterEcho 329/August 2008: Von der Industriestadt zur urbanen Prärie

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MieterEcho 329/August 2008

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Von der Industriestadt zur urbanen Prärie

Schrumpfung in Buffalo

Matthias Bernt

Buffalo, die zweitgrößte Stadt des Bundesstaats New York, ist eine Stadt mit einer ausgezeichneten Lage, mit Architektur-Highlights im Jugendstil, einer renovierten Innenstadt – und einer Unmenge leerer Fabriken, ruinöser Häuser und Baulücken. Wie viele ostdeutsche Städte ist die Stadt Buffalo ein Musterbeispiel für Schrumpfung und versucht diesem Problem seit Jahrzehnten mit einer Vielzahl von Ansätzen entgegenzutreten.

Anfang des 20. Jahrhunderts galt Buffalo noch als eine Stadt mit rosigen Zukunftsaussichten. Am Eriesee, gleich bei den Niagarafällen gelegen, profitierte der Ort stark von seiner Lage. Er war ein Hauptumschlagsplatz für Eisenerz und Korn aus dem Mittleren Westen der USA, die Nähe zu den Niagarafällen sicherte günstige Elektrizität und Zuwanderung sorgte für ausreichend Arbeitskräfte. Entsprechend boomte die Stadt und zog von Stahlwerken über Kornmühlen bis hin zum Autobau eine Vielzahl von Industrien an. Die Einwohnerzahl wuchs bis 1950 auf rund 600.000.

Aufstieg und Fall einer Industriemetropole

Wie in vielen anderen Städten im Nordosten der USA war diese Konjunktur nicht von Dauer. Bereits in den 40er Jahren begann die Stadt Einwohner/innen zu verlieren. Der Bevölkerungsrückgang beschleunigte sich in den folgenden Jahrzehnten, sodass heute nur noch weniger als 270.000 Menschen, also nicht einmal die Hälfte der früheren Bevölkerung, in Buffalo leben.

Für diese Entwicklung gibt es verschiedene Gründe. Zunächst verlief die ökonomische Entwicklung anders als gedacht. Autobauer, Stahlwerke und Kornmühlen verlagerten ihre Produktion in den Süden der USA oder in die Dritte Welt, und eine Fabrik nach der anderen schloss ihre Pforten. In der Folge stieg die Arbeitslosigkeit und viele Einwohner/innen wanderten aus, um anderswo einen Verdienst zu finden. Noch wichtiger war die rapide Suburbanisierung, die Buffalo wie fast alle anderen Städte der USA seit den 40er Jahren erlebte. Vorangetrieben durch den staatlich finanzierten Bau von Schnellstraßen, durch Steuererleichterungen und billige Kredite – und getrieben von Ressentiments gegenüber dem Zuzug von Afroamerikanern – zog die weiße Mittelklasse zunehmend das Häuschen im Grünen der Wohnung in der Stadt vor.

Die Folgen in der Kernstadt waren verheerend, denn weniger Einwohner/innen bedeuteten nicht nur weniger Nachfrage nach Wohnungen, sondern auch weniger Geschäfte, weniger Bedarf an Stadien, Theatern und Supermärkten. Weniger Einwohner/innen führen auch zu einer Verringerung des Steueraufkommens, sodass Buffalo mit immer weniger Geld immer größere Probleme angehen muss. Hinzu kommt, dass in der Stadt, vor allem im afroamerikanisch geprägten Osten, soziale Problemgruppen zurückblieben.

Ein Spiel mit dem Markt

Die Reaktionen der Stadtpolitik auf dieses Problemgemisch bezeichnete ein Stadtplaner im Interview als „Spiel mit dem Markt mit Steuergeldern als Spieleinsatz“. Das Ziel, um das es bei diesem „Spiel“ ging und geht, ist nicht die Anpassung der Stadt an eine kleinere Einwohnerzahl, sondern die Umkehrung der Schrumpfung und die Rückkehr zu alter Prosperität.

Die Tatsache, dass die Kernstadt fortlaufend Einwohner an ihr Umland verlor, wurde so lange Zeit von den Stadtplanern als Zeichen dafür gesehen, dass Buffalo eine zu unmoderne, sprich zu wenig autogerechte Infrastruktur habe. Folgerichtig wurden ganze Nachbarschaften zugunsten von Autobahnen und Parkplätzen abgerissen und die Innenstadt mit einem fast geschlossenen Ring von Schnellstraßen umgeben. Als der Bevölkerungsrückgang trotzdem weiterging, kamen großräumige Shopping Malls, ein Konferenzzentrum, eine Schnellbahnlinie und Hotels dazu. In den späten 90er Jahren sollten schließlich sogar zwei innerstädtische Stadien und ein großes Spielcasino Anreize für einen „Aufschwung“ liefern. Dieses „Wettrüsten“ mit erfolgreicheren Städten wurde stark von der öffentlichen Hand unterstützt. Insgesamt sollen nach Berechnungen einer an der Universität von Buffalo eingereichten Dissertation über eine Milliarde Dollar für solche und ähnliche Bauprojekte nach Buffalo geflossen sein.

Niedergang in den Wohnvierteln

Für die meisten Bewohner/innen brachten diese Investitionen jedoch nur wenig. Die Abwanderung konnte nicht aufgehalten werden und gerade in den ärmsten Teilen der Stadt sorgte der fortdauernde Bevölkerungsrückgang für ein regelrechtes Ausbluten der Wohngebiete. In der Folge stehen heute, je nach Schätzung, in Buffalo ca. 15.000 Wohnungen leer – das sind etwa 12% des Gesamtbestands. In einigen Wohngebieten ist der Leerstand sogar noch höher und Straßenblöcke, in denen nur noch drei, vier Häuser bewohnt sind, sind keine Seltenheit. Angesichts der vielen dadurch frei werdenden Flächen werden diese Viertel inzwischen von Stadtplanern, halb fatalistisch, halb scherzhaft, als „urbane Prärie“ bezeichnet.

Die Folgen des Leerstands sind vielfältig. Denn die zunehmende Verwahrlosung stellt nicht nur ein ästhetisches Problem dar, sondern verursacht für die verbleibenden Bewohner/innen (die meistens ein Eigenheim besitzen und nicht zu Miete wohnen) fallende Immobilienwerte, höhere Versicherungsbeiträge und zusätzliche Ausgaben für Kreditsicherheiten. Der Mangel an nahe gelegenen Einkaufsmöglichkeiten führt zu langen Wegen, die für Erledigungen des täglichen Bedarfs zurückgelegt werden müssen. Und schließlich werden leer stehende Häuser regelmäßig zu Schauplätzen von Vandalismus, von Brandstiftungen und von mit Drogengeschäften zusammenhängender Kriminalität. Angesichts dieser Lage sind es oft die Nachbarn selbst, die sich für einen schnellen Abriss der leer stehenden Gebäude stark machen.

Der Staat als Slumlord

Die Verantwortung hierfür fällt in der Regel dem Staat zu, der im Zuge der Schrumpfung zum größten Immobilienbesitzer vor Ort wird. Der Grund für diese Entwicklung ist folgender: Mit sinkenden Immobilienpreisen, niedrigen Einkommen und steigenden Ausgaben für Instandhaltung, Versicherung und Kreditrückzahlung können viele Hausbesitzer ihren Steuerverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Sie häufen so bei der Stadt einen Berg von Steuerschulden an. Nicht selten verlassen sie auch ihr Haus und tauchen ab, wenn ihnen die Banken mit einer Pfändung drohen. Sind die Steuerschulden hoch genug oder ist das Haus in Folge von Leerständen so heruntergekommen, dass es eine öffentliche Gefahr darstellt und der Eigentümer nicht auffindbar ist oder nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, übernimmt die Stadt das Objekt. Auf diese Art und Weise landen tausende Grundstücke in der Hand des Staats. Die meisten von ihnen liegen, wenig überraschend, in unattraktiven Gegenden mit einkommensschwacher Bevölkerung.

Theoretisch hätte der Staat damit die Möglichkeit, die in seiner Hand befindlichen Immobilien zur strategischen Stadtentwicklung einzusetzen. In der Praxis kommt es jedoch eher zu einer Mischung aus weiterem Verfall und Abriss nach Zufallsprinzip.

Hierfür gibt es viele Gründe, allerdings ist eine ganze Reihe von Problemen hausgemacht: Erst im August 2007 startete der Bürgermeister von Buffalo ein „5-in-5-Programm“, mit dessen Hilfe innerhalb der nächsten fünf Jahre 5000 Wohnungen abgerissen werden sollen. Angesichts knapper Mittel ist das Vorgehen allerdings so, dass zunächst nur „Notabrisse“ vorgenommen werden. Abgerissen werden also bislang vor allem Häuser, die in einem so schlechten Zustand sind, dass sie die öffentliche Sicherheit bedrohen. Da die Verteilung dieser Problemfälle eher zufällig ist, ergibt das ein ebenso zufälliges Muster der Abrisse. Anstelle einer strategischen Stadtentwicklung kommt es dadurch zu einem weiteren „Zerfransen“ bestehender Stadtstrukturen, das von Nachbarschaftsorganisationen und Planern inzwischen scharf kritisiert wird. Anthony Armstrong von der Local Community Support Cooperation (LISC) findet für dieses Vorgehen im Interview folgende Worte: „Statt einem Skalpell wird hier eine Schrotflinte für den chirurgischen Eingriff benutzt. So macht man einen Stadtteil nicht gesund, sondern richtet nur noch größeren Schaden an.“

Ein noch größeres Problem ist die Verwaltung zahlreicher leer stehender Immobilien durch eine an den Staat New York angebundene Immobilienagentur. Im Jahr 2002 gegründet, um finanzschwachen Städten mit ihren Steuerschulden unter die Arme zu greifen, hat diese Municipal Bond Agency (MBBA) inzwischen über 2000 mit Steuerschulden belastete Grundstücke in Buffalo übernommen. Anstatt die Grundstücke zielgerichtet zu verkaufen, wurden die ausstehenden Schuldtitel zu einem Gesamtpaket zusammengeschnürt, das nunmehr als Wertpapier an der Börse gehandelt wird. In der Folge können einmal an die MBBA gegangene Grundstücke selbst in solchen Gegenden, die gut funktionieren, nicht mehr an einen neuen Eigentümer verkauft werden. Die Folgen beschreibt Eric Walker, ein Vertreter einer Anwohnerorganisation, für die Westside Buffalos wie folgt: „Die Grundstücke bleiben einfach liegen. Allein in unserem Viertel gibt es 200 davon. Praktisch jeder Block hat mindestens eines und auf den meisten befinden sich leer stehende Ruinen. Und wenn in einer ansonsten gut funktionierenden Straße erstmal ein Gebäude verwahrlost, kommt schnell ein zweites, ein drittes und ein viertes hinzu. Die Häuser sind eigentlich nichts mehr wert und sie sollten für einen symbolischen Preis an Interessenten verkauft werden, die etwas aus den Grundstücken machen. Diese ganzen Geschäfte der MBBA sind nichts als eine teure Illusion, die zur Paralysierung der Stadtentwicklung und zu weiterem Verfall führt.“

Grenzen des Markts

Versucht man also eine Bilanz zu ziehen und zusammenzufassen, wie Buffalo mit der Schrumpfung umgeht, fällt das Ergebnis eher ernüchternd aus. Statt eines zielgerichteten Umbaus der Stadt für weniger Bewohner/innen findet man auch hier eher eine Mischung aus knappen Ressourcen, mangelnder Kreativität und fehlendem politischen Willen. Die marktgesteuerte Steuerung der Schrumpfung zeigt hier ihre deutlichen Kehrseiten – Buffalo bietet damit ein gutes Lehrstück für alle, die in mehr Wettbewerb, mehr Public-Private-Partnership und weniger öffentlichen Mitteln einen Schlüssel für die Bewältigung der Krise ostdeutscher Städte sehen.

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