MieterEcho 329/August 2008: Mit Konsum gegen die Tristesse

MieterEcho

MieterEcho 329/August 2008

Quadrat BERLIN

Mit Konsum gegen die Tristesse

Das Bund-Länder Programm „Aktive Stadtzentren“ und die Standortinitiative „MittendrIn Berlin“ sollen Einkaufsmeilen durch Aufwertungsmaßnahmen international wettbewerbsfähig machen

Christian Linde

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine Meldung über millionenschwere Investitionen in spektakuläre Neubauten und Town-Houses in Berlin die Runde macht. Ob am Humboldt-Hafen, in der Heidestraße, am Spreeufer oder am Molkenmarkt: Fast überall, wo die rot-rote Koalition eine stadtentwicklungspolitische Spur hinterlässt, steht Luxus auf dem Programm. Auch in Stadtteilen, in denen aufgrund der sozialen Zusammensetzung eher Arbeitslosigkeit und Schulden den Alltag bestimmen, will die Landesregierung nun investieren. Die Marke „be berlin“ soll auch in Quartieren, die bisher nur im Kriminalitätsatlas auf vorderen Rängen verzeichnet sind, würdige Multiplikatoren finden. Insgesamt fünf Einkaufsstraßen sollen „aufgehübscht“ werden. „Aktive Stadtzentren“ heißt das Bund-Länder-Programm, das für die kommenden acht Jahre zunächst mit neun Millionen Euro ausgestattet wird. Das Ziel lautet: Aufwertung der Flaniermeilen.

„Es geht nicht um Einzelinitiativen, sondern um ein Entwicklungskonzept, bei dem vielfältige und aussichtsreiche Ansätze greifen“, betont Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Leerstand bei Geschäften, Wohnungen und Büros soll beseitigt, die Immobilienwirtschaft, das Gewerbe und der Einzelhandel sollen belebt werden. „Das Land beteiligt sich an dem Programm, da es wichtige Ziele der Berliner Stadtentwicklung unterstützt“, so Junge-Reyer. „Die Entwicklung der Zentren zählt zu den wichtigsten Aufgaben. Denn die Zentren sind die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Kerne der Stadtentwicklung.“ Dazu passt es, dass ein Standort den Zuschlag von der Jury erhalten hat, von dem nicht einmal die Bewerber ernsthaft geglaubt hatten, in die engere Wahl zu gelangen: die City-West um den Kurfürstendamm und die Tauentzienstraße. Ziel der Förderung dort sei es, national wie international konkurrenzfähig zu bleiben.

Standortkooperationen mit Eigentümern und Handel

Eingereicht wurden insgesamt 17 Bewerbungen. Den Zuschlag erhielten neben der City- West die Turmstraße in Moabit, die Karl-Marx-Straße in Neukölln, die Müllerstraße im Wedding und als einziger Ort im Ostteil der Stadt – die Marzahner Promenade. Im Bezirk Mitte ist man von dem Vorstoß begeistert. „Mit der Ausrichtung auf die Zentren werden wichtige Ziele der Stadtentwicklung aufgenommen wie Innenentwicklung vor Außenentwicklung und die Erhöhung der Attraktivität der Innenstädte“, heißt es in einem Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung. Im Osten begegnet man den Plänen mit Skepsis. „Wir verlangen eine Anwohnerversammlung, bei der offengelegt wird, was mit dem Geld passiert“, forderte ein Mitglied der Interessengemeinschaft „Marzahner Promenade“ gegenüber dem TV-Sender rbb. Nahezu alle Wohnhäuser wie auch die 80 Gewerbeobjekte auf der rund 1,2 km langen Promenade befinden sich im Bestand der Degewo, des größten kommunalen Wohnungsunternehmens in Berlin.

Reklame für Gewerbetreibende

Um Stadtteilzentren aufzuwerten, unterstützen die Senatsverwaltungen und die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin ein weiteres Projekt: „MittendrIn Berlin! Die Zentren-Initiative!“, heißt ein in vierter Runde befindlicher Wettbewerb. Darin werden Handel, Gewerbetreibende und Bürger aufgerufen, die Attraktivität ihrer Geschäftsstraßen und Zentren zu steigern. Gefragt seien Impulse, innovative Veranstaltungen und städtebauliche Interventionen, die dazu beitragen, einen neuen bzw. einen anderen Blick auf die jeweiligen Stadtgebiete zu öffnen. Eine zentrale Funktion nehme dabei die Kooperation von Immobilienbesitzern sowie Vertretern aus Handel, Dienstleistung, Gastronomie, Kunst und Kultur ein. „MittendrIn Berlin!“ setzt auf privatwirtschaftliche Initiativen. „Mit dieser Form der öffentlich-privaten Zusammenarbeit wird ein Zeichen für neue Kooperationsmodelle in der Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung gesetzt“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Senat und IHK. „Und zwar nicht nur lokal, sondern auch in ihrer nationalen und internationalen Ausstrahlung.“

Nach den Worten von IHK-Präsident Eric Schweitzer dienen beide Initiativen den gleichen Interessen: „Die Berliner Zentren und Geschäftsstraßen für Verbraucher und Investoren attraktiver zu gestalten.“ Dies sei für die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Metropole nach innen wie nach außen von entscheidender Bedeutung. „Denn die Zentren entwickeln sich zwar im Berliner Vergleich auf teilweise hohem Niveau, laufen aber Gefahr, im internationalen und überregionalen Wettbewerb zurückzufallen. Das kann dem Image Berlins schaden, was verhindert werden muss.“

Design, Kreativwirtschaft und Kunst im Fokus

Die vierte Ausschreibung von „MittendrIn Berlin!“ für das Jahr 2008/09 läuft unter dem Motto „Orte, die bewegen“. Die Initiatoren wollen die Akteure der Berliner Zentren und Einkaufsstraßen einladen, „Plätze und Straßen zu Orten zu machen, an denen etwas geschieht“, heißt es. „Prämiert werden Aktionen und Kooperationen, die einen Beitrag zur Profilierung der einzelnen Stadtteilzentren, Einkaufsorte oder Kieze leisten. Diese sind für die Identität und Versorgung Berlins von besonderer Bedeutung und prägen das Image unserer Stadt.“ Aus den Bewerbungen wählt die Jury maximal zehn Beiträge aus, welche die Chance zur weiteren Qualifizierung bekommen.

Profilierung der Kieze

Zu den zehn nominierten Standortinitiativen gehört z. B. der Friedrichshain-Kreuzberger Unternehmerverein. Dieser will mit seiner „Designbewegung“ auf das Potenzial der Mode-, Kunst- und Designerszene zwischen Frankfurter Allee und Revaler Straße aufmerksam machen. Die Kreativen dieses Stadtquartiers würden von der Öffentlichkeit weitaus weniger wahrgenommen als die etablierte Szene in Mitte. Das Netzwerk Rüdesheimer Platz (Rüdi-Net) beteiligt sich bereits zum dritten Mal am Wettbewerb. Im vergangenen Jahr zählte die Gruppe zu den Gewinnern. Nun sollen die Vorzüge des beschaulichen Rüdesheimerplatzes – attraktive Wohngegend, hoher Freizeitwert – stärker ins Bewusstsein gerückt werden. Gleichzeitig will Rüdi-Net den Einzelhandel vor Ort stärken. Die cope projekt & marketing GmbH ist ebenfalls mit im Rennen und strebt mit dem Konzept „Wallks 09“ an, die Wallstraße in Mitte zu beleben. „Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, die brachliegenden Potenziale des Standorts rund um die Wallstraße in Mitte nachhaltig zu aktivieren und dessen Bekanntheit zu steigern. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Wallks 09 nehmen dabei jeweils Bezug auf die Besonderheiten des Ortes selbst: dem hier beispielhaften Aufeinandertreffen von Berliner Geschichte und dem, wofür das junge Berlin heute steht: ein wieder international gewordener Raum für innovative Ideen, eine wachsende Kreativwirtschaft sowie ein expandierender Kunstmarkt“, heißt es in einem Kurzporträt.

Zum Jahresende 2008 wählt die Jury drei Gewinner aus. Diese erhalten ein Preisgeld von insgesamt 100.000 Euro, die durch die private Wirtschaft und das Land bereitgestellt werden. Die Veranstaltungen sollen im Sommer 2009 ausgerichtet werden.

Aktive Stadtzentren

Am 7. Juli 2008 wurden fünf Zentren ausgewählt, die in den kommenden Jahren mit dem neuen Bund-Länder-Programm „Aktive Stadtzentren“ gefördert werden sollen. 2008 soll mit der Turmstraße (Moabit) und der Marzahner Promenade gestartet werden, 2009 sollen dann die City-West (Charlottenburg-Wilmersdorf), die Müllerstraße (Wedding) und die Karl-Marx-Straße (Neukölln) folgen.

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 329