MieterEcho 329/August 2008: Teuer wohnen und schlecht bezahlt arbeiten

MieterEcho

MieterEcho 329/August 2008

Quadrat BERLIN

Teuer wohnen und schlecht bezahlt arbeiten

Leben und Arbeiten in der neoliberalen Stadt – am Beispiel des aktuellen Stadtentwicklungsprojekts „Mediaspree“

Malah Helman

Die Autorin Malah Helman ist Betreiberin des Internetportals für Off-Kultur in Berlin: www.berlin-off.de


Das aktuelle Stadtumstrukturierungsprojekt „Mediaspree“ entsteht beiderseits der Spree zwischen der Jannowitz- und der Elsenbrücke. Nach der Wende wurden die Betriebe im Osten, z. B. Narwa, RAW oder Osthafen, abgebaut und wie die städtischen Lagerhäuser und Brachen am Westufer verkauft. Seit 2002 entwickelt der vorgeblich gemeinnützige Verein „Mediaspree e.V.“ – mit Investoren und Immobilienbesitzern als Mitgliedern – das Gebiet mit öffentlichen Zuschüssen. Geworben wird mit Berlins Kreativen. Sie sollen die Flächen attraktiv machen, „aufwerten“ und für Gewinnsteigerung sorgen. Schon jetzt sind günstige Wohnungen nicht mehr zu haben und die Lebenshaltungskosten steigen.

Das aktuelle Stadtumstrukturierungsprojekt „Mediaspree“ entsteht beiderseits der Spree zwischen der Jannowitz- und der Elsenbrücke. Nach der Wende wurden die Betriebe im Osten, z. B. Narwa, RAW oder Osthafen, abgebaut und wie die städtischen Lagerhäuser und Brachen am Westufer verkauft. Seit 2002 entwickelt der vorgeblich gemeinnützige Verein „Mediaspree e.V.“ – mit Investoren und Immobilienbesitzern als Mitgliedern – das Gebiet mit öffentlichen Zuschüssen. Geworben wird mit Berlins Kreativen. Sie sollen die Flächen attraktiv machen, „aufwerten“ und für Gewinnsteigerung sorgen. Schon jetzt sind günstige Wohnungen nicht mehr zu haben und die Lebenshaltungskosten steigen.

Politiker warben zwar mit dem Argument, dass 30.000 bis 50.000 Arbeitsplätze entstünden, aber heute sind nur noch 5000 Jobs realistisch. Dabei wird die Arbeit nicht „aufgewertet“, sondern „abgewertet“. Das heißt, die ortsansässige Bevölkerung wird die steigenden Kosten nicht mit besser bezahlter Arbeit kompensieren können. „Wer es sich nicht leisten, kann, der muss halt umziehen“, so lautet der Ratschlag führender Bezirkspolitiker.

Billiger Arbeiten: „Mediaspree“ und die „neuen“ Jobs

Razzien auf den Großbaustellen haben ergeben, dass Schwarzarbeit, Sozialversicherungsbetrug und Löhne weit unter Tarif an der Tagesordnung sind. Klaus Wowereit warb bei der Grundsteinlegung der „O2-World“ mit 1500 Arbeitsplätzen. Aktuell sind es 1000 Jobs, aber nur 100 bis 150 in Festanstellung. Über Löhne und Arbeitsbedingungen wollte sich Betreiber Anschutz nicht äußern. Immerhin kann man sich über das Jobcenter weiterbilden lassen und damit etwas vorweisen, wenn man das Unternehmen wieder verlässt, so der Personalchef von Anschutz. Catering, Besucherservice, Security, Gebäudereinigung, Gebäudetechnik werden nach Bedarf bei Fremdfirmen eingekauft. Anschutz vergibt das Catering an Borchardt und diese Firma wiederum heuert ihr Küchenpersonal bei einem Subunternehmen an. Hier verdient ein ausgebildeter Koch 8 bis 9 Euro pro Stunde netto. Der Tarif im Angestelltenverhältnis liegt bei 10,50 Euro. Verspätete Gehaltszahlungen und Stundendrückerei sind zudem alltäglich.

Hohe Rendite durch prekäre und flexible Arbeitsverhältnisse

Im Gebiet von „Mediaspree“ betreiben zwei Unternehmen Callcenter mit insgesamt ca. 1000 Beschäftigten. Auch dieser Sektor verspricht eine hohe Rendite auf dem Rücken der Billiglohn-Beschäftigten. Das „Vorzeige“-Callcenter der Arcandor AG – ehemals KarstadtQuelle – arbeitet nicht nur für den eigenen Bedarf, sondern auch für andere Anbieter. Arcandor schreibt sich Nachhaltigkeit und soziales Engagement auf die Homepage, aber in Berlin wird an dem Lohn der Beschäftigten gespart. Der Stundenlohn des neuen Arcandor-Callcenters liegt mit 6 Euro weit unter dem Üblichen. Im Vergleich zu dem alten Berliner Quelle-Callcenter haben sich die Lohn und Arbeitsbedingungen erheblich verschlechtert. Mitarbeiter/innen werden oft über Zeitarbeitsfirmen beschäftigt und haben damit keine Arbeitnehmerrechte. Werden Arbeitslose eingestellt, gibt es pro Vermittlung 2000 Euro. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass das Unternehmen für das neue Callcenter Investitionshilfen des Senats erhalten hat. Arcandor entließ dafür seine Mitarbeiter/innen in Leipzig, Chemnitz und Essen. Die Berlin Partner GmbH, die im Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen Firmen bei der Ansiedlung in Berlin unterstützt, bietet eigens ein „Callcenter Recruiting Package“ an. Es wird damit geworben, dass es möglich ist, rund um die Uhr geöffnet zu sein, dass es eine große Anzahl an hochqualifizierten Mitarbeitern gibt, die für wenig Geld arbeiten, mit „Lohnkosten unter dem Bundesdurchschnitt“, sowie mit vielen Studierenden, die flexibel und billig sind. Laut der aktuellen Sozialerhebung des Studentenwerks müssen 60% der Studierenden ihr Studium durch Jobben finanzieren.

Kostenloses Potenzial

Die Studie „Kreativwirtschaft am Wirtschaftsstandort Kreuzberg-Friedrichshain“ vom Januar 2008 zeigt, dass Kunst und Kultur viel Geld in die Unternehmenskassen spülen. Von über drei Milliarden Euro des jährlichen Wirtschaftsumsatzes im Bezirk wird jeder dritte Euro durch die sogenannten „Kreativen“ erwirtschaftet, wie eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt. Jedoch profitieren nur die großen Unternehmen wie MTV oder Universal von dem Boom. Viele der Kreuzberger und Friedrichshainer Kreativen können kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten und sind häufig auf mehrere Jobs oder Leistungen aus dem Jobcenter angewiesen. Statt sinnvoller Fördermaßnahmen offeriert der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nun im Werbeblatt des Investorenvereins „Mediaspree e.V.“ ortsansässigen Künstler/innen einen zweckgebundenen Aktionsfonds. Dort wird als sogenannte „Win-Win“-Situation gepriesen, wenn Künstler/innen sich für geringes Entgelt um die Imagebildung des „neuen“ Kreuzbergs bemühen. Kunst wird zum Standort- und Werbefaktor degradiert. Zur Verschönerung willkommen, werden sich viele der Kreativen den umstrukturierten Bezirk nicht mehr leisten können. Aktuelles Beispiel: Ein Investor will das Goldene Haus in Stralau, das bisher kleine Plattenlabels und Gewerbetreibende beherbergt, nun dem Luxuswohnsegment zuführen.

Neoliberale Stadtumstrukturierung

„Mediaspree“ verdeutlicht, dass es in dieser Form der Stadtentwicklung nicht um die Lebensqualität der Bewohner/innen geht. Wir erleben vielmehr Verarmung und den Ausverkauf des öffentlichen Lebens. Die atypische Beschäftigung greift um sich und verdrängt reguläre Arbeit. Die „Workfare“-Offensive hat begonnen, nicht nur mit den 1-Euro-Jobs im öffentlichen Sektor, sondern auch bei den Mini-Jobs und im Niedriglohnbereich, die mit Arbeitslosengeld II aufgestockt werden. Abgesehen von der Misere der Betroffenen, ist der volkswirtschaftliche Nutzen solcher „Jobs“ fraglich. Mit öffentlichen Mitteln in Millionenhöhe wird die Profitmaximierung von Groß-Unternehmen subventioniert (Arcandor, Anschutz Entertainment, MTV und Universal). Es geht um die Interessen der Immobilien- und Finanzwirtschaft statt um die Bedürfnisse der Berliner Bevölkerung, um kurzfristige Profite für wenige statt langfristiger Effekte für alle und um Großprojekte statt um Vielfalt und Einbeziehung lokaler „Mikroprojekte“ und Alternativen. Gerade für letzteres ist Berlin aber bekannt. Bezirkliche Initiativen wie „Mediaspree versenken“ oder auch der Gemeinschaftsgarten „Rosa Rose“ fordern die Berücksichtigung der Interessen der Berliner/innen ein – für ein lebenswertes Berlin!

Workfare

Der Begriff Workfare („Arbeitspflicht“) bezieht sich auf das englische Wort Welfare („Wohlfahrt“). Workfare bezeichnet ein System der Kontrolle, Mobilisierung und Betreuung von Langzeiterwerbslosen, das auf einem Gegenleistungsprinzip beruht. Sozialleistungen werden in diesem System nur noch gezahlt, wenn die Erwerbslosen der Pflicht zur Arbeit nachkommen (sprich: Nur wer arbeitet, soll auch Sozialleistungen erhalten); die Erwerbslosen sind in diesem System weitgehend recht- und schutzlos.

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