MieterEcho 329/August 2008: Sozialpass statt Sozialismus

MieterEcho

MieterEcho 329/August 2008

Quadrat TITEL

Sozialpass statt Sozialismus

Der rot-rote Senat will Empfänger/innen von Existenzsicherungsleistungen am Leben teilhaben lassen – Geringverdiener/innen bleiben ausgenommen

Christian Linde

Privatisierung von Wohnungsbaugesellschaften, Wasserpreiserhöhungen, höhere Kita-Kosten, ein überteuertes „Sozialticket“ und Kürzungen im Jugendbereich. Beispiele aus dem ,Katalog der Grausamkeiten’, der von der rot-roten Koalition seit Regierungsantritt im Jahr 2001 abgearbeitet wurde. Höchste Zeit für eine positive Nachricht. Hatte Frauen- und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die Linke) bei der letzten Klausurtagung im idyllischen Templin in Brandenburg seine Partei noch vor der Entwicklung zu einer „Arbeitslosen- und Hartz-IV-Partei“ gewarnt, hat diese nun in der Koalition mit der SPD einen Sozialpass für Berlin durchgesetzt. Einführen will die Landesregierung das Papier im Herbst unter der Bezeichnung „Berlin-Pass“.

Menschen, die Sozialtransferleistungen erhalten, soll damit die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben in der Stadt erleichtert werden. Ab kommendem Jahr sollen Bedürftige dadurch in den Genuss von Preisnachlässen für bestimmte Dienstleistungen kommen. Die Vorlage kommt aus der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Mit dem Pass sollen bereits vorhandene Ermäßigungen und Vergünstigungen für Freizeit- und Kulturangebote sowie im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gebündelt werden. Es ist vorgesehen, das Angebot schrittweise zu erweitern. „Der Pass soll an Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe, Grundsicherungsrente, Arbeitslosengeld II und von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sowie zum Haushalt gehörende Personen ausgegeben werden“, heißt es in der Senatsvorlage. Bisher gibt es das Sozialticket im Personennahverkehr und das „Drei-Euro-Kulturticket“ für ermäßigte Theater- und Opernkarten. Darüber hinaus verfügt Berlin in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen – Kultur, Bildung, Soziales und Sport – über ein Spektrum an Ermäßigungen und Vergünstigungen, die nun in den Sozialpass integriert werden sollen. Der Senat hofft, dass sich nicht nur öffentliche Einrichtungen, sondern auch private Firmen am Sozialpass beteiligen und „im Sinne einer solidarischen Stadtgesellschaft“ Vergünstigungen anbieten. „Der Pass soll als einheitlicher, allgemeingültiger Berechtigungsnachweis etabliert werden“, so die Vorstellung von Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Die Linke). Zählt man Erwerbslose und Familienangehörige zusammen, leben in Berlin etwa 580.000 Menschen von Leistungen nach dem SGB II. Darüber hinaus leben rund 100.000 Menschen von Sozialhilfe, etwa 28.000 Rentner/innen erhalten Grundsicherungsgeld und 12.000 Menschen bekommen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Allerdings: Nicht berücksichtigt werden bei der Maßnahme die Hunderttausenden von Geringverdiener/innen, deren Einkommen nur knapp über den Sozialtransferleistungen liegen. Ein entsprechender Antrag, eingebracht in der letzten Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses von Bündnis 90/Die Grünen, ist mit der Stimmenmehrheit der rot-roten Koalition abgelehnt worden.

Auf der Internet-Plattform „Hartz-IV-Forum“ heißt es zur Einführung des Sozialpasses in einem Kommentar: „Besser wäre, damit einen Rabatt in Supermärkten zu bekommen, damit die Berliner den Speiseplan einhalten können.“

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 329