MieterEcho 329/August 2008: Editorial

MieterEcho

MieterEcho 329/August 2008

Quadrat EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

in der Regel ist es erfreulich, wenn das MieterEcho mit Interesse zur Kenntnis genommen wird. Das letzte MieterEcho brachte eine deutliche Resonanz, doch die Freude war nicht ungetrübt. Zum Beitrag „Schwarzfahrt ohne Sanktion“ (MieterEcho Nr. 328) haben die MieterEcho-Redaktion zahlreiche Reaktionen aus der Leserschaft erreicht. In diesem Beitrag wurde berichtet, dass zukünftig Menschen, die Anspruch auf ALG II haben, für einen Übergangszeitraum eine Bescheinigung erhalten können, die gegenüber der BVG ein Ticket ersetzt. Neben ausdrücklichem Lob darüber, dass sich in der Haltung der BVG-Verantwortlichen gegenüber mittellosen Menschen offenbar eine grundsätzliche Änderung vollzieht, gab es auch Nachfragen von Mitarbeiter/innen sozialer Einrichtungen. Hierzu stellen wir klar: Der Artikel fasst die Darstellungen mehrerer Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Leben mit Obdachlosen über eine Verständigung mit dem Vorstandsvorsitzenden der BVG, Andreas Sturmowski, zusammen (Stand April 2008). Demnach wurde vereinbart, dass mit der Bescheinigung für sechs Wochen die kostenlose Nutzung der BVG möglich sein soll. Der Beitrag nennt keinen Zeitpunkt, ab dem die zwischen Vertretern der Arbeitsgemeinschaft und der BVG geschilderten Verabredungen in Kraft treten sollen. Er berichtet lediglich von der grundsätzlichen Einigung auf ein Verfahren. Des Weiteren wird ausgeführt, dass nicht einzelne soziale Einrichtungen, sondern ausschließlich die Arbeitsgemeinschaft Leben mit Obdachlosen berechtigt sein soll, die entsprechenden Bescheinigungen auszustellen (ein Entwurf für eine solche Bescheinigung liegt der MieterEcho-Redaktion vor).

Wir sind guter Hoffnung, dass die zurzeit noch auftauchenden Irritationen und Umsetzungsprobleme vor allem ferienbedingten Kommunikationsschwierigkeiten geschuldet sind und recht bald beseitigt werden können. Die BVG als städtisches Unternehmen hat schließlich neben der verkehrspolitischen auch eine sozialpolitische Verpflichtung. Das scheint nicht gänzlich vergessen worden zu sein, auch wenn die Bemühungen des Hauses Sarrazin nicht abreißen, jedes Politikfeld gnadenlos zu einem ungeliebten und nur widerwillig geduldeten Kostgänger der Finanzpolitik zu erklären. Das MieterEcho wendet sich nicht gegen eine kluge Finanzpolitik, das soll hier ausdrücklich betont werden, ist aber weit davon entfernt, in den demagogischen Äußerungen und Maßnahmen des Senators eine solche zugunsten der Stadt Berlin erkennen zu können. Der Finanzsenator zählt zwar anderen gerne die Bissen im Munde nach, gibt aber keine Antwort, warum er – wie im Fall der GSW – vollkommen parasitäre Investoren mit Preisnachlässen in dreistelliger Millionenhöhe beglückt.

Übertriebene Großzügigkeit gegenüber Investoren paart sich mit zwangsneurotischer Kleinlichkeit gegenüber sozial Schwachen. Vollkommen unverantwortlich ist dabei, alle der Stadt Berlin entstehenden Folgekosten zu ignorieren. An vielen weiteren Beispielen ließe sich diese Unverantwortlichkeit verdeutlichen, und es steht zu befürchten, dass die sich zurzeit in Überarbeitung befindende „AV-Wohnen“ (die Regelung für die Wohnkosten der ALG-II-Berechtigten) der Beweiskette ein neues Glied hinzufügen wird. Doch wenn diese Stadt nicht nur die Beute von Finanzinvestoren werden soll, sondern ihre soziale Mischung behalten will, muss dieser Politik ein Riegel vorgeschoben werden. Auf der in diesem Heft auf Seite 8 angekündigten Veranstaltung „Wie weiter mit der AV-Wohnen?“ kann sich mit der Problematik ausführlicher beschäftigt werden.

Ihr MieterEcho

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