MieterEcho 328/Juni 2008: Right To The City Alliance

MieterEcho

MieterEcho 328/Juni 2008

Quadrat BERLIN

„Weil wir in Städten leben, haben wir das Recht zu bestimmen, wie diese Städte aussehen.“

Die Organisation „Right To The City Alliance“ kämpft in den USA für das „Recht auf die Stadt“

Interview mit Rickke Mananzala von der „Right To The City Alliance“

Das „Recht auf die Stadt“ ist ein Konzept, das in jüngster Zeit verstärkt das Interesse von sozialen Bewegungen und städtischen Aktivist/innen gefunden hat. Erst im April 2008 fand eine Tagung im Berliner Mehringhof statt, auf der das vom französischen Philosophen Henri Lefebvre vor 20 Jahren erfundene „Recht auf die Stadt“ im Mittelpunkt stand. In den USA wurde im letzten Jahr die „Right To The City Alliance“ gegründet, die als Dachorganisation Mietervereine, Immigrantengruppen und Non-Profit-Organisationen zusammenbringt. Mit Rickke Mananzala, einem der Organisatoren der „Right To The City Alliance“, hat das MieterEcho ein Interview geführt.

Was ist die „Right To The City Alliance“? Wer hat sich in diesem Bündnis zusammengefunden und wie kam es dazu?

Die „Right To The City Alliance” ist eine landesweite Organisation, die ihre Basis in den Großstädten New York, Miami, Washington, New Orleans, Providence, San Francisco, Los Angeles und Oakland hat. Der Grund, warum wir uns zusammengefunden haben, ist die Situation in unseren Städten: Mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und mit der Globalisierung haben sich die Städte radikal verändert. Sie werden heute in einer Art und Weise restrukturiert, die vor allem der globalen Ökonomie nutzt und nicht den Bewohner/innen. Die Ergebnisse, die wir überall in den USA beobachten können, sind explodierende Mieten, die Verdrängung von Arbeitern, Schwarzen, Latinos und Leuten asiatischer Herkunft und die Umwandlung von ganzen Vierteln in Luxuswohnungen, Einkaufszentren und Touristenattraktionen.

Glossar:

Right To The City = Recht auf die Stadt
Alliance = Bündnis, Allianz, Zusammenschluss usw.
Public land for public good = Öffentlicher Grund und Boden zum Wohl der Allgemeinheit
Communities = Gemeinden (sowohl im sozialen als auch im stadträumlichen Sinn)
Public Housing = wörtlich: öffentlicher Wohnungsbau

Um dem entgegenzutreten, haben wir uns im Januar 2007 zusammengefunden und ein strategisches Konzept entwickelt, das auf drei Säulen fußt. Erstens haben wir die Strategie, lokale Kämpfe – die absolut notwendig sind – auf einer nationalen Ebene zusammenzubringen. Zweitens haben wir konkrete Forderungen entwickelt. Dabei gibt es sozusagen zwei Sorten: Einerseits versuchen wir Veränderungen durchzusetzen, die das Leben in armen Communities tatsächlich verbessern können. Das sind Themen wie Wohnungsbauförderung, Flächennutzungspläne etc. Andererseits haben wir eine Reihe von Forderungen in unserem Programm, die eher gegenhegemonial sind und die Art und Weise, wie über städtische Probleme geredet wird, verändern sollen. Wenn wir z. B. fordern „Public land for public good“, dann ist das natürlich keine konkrete Forderung, die morgen umgesetzt werden kann. Wenn man diese Losung aber in Bezug setzt zu der von uns gelebten Realität und die Geschehnisse in unseren Städten daraufhin abklopft, dann merkt man schnell, dass hier was nicht stimmt und dass wir was verändern müssen. Und drittens versuchen wir schließlich mit der „Right To The City Alliance“ akademische Diskussionen und soziale Bewegungen in einer gemeinsamen Analyse zusammenzubringen, sodass wir nicht nur verstehen können, was in unseren Städten passiert, sondern auch, warum es passiert und was dagegen getan werden kann.

Was versteht ihr genau unter einem „Recht auf die Stadt“? Was soll dieses Recht beinhalten? Und warum ist es ein „Recht“?

Das „Recht auf die Stadt“, wie es Lefebvre formuliert hat, ist das Recht auf demokratische Teilhabe an der Gestaltung der Stadt. Es beinhaltet das Recht aller Bewohner/innen, an Entscheidungen, die das städtische Leben betreffen, demokratisch mitwirken zu können. Es ist das universelle Recht, in Städten zu leben, zu arbeiten, zu spielen und sich eine Gesellschaft aufzubauen. Es ist ein universelles Recht, das nicht davon abhängig gemacht werden kann, ob jemand Geld hat oder nicht. Die Idee ist: Weil wir in Städten leben, haben wir das Recht zu bestimmen, wie diese Städte aussehen. Bei dem „Recht auf die Stadt“ geht es also darum, das Konzept von Menschenrechten sozusagen zu urbanisieren.

Aber was heißt das in der Praxis? Was verändert sich, wenn man von einem „Recht auf die Stadt“ spricht?

Es macht deutlich, wie unsere Städte tatsächlich funktionieren. Es gibt z. B. die allgemeine Ansicht, dass man ein Recht auf eine gute Wohnung hat, wenn man Geld hat. Wenn man kein Geld hat, hat man in unserer Gesellschaft kein Recht auf eine gute Wohnung. Das ist doch verrückt! Indem man ein gleiches Recht auf Teilhabe an der Stadt fordert, kann man ganz anders über solche Probleme reden und man kann konkrete Forderungen aus einem grundlegenden Recht ableiten. Man kann zeigen, wie verrückt dieses System ist, wie traurig der Zustand unserer Städte ist und warum wir das verändern wollen.

Und wie setzt ihr das in eurer praktischen Arbeit um?

Eine gute Frage, auf die ich keine abschließende Antwort geben kann. Wir arbeiten noch daran, herauszufinden, wie das am besten geht. Es ist ja nun so, dass es in New York keinen Mangel an Gruppen gibt, die sich mit Themen beschäftigen, die mit dem „Recht auf die Stadt“ zusammenhängen. Allerdings sind die meisten Gruppen auf ihre Nachbarschaft fokussiert, oder bearbeiten nur ein bestimmtes Thema. Mit der „Right To The City Alliance“ versuchen wir ein Instrument zu bieten, um sich auch über einzelne Stadtteile und über einzelne Themen hinaus zu organisieren. Wir versuchen, eine Art Anker zu sein, an dem einzelne Gruppen und Themen andocken können. Unser Fernziel ist eine städtische soziale Bewegung.

Du beschreibst die „Right To The City Alliance“ als landesweite Organisation. Was bedeutet das konkret? Geht es hier eher um ein Netzwerk für den Austausch von Erfahrungen oder entwickelt ihr auch gemeinsame politische Projekte?

Beides. Auf jeden Fall funktioniert das Bündnis schon jetzt sehr gut, wenn es darum geht, Erfahrungen auszutauschen. Wir haben hier in New York zum Beispiel mit ein paar Immobilienentwicklern zu tun, die bereits in Los Angeles aktiv waren und da haben wir von unseren Mitstreiter/innen in Los Angeles eine Menge nützliche Informationen bekommen können, mit denen wir hier arbeiten. Aber das Bündnis muss natürlich mehr als das sein. Da die Bedingungen, unter denen wir lokal leben müssen, auf der nationalen Ebene verhandelt werden, müssen wir einfach auch in die nationale Debatte einsteigen. Wir haben deshalb vier Arbeitsgemeinschaften entwickelt, in denen Leute aus den verschiedenen Städten landesweit zusammenarbeiten. Diese Arbeitsgemeinschaften sind: Sozialer Wohnungsbau (Public Housing), bürgerschaftliches Engagement, Mieterorganisation und New Orleans. Die AG New Orleans ist ein bisschen ungewöhnlich, weil sie Aktivist/innen aus verschiedenen Regionen um ein Thema vereint, das nur ein Gebiet betrifft. Der Grund ist einfach, dass New Orleans zurzeit der größte und dramatischste Fall von Verdrängung ist. Hier kommt eine Naturkatastrophe zusammen mit einem Abbau öffentlicher Kontrolle, mit einer neoliberalen Neuordnung der gesamten Stadt, der Zerstörung von Sozialwohnungen, der Yuppisierung und der Vertreibung armer Bewohner/innen – und deshalb haben wir uns entschieden, einen Schwerpunkt unserer Arbeit auf diese Region zu legen.

Die AG zu Public Housing hingegen ist etwas konventioneller. Da ist es einfach so, dass die förderale Ebene entscheidet, wo Gelder fließen und wofür sie ausgegeben werden und so ist es auch klar, dass wir da Einfluss nehmen müssen. Unsere konkrete Forderung ist hier mit der Zerstörung von Sozialwohnungen aufzuhören und dafür arbeiten wir natürlich mit anderen Organisationen zusammen und versuchen, das Thema an die Politiker heranzubringen. (Im Rahmen des Hope-VI-Programms werden derzeit überall in den USA Sozialwohnungen ersatzlos abgerissen, um die Ballung von Armen in bestimmten Gebieten zu verringern, siehe auch MieterEcho Nr. 307.)

Und wie funktioniert das organisatorisch?

Wir haben einen landesweiten Beirat, in dem ein Vertreter für jede Region sitzt. Der verständigt sich monatlich mittels einer Telefonkonferenz und trifft sich alle zwei Monate persönlich. Die Arbeitsgruppen organisieren sich unterschiedlich. Für alle Mitglieder gibt es zweimal im Jahr eine große Mitgliederversammlung. Die Beteiligung ist dabei sehr unterschiedlich – bislang waren zwischen 25 und 130 Leute dabei. Die Jahrestreffen sind immer total anregend, aber sie sind auch ein höllischer organisatorischer Aufwand. Da wir alle kein Geld haben, können wir nicht auf Hotels setzen und du kannst dir ja vorstellen, was es heißt, für über 100 Leute eine möglichst preiswerte Anreise, Unterkunft und Verpflegung zu organisieren.

Das nächste Mal werden wir uns übrigens Ende Juni in Miami treffen, wo zeitgleich die Versammlung der Bürgermeister tagt. Wir haben für diese Gelegenheit ein 10-Punkte-Programm entwickelt, das wir dann gleich mit einer Demonstration und mit Aktionen an die Öffentlichkeit bringen wollen. Dieses Treffen ist wirklich ein ganz gutes Beispiel für unsere Arbeit: Wir nutzen unsere nationale Organisierung, um lokale Angelegenheiten auf eine nationale Ebene zu heben.

Das ist ja ein ziemlicher Aufwand und eine Menge Arbeit. Wie finanziert ihr das alles?

Hier in den USA gibt es eine Reihe von Stiftungen, die unsere Art von Engagement fördern. Wir stecken viel Arbeit in die Geldbeschaffung und schreiben eigentlich fortlaufend Förderanträge. Es ist natürlich einerseits gut, dass es solche Stiftungen gibt, denn ohne deren Geld wäre vieles, was wir machen, gar nicht möglich. Auf der anderen Seite gibt es auch Probleme mit dieser Art der Finanzierung, weil sie uns sozusagen an die jeweiligen Förderziele der Stiftungen bindet. Außerdem gibt es natürlich die Tendenz einer Spaltung innerhalb unserer Organisationen zwischen den Aktivist/innen, die einen Job bei der Gruppe haben und denen, die ihre Arbeit in ihrer Freizeit erledigen. Das sind tatsächlich Probleme. Aber wir leben einfach nicht mehr in den 70ern, wo man leicht mal ein Jahr blau machen konnte. Um die Ressourcen zu kriegen, die wir brauchen, haben wir einfach keine Alternative!

Obwohl ihr eine nationale Organisation seid, besteht ihr gleichzeitig aus vielen selbstständigen lokalen Gruppen. Worin besteht eigentlich der Vorteil für eine lokale Gruppe, wenn sie bei euch mitmacht?

Zunächst konzentrieren wir uns auch als landesweites Bündnis auf Themen, bei denen auch für die lokale Ebene etwas rauszuholen ist und bei denen die Chance besteht, dass die Lebensbedingungen vor Ort konkret verbessert werden können. Wir versuchen also so zu arbeiten, dass es sich für lokale Gruppen auch „lohnt“ mitzumachen. Andererseits sehen wir unser Ziel aber auch darin, langfristig eine städtische soziale Bewegung aufzubauen. Wir versuchen deshalb eher eine Haltung zu befördern, die nicht andauernd fragt: „Was kriege ich konkret noch in diesem Jahr für mein Engagement?“ Und schließlich ist unsere Erfahrung die, dass ein Bezug auf einen gemeinsamen Rahmen dazu führen kann, dass lokale Auseinandersetzungen auch in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit erfahren und anders wahrgenommen werden. Auf diese Weise haben wir es z. B. geschafft, dass die mit der Privatisierung einhergehende Vertreibung von Homosexuellen von der Uferpromenade in Chelsea in der Öffentlichkeit nicht nur als „Schwulenthema“ wahrgenommen wurde, sondern als Bestandteil der Gentrifizierung von Manhattan und als Ausdruck einer neoliberalen Stadtpolitik.

Wir danken für das Gespräch und wünschen der „Right To The City Alliance“ noch viel Erfolg.

Das Interview führte Matthias Bernt.

Weitere Infos: www.righttothecity.org

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