MieterEcho 328/Juni 2008: Premium-Quartier am Hauptbahnhof

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MieterEcho 328/Juni 2008

Quadrat BERLIN

Premium-Quartier am Hauptbahnhof

Am Beispiel der stillgelegten Bahngelände lässt sich wunderbar verfolgen, wie innerhalb weniger Jahre Allgemeingüter in privaten Immobilienbesitz verwandelt werden

Christoph Villinger

Warum befinden sich seit Anfang des Jahres etwa die Hälfte der Filet-Grundstücke rund um den Berliner Hauptbahnhof im Besitz eines börsennotierten österreichischen Immobilienfonds? Anfang der 90er Jahre gliederte die Deutsche Bahn AG „nicht mehr betriebsnotwendige“ Bahngelände in den deutschen Innenstädten aus ihrem Besitz aus und überführte sie im Laufe der Jahre in eine Verwertungsgesellschaft. Diese – genannt Vivico Real Estate – bekam 2001 den Auftrag, diese Liegenschaften mit maximalen Gewinnen zu vermarkten. Vor wenigen Monaten verkaufte die Bundesrepublik als Eigentümerin das ganze Paket an den österreichischen Immobilienfonds CA Immo. Und so gehört nun ein Teil des Geländes rund um den Berliner Hauptbahnhof einem privaten Investor, ebenso wie Grundstücke entlang der Heidestraße, am Gleisdreieck und an der Warschauer Brücke.

Natürlich lief dieser Prozess der Umwandlung von öffentlichem Eigentum in Privatbesitz nicht ganz so bruchlos ab, wie es in der Rückschau aussieht. Ab Anfang der 90er Jahre legte die Bahn immer mehr Post- und Güterbahnhöfe in den Innenstädten still. Dieser Prozess fand nicht nur in Berlin, am Gleisdreieck und am Ostbahnhof, sondern ebenso in Frankfurt/ Main oder München statt. Gleichzeitig tat sich die Bahn als bürokratischer Apparat unglaublich schwer, diese Gelände für eine alternative Nutzung freizugeben. Erst im Rahmen der Bahnreform 1993/94, als die Bundesbahn der BRD und die Reichsbahn der DDR in der Deutschen Bahn AG zusammengeführt wurden, übertrug die Bahn AG dem Bund eine Vielzahl von Liegenschaften, die für den eigentlichen Bahnbetrieb nicht mehr notwendig waren. Dafür übernahm der Bund im Gegenzug einen Großteil der Schulden und beteiligte sich zum Beispiel am Ausbau der ICE-Strecken.

Vivico privatisiert

Die Vivico Real Estate ging 2001 aus der Grundstücksgesellschaft für Eisenbahnimmobilien hervor und befand sich vor dem Verkauf zu 100% im Besitz der Bundesrepublik Deutschland. Von den insgesamt 6,9 Millionen Quadratmetern Grundstücksfläche der Vivico liegen 40% in Berlin. Am 4. Dezember 2007 wurde die Vivico nach einem Bieterverfahren für 1,03 Milliarden Euro an die österreichische Immobilien-AG CA Immo verkauft. Die CA Immo wurde 1987 gegründet und besitzt derzeit ein Immobilienvermögen von 3,8 Milliarden Euro, überwiegend in Österreich und Deutschland sowie in Ost- und Südosteuropa.

Rund 3000 ehemalige Immobilien der Bahn wurden ab 1996 in der Eisenbahnimmobilien Management GmbH (EIM) zusammengeführt. Deren Auftrag war es, diese innerhalb der nächsten 15 Jahre zu verkaufen, was den Managern der EIM bei rund 1000 Grundstücken auch gelang. Doch dann stockte das Geschäft, unter anderem „weil der Verkauf größerer Flächen die Aufnahmefähigkeit lokaler Märkte überfordern“ könnte. Sprich, wenn genügend Flächen für Neubauten da sind, könnten die Grundstückspreise ja sinken und da nimmt der Bund gerne Rücksicht auf die Stabilität der Preise. Da selbst bei einem Neubau rund die Hälfte der Kosten durch den Grundstückserwerb entsteht, könnten fallende Grundstückspreise deutlich sinkende Mieten zur Folge haben.

Vivico als Projektentwickler

Im März 2001 wurde dann das EIM in die Vivico Real Estate umgewandelt. Eigentümer der Vivico waren nun mit 94,99% das Bundeseisenbahnvermögen und mit 5,01% die Bundesrepublik Deutschland. Ihren neuen Auftrag sah die Vivico nun nicht mehr im Verkauf einzelner Liegenschaften, sondern sich mit den verbliebenen rund 2000 Grundstücken als „Entwickler, Vermarkter und Investor mit einem Portfolio, das konsequent auf innerstädtische Premium-Lagen zugeschnitten ist“ zu betätigen. Dabei will man sich auf die „wichtigsten deutschen Wachstumszentren konzentrieren“. Insgesamt besitzt die Vivico eine Grundstücksfläche von rund sieben Millionen Quadratmetern sowie bundesweit zahlreiche Büro- und Gewerbekomplexe. Ende 2007 beschäftigte die Vivico etwa 135 Mitarbeiter/innen und verfügt über Niederlassungen in Berlin, Frankfurt/Main, Köln sowie in München.

In sämtlichen Städten konzentriert sich die Vivico auf die Entwicklung von hochwertigen „Premium-Quartieren“. Zum Beispiel entsteht in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs auf dem ehemaligen Containerbahnhof mit einer Fläche von 18 Hektar „ein erstklassiger Standort für Unternehmen und qualitativ hochwertiges innerstädtisches Wohnen“, der sogenannte „Arnulfpark“. Wenige Meter weiter am S-Bahnhof Laim kokettiert die Vivico durch das „Schlossviertel Nymphenburg“ gar mit dem Adel. Rund 1000 Wohnungen sind hier geplant, Baubeginn des ersten Abschnitts war bereits 2006. Dass die Stadt München keinen Platz für eigenen sozialen Wohnungsbau findet und für Bahnbedienstete Wohnungen in der Münchener Innenstadt glatt unbezahlbar sind, erwähnt die Vivico in ihren Werbebroschüren natürlich nicht. Ebenso verhält sich die Vivico in Frankfurt/Main, wo in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs auf dem Gelände des ehemaligen Güter- und Rangierbahnhofs das „Europaviertel“ entsteht.

Neue Stadtteile am Hauptbahnhof

In Berlin plant die Vivico vor allem das „Lehrter Stadtquartier“ entlang der Heidestraße in unmittelbarer Nachbarschaft des neuen Berliner Hauptbahnhofs. Hier gehört mit 20 Hektar rund die Hälfte der Grundstücke der Vivico, die anderen Eigentümer sind unter anderem noch die Bahn AG, das Land Berlin, die Post AG und die Aurelis Immobiliengruppe. Die Vivico kündigte bereits an, etwa die Hälfte ihrer Grundstücke selbst bebauen zu wollen. Der Vivico gehören aber auch die Grundstücke, auf denen am nördlichen Bahnhofsvorplatz ein Hochhaus sowie auf dem südlichen Bahnhofsvorplatz ein freistehender „Kubus“ gebaut werden sollen. Dazu kommen noch fünf weitere Baublöcke südlich der Bahntrasse, auf denen „neben hochwertiger Büronutzung, Hotels sowie Läden, Gastronomie und ergänzende Dienstleistungsangebote“ entstehen sollen.

Verkauf an österreichische Immobiliengesellschaft

Zum Jahreswechsel verkaufte nun der Bund die Vivico nach zweijähriger Vorbereitung für 1,03 Milliarden Euro an den österreichischen Immobilienfonds CA Immo, der sich zu 90% in Streubesitz befindet. Im vergangenen Jahr hatte die CA Immo dem Land Hessen bereits Behörden, Gerichtsgebäude und Polizeistationen für 800 Millionen Euro abgekauft. Zusammen mit weiteren Liegenschaften im Gesamtwert von etwa 1,5 bis 2 Milliarden Euro will die CA Immo diese bis zum Herbst dieses Jahres am Frankfurter Aktienmarkt platzieren und dabei den steuerbegünstigten Status eines Real Estate Investment Trusts (REIT) anstreben.

Gefragt, welche stadtpolitische Bedeutung diese Privatisierung habe, gibt sich Franziska Eichstädt-Bohlig, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus gelassen. „Die Vertreter der Vivico schauten schon seit Jahren nur auf die maximale Verwertung“, sagt sie als Mitglied des Ausschusses für Stadtentwicklung, „daher ist es für uns nichts Neues, wenn die Vivico nun in privater Hand ist.“ Doch immerhin habe die Vivico in den letzten Jahren gelernt, dass Stadtentwicklung nicht von allein funktioniere. Sie befürchtet nun, dass mit den neuen Herren im Hause Vivico die Diskussionen noch einmal von vorne beginnen. Doch inzwischen haben wohl alle Immobilienentwickler gelernt, dass die Aufwertung eines Stadtteils auch von weichen Faktoren begleitet werden muss. So finanziert die Vivico großzügig sechs Galerien in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs als Kunst-Campus, der wiederum zum geplanten Stadtquartier an der Heidestraße gehört.

Andere Wege für die Stadt?

Eine andere Alternative wird gar nicht mehr gedacht: Welche Stadtteile hätten entstehen können, wenn zum Beispiel das Gelände entlang der Heidestraße nicht maximal verwertet werden würde? Stattdessen wäre hier für ein buntes Sammelsurium von Alternativprojekten genügend Platz. Mühsam kann der Berliner Liegenschaftsfonds selbst für so urbürgerliche Projekte wie Baugemeinschaften gerade mal fünf Bauplätze in der Innenstadt ausweisen. Und was für ein Park hätte am Gleisdreieck entstehen können, wenn das im Prinzip schon volkseigene Gelände einfach ohne den Umweg über die vielen Kompromisse mit der Vivico in einen Park umgewandelt worden wäre?

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