MieterEcho 328/Juni 2008: Bestechung in Berlin

MieterEcho

MieterEcho 328/Juni 2008

Quadrat BERLIN

Bestechung in Berlin

Bei der Korruptionsbekämpfung weisen die Bezirke erhebliche Mängel auf

Christian Linde

Vorteilsnahme und Schmiergeld sind Stichworte, die nicht nur wie im Fall Siemens in Zusammenhang mit Großkonzernen fallen. Auch wenn Politiker Aufsichtsratsposten erhalten oder verlassen, ist das häufig von entsprechenden Diskussionen begleitet. Gefälschte Spendenquittungen, Überweisungen aufs eigene Konto oder doppelt abgerechnete Bauleistungen spielen aber nicht nur in den oberen Etagen eine Rolle, sondern auch in der politischen Provinz. Aus beiden Sphären schaffen pikante Details über Straftaten eher selten den Sprung in die Schlagzeilen. Vor allem die kommunale Ebene erweist sich als hermetisch, wenn es um öffentliche Angelegenheiten geht.

Ob die knappen Finanzmittel, die den Berliner Bezirken für Infrastrukturaufgaben zur Verfügung stehen, zumindest einer angemessenen Kontrolle unterworfen sind, hat der Verein Transparency International Deutschland untersucht. Grundlage für die Studie waren die vom Senat verabschiedeten Richtlinien zur Korruptionsbekämpfung, die erstmals 1998 der Haupt- und den Bezirksverwaltungen an die Hand gegeben und in einer überarbeiteten Form im März 2007 wirksam wurden. Verbindlich in Kraft getreten sind die Maßgaben allerdings nur für die Landesinstitutionen. Für die Bezirke gelten die Richtlinien lediglich als „Empfehlungen“.

Nach zweijähriger Arbeit lautet das zentrale Ergebnis der Studie von Transparency International: „Das Maß der Umsetzung und die Aufmerksamkeit, die der Korruptionsprävention in den Bezirken gewidmet wurde, sind im Wesentlichen das Ergebnis des politischen Willens der Parteien, der Bürgermeister/innen sowie der Stadträtinnen und Stadträte.“ Und dieser Wille fällt in den zwölf Verwaltungseinheiten der Hauptstadt höchst unterschiedlich aus. Zwar verfügt jeder Bezirk inzwischen über einen „Antikorruptionsbeauftragten“, jedoch sind die Bezirke nur unzureichend vor Korruption geschützt. Vor allem im Bau- und Sozialbereich werde in erheblichem Umfang begünstigt und bestochen. In Friedrichshain-Kreuzberg, Lichtenberg, Neukölln und Tempelhof-Schöneberg, wo eine zentrale Korruptionsgruppe vorhanden ist, ergibt sich ein uneinheitliches Bild. In Neukölln soll demnächst eine zentrale Prüfgruppe eingerichtet werden. Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinickendorf, Mitte und Steglitz-Zehlendorf weisen erhebliche Mängel bei der Korruptionsprävention auf.

Blockade gegen nachhaltiges Kontrollsystem

Ein Herzstück der Richtlinie zur Korruptionsprävention sind zentrale Prüfgruppen für Vergabeverfahren, die in allen Abteilungen anlass- und nichtanlassbezogene Kontrollen vornehmen sollen. In den vier kritisierten Bezirken existieren solche Einheiten nicht. Unangekündigte Überprüfungen lehnen drei dieser Bezirke ab, in Steglitz-Zehlendorf finden diese „sehr selten“ statt. Gleichzeitig fehlen flächendeckende Innenrevisionen. Ein bemerkenswerter Passus in dem Prüfbericht über den Bezirk Mitte: „Ob die Abteilung Stadtentwicklung über eine Innenrevision verfügt, war dem Antikorruptionsbeauftragten nicht bekannt.“ Dort unterbleiben Kontrollen komplett. Weiter heißt es in dem Bericht: „In Reinickendorf gibt es neben den beiden vom Senat vorgeschriebenen Innenrevisionen keine Prüfgruppen. Eine zentrale Prüfgruppe ist politisch nicht gewünscht. D. h. es gibt für vier Abteilungen einschließlich der Bauabteilung keine Routineüberprüfungen und Kontrollen.“ Darüber hinaus verfügen drei der vier Bezirke nicht über sogenannte Gefährdungsatlanten. Diese dienen der Abschätzung ressortspezifischer Korruptionsrisiken und sind dafür unverzichtbar.

Um Korruption aufdecken zu können, sind Ermittler insbesondere auf Insider-Informationen angewiesen. Da in Deutschland Tippgeber keinen besonderen Schutz genießen und sie sich durch ihre Informationsweitergabe oft selbst gefährden, müsste es in jeder Verwaltung die Möglichkeit zu anonymen Hinweisen geben. Obwohl der Senat bereits vor mehr als einem Jahr die Einführung eines elektronischen Hinweisgebersystems beschlossen hat, existiert bisher lediglich ein entsprechender „Ombudsmann“ im Bezirk Spandau. „Wirksame Korruptionsprävention bedarf einer organisatorischen Einheit, die die Einhaltung und Umsetzung von Vorschriften und Gesetzen überprüft. Allein das Wissen um eine mögliche Prüfung wirkt abschreckend“, betonen die Prüfer. „Diese Aufgabe bedarf der ernsthaften Unterstützung der politischen Führung. Sie fehlt in den vier Bezirken.“

Bezirke beklagen Personalmangel

Die Bezirke hingegen verweisen auf die Mitarbeiterausstattung. Das Personal für die operative Umsetzung der Richtlinien sei nur unzureichend vorhanden und vor allem fehlten Mitarbeiter, die eine Kontrollfunktion gegenüber den Behörden ausüben könnten. Sowohl ausgebildete Juristen als auch zentrale Antikorruptionsarbeitskreise, die etwa für die Überprüfung der Vergabe von Aufträgen in den Bauämtern abgestellt werden müssten, stünden nicht zur Verfügung. Dabei bietet die Verwaltungspraxis für Überprüfungen Anlass genug. Im Jahre 2004 mussten nach Angaben des Senats 371 Verfahren wegen Korruption eingeleitet werden. Ein Jahr später waren es bereits 421. Dies sei jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziffer liege weitaus höher. Lediglich rund 10% aller Korruptionsfälle würden bekannt werden. Allerdings fehle es in Berlin durchaus nicht an positiven Beispielen bei der Bekämpfung von Korruption. In einer ganzen Reihe von Bezirken wird diese Aufgabe sehr ernst genommen, so in Pankow, Marzahn-Hellersdorf, Spandau und Treptow-Köpenick. Spandau hat sogar ein eigenes Modell entwickelt und damit 2005 den Internationalen Speyerer Qualitätswettbewerb zur Korruptionsprävention der Kommunen gegen 95 Mitbewerber gewonnen.

„Senat wird seiner Verantwortung nicht gerecht“

Um dem unkontrollierten Treiben mit öffentlichen Mitteln berlinweit zu begegnen, fordern die Korruptionswächter den Senat auf, für die Bezirke Mindeststandards verpflichtend festzuschreiben. So sollte es in jedem Bezirk nicht nur einen Arbeitskreis Antikorruption geben, sondern eine zentrale Prüfgruppe, in die die einzelnen Innenrevisionen der Abteilungen eingebunden sind und die direkt dem Antikorruptionsbeauftragten unterstellt ist. Letzterer sollte ausschließlich den Bürgermeistern verantwortlich sein. Die Bürgermeister sollten in Form eines „Korruptionsberichts“ jährlich vor den Bezirksverordnetenversammlungen Rechenschaft ablegen. Ebenso wichtig sei ein Monitoring, also eine regelmäßige Überprüfung der Korruptionsprävention in den einzelnen Bezirken durch den Senat – ergänzt durch turnusmäßige Untersuchungen seitens des Landesrechnungshofs. Auf besonders korruptionsgefährdeten Arbeitsstellen sollte ein Rotationsprinzip eingeführt werden. Spätestens nach fünf Jahren müsse ein Personalwechsel stattfinden. Dringend erforderlich sei die Einrichtung von zentralen Vergabestellen, um eine Trennung von Planungs-, Ausschreibungs-, Vergabe-, Bauleitungs- und Abrechnungsfunktionen zu erreichen. Für unabdingbar hält Transparency International eine Sponsoring-Richtlinie für jeden Bezirk, die Sponsoring in Bereichen mit hoheitlichem Handeln ausschließt und Transparenz herstellt, wer zu welchem Zweck welche Mittel zur Verfügung stellt und worin die Gegenleistung besteht. Sponsoring parallel zu Bieterverfahren müsse ausgeschlossen werden. Jeder Bezirk sollte einen jährlichen Sponsoringbericht veröffentlichen. Die Querelen im Bezirk Reinickendorf um die Bezirksbürgermeisterin Marlies Wanjura und deren Umgang mit Spendenmitteln, die inzwischen vom Landesrechnungshof geprüft werden, unterstreichen die Notwendigkeit einer Neuregelung.

Ihre grundsätzliche Kritik richtet die Organisation im Übrigen nicht an die Bezirke selbst, sondern an die Adresse der rot-roten Koalition. „Wenn nach zehn Jahren als notwendig erachtete Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung, wie sie in der Richtlinie des Senats aufgeführt werden, in mehreren Bezirken bewusst nicht umgesetzt werden, wird der Senat seiner Verantwortung nicht gerecht.“

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 328