MieterEcho 328/Juni 2008: Monopoly in Kreuzberg

MieterEcho

MieterEcho 328/Juni 2008

Quadrat BERLIN

Monopoly in Kreuzberg

Mieter/innen wehren sich gegen Mieterhöhungen und Aufwertung

Peter Nowak

„Ich ziehe nicht an den Stadtrand“, sagt Martina P.* selbstbewusst. Die Mutter von drei Kindern hat erst letztes Jahr mit einem Wohnberechtigungsschein eine Wohnung in der Reichenberger Straße 119 bezogen. Die Miete war für die 5-köpfige Familie, die zu den ALG-II-Aufstockern gehört, gerade noch erschwinglich. Doch fünf Monate später erfuhr Martina P., dass sie künftig 132 Euro mehr im Monat für ihre Wohnung zahlen soll.

In einem Brief wurden weitere Mieterhöhungen bereits angekündigt. Die Mieter/innen der Reichenberger Straße 119 wurden darüber belehrt, dass die öffentliche Förderung für die Wohnungen weggefallen sei und daher die Mieten unabhängig vom Mietspiegel erhöht werden könnten. Besonders für Erwerbslose oder Menschen mit geringen Einkommen kann ein solches Schreiben im Briefkasten fatale Folgen haben. Eine Nachbarfamilie von Martina P. wurde vom Jobcenter schon zum Umzug aufgefordert, weil die neue Miete über dem für ALG-II-Beziehende vorgesehenen Satz liegt.

Ein Mitarbeiter des Wohnungsamts in Friedrichshain-Kreuzberg, der namentlich nicht genannt werden möchte, bestätigte, dass es sich hier keinesfalls um einen Einzelfall handelt. Vom Wegfall der Schutzfunktion des sozialen Wohnungsbaus sind nach Angaben des Wohnungsamtsmitarbeiters allein in Friedrichshain-Kreuzberg 2246 Haushalte betroffen. Dass man davon in der Öffentlichkeit so wenig hört, liegt nach Meinung des Beamten vor allem daran, dass der große Aufschrei der Mieter bisher ausgeblieben sei. Doch für den Mann aus der Praxis ist das keineswegs überraschend. „Viele Betroffene setzen auf individuelles Krisenmanagement. Sie verschulden sich oder nehmen mehrere Jobs an, um das Geld für die Miete aufzutreiben. Andere wechseln in billigere Wohnungen.“

Wegfall der Schutzfunktion des sozialen Wohnungsbaus

Martina P. will sich nicht einfach aus der Wohnung verabschieden: „Wir haben uns lange dafür eingesetzt, damit wir sie bekommen und auch viel Geld investiert, um sie für uns gemütlich auszustatten.“ Sie denkt an ihre vielen Behördengänge zurück, die sie absolvieren musste, bis sie endlich aus ihrer alten Wohnung ausziehen konnte. Dabei hatte sie nachweisen können, dass die Parterre-Wohnung feucht war und infolge der Schimmelbildung an den Wänden eines ihrer Kinder ständig an Atemwegserkrankungen litt. Besonders erzürnt ist Martina P. über die Informationspolitik der Behörden. So kann die Investitionsbank Berlin-Brandenburg (IBB) in Härtefallen für fünf Jahre einen Teil der Mietkosten übernehmen. Das hat Martina P. allerdings erst nach langwierigen Recherchen erfahren. „Wenn es für mich als studierte Sozialpädagogin schon ein erheblicher Aufwand ist, an diese Informationen zu kommen, wie sollen meine Nachbarn mit rudimentären Deutschkenntnissen davon erfahren“, fragt sich Martina P. Solche Informationen müssten ihrer Meinung nach als mehrsprachiges Faltblatt in den Ämtern ausliegen. Der Beamte aus der Wohnungsbehörde kann diese Kritik gut nachvollziehen. Selbst die Mitarbeiter der zuständigen Ämter seien oft nicht über die Regelungen informiert.

Investorenbesichtigung

Manche Initiativen setzen denn auch weniger auf die Behörden, sondern mehr auf soziale Initiativen. Dazu gehört die Initiative „Mediaspree versenken“, die einen Bürgerentscheid zur Bebauung des Spreeufers initiierte und mit Stadtteilspaziergängen gegen die Aufwertung von Kreuzberg protestiert. Bei dem letzten Spaziergang am 19. April 2008 wurde die Initiative von Mieter/innen der Eisenbahnstraße 48 angesprochen. Diese hatten wenige Tage zuvor erfahren, dass ihre Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollten. Interessierte Käufer hatten sich schon für das letzte Aprilwochenende zur Wohnungsbesichtigung angekündigt. Daraufhin wurde vor dem Haus zur „Investorenbesichtigung“ eingeladen. Investoren sind an diesem Wochenende nicht aufgetaucht. Allerdings wurde deutlich, dass es unter den Mieter/innen der Eisenbahnstraße 48 verschiedene Vorstellungen gibt. Einige haben nichts gegen die Umwandlung in Eigentumswohnungen und waren von der Protestaktion nicht begeistert. Andere Mieter/innen wollten sich nicht öffentlich äußern. Für die Aktivisten der Initiative „Mediaspree versenken“ war die Aktion trotzdem kein Fehlschlag. Schließlich haben sich wieder einmal Mieter/innen zu Wort gemeldet und ihre Interessen öffentlich artikuliert.

Wohnprojekt gefährdet

Auch Ex-Hausbesetzer sind von der Aufwertung des Stadtteils betroffen. So hatten die Bewohner/innen des Hinterhauses der Reichenberger Straße 63a nach einer Besetzung 1990 einen Mietvertrag mit dem Bezirksamt als Träger abgeschlossen. Da nun die Trägerschaft wechseln soll, planen die Eigentümer, die Immobilienfirma Heymann und Kreuels eine Mieterhöhung von ca. 100%. „Das können und wollen wir nicht zahlen“, meinte die Hausbewohnerin Erika Sell. Die Mieter haben unter http://reiche63a.blogsport.de eine Website. Ihr Motto erinnert an alte Kreuzberger Hausbesetzerzeiten: „Kampf der Umstrukturierung. Her mit der Reiche 63a.“

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