MieterEcho 328/Juni 2008: Schwarzfahrt ohne Sanktion

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MieterEcho 328/Juni 2008

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Schwarzfahrt ohne Sanktion

Die Berliner Verkehrsbetriebe räumen mittellosen ALG-II-Berechtigten in der Antragsphase die kostenlose Nutzung von Bahnen und Bussen ein

Christian Linde

Im Umgang mit sogenannten Schwarzfahrern steuern die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) einen Kurswechsel an. Die BVG hat der Forderung von sozialen Initiativen zugestimmt, mittellose Menschen, die ohne gültigen Fahrausweis angetroffen werden, von Verfolgungsmaßnahmen zu verschonen. Damit endet nicht nur ein aufwendiges Katz-und-Maus-Spiel, sondern das Unternehmen verzichtet gegenüber den Betroffenen auch auf eine zum Teil entwürdigende Prozedur. Denn in zahlreichen Fällen endet die Verfolgung, forciert durch Inkassobüros, hinter Gittern. Wird das Bußgeld nämlich nicht entrichtet, treiben diese die Gesamtschuld durch Mahn- und Verwaltungskosten so hoch, dass den Schwarzfahrern am Ende nur die Haftstrafe bleibt.

Die Rechtslage stuft das Vergehen nach § 265a des Strafgesetzbuchs als „Beförderungserschleichung“ ein. Diese gehört zu den Betrugsdelikten. Angestoßen hatte den Vorschlag für die Befreiung vom Beförderungsentgelt die Arbeitsgemeinschaft Leben mit Obdachlosen, ein Zusammenschluss von rund 60 freien und kirchlichen Trägern der Wohnungslosenhilfe.

Bescheinigung sechs Wochen gültig

Insbesondere in den Beratungsstellen tauchen regelmäßig Klienten auf, die bereits mit einem Inkassoverfahren konfrontiert sind. Diesen Hilfebedürftigen stellen die Einrichtungen zukünftig eine „Bescheinigung zur Vorlage bei der BVG“ aus. In dem Papier wird die Mittellosigkeit bescheinigt und für einen Zeitraum von sechs Wochen eine „kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel der BVG“ erbeten. Auf diesen Passus haben sich das Verkehrsunternehmen und die Arbeitsgemeinschaft, die als Koordinator für die Beratungsstellen dient, verbindlich geeinigt. Berücksichtigt werden Menschen, die Anspruch auf Arbeitslosengeld II (ALG II) haben und dieses noch nicht beziehen. Die Vergünstigung soll für den Zeitraum von sechs Wochen, der durchschnittlichen Bearbeitungszeit der Jobcenter für ALG-II-Anträge, gelten. So erspart sich die BVG zukünftig fruchtlose Bemühungen und Kosten. Denn selbst nach eigenen Angaben bleibt der Versuch, das „erhöhte Beförderungsentgelt“ einzutreiben, in den meisten Fällen ohnehin erfolglos. Allein in 2007 hat das Landesunternehmen Fahrgästen, die bei Kontrollen ohne gültiges Ticket angetroffen wurden, rund 12,7 Millionen Euro in Rechnung gestellt. Davon seien jedoch lediglich 4,1 Millionen Euro einzutreiben gewesen. Der Löwenanteil, nämlich 8,6 Millionen Euro, mussten abgeschrieben werden, weil sich die Schuldner als zahlungsunfähig erwiesen hätten.

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