MieterEcho 328/Juni 2008: Schwierigkeiten bei der Wohnraumversorgung

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MieterEcho 328/Juni 2008

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Schwierigkeiten bei der Wohnraumversorgung

Städtische Wohnungsunternehmen vermieten überdurchschnittlich häufig an Beziehende von Arbeitslosengeld II und Geringverdiener – aber die Wohnungen sind in Berlin sehr ungleich verteilt

Andrej Holm

Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften stellen mit ihren etwa 260.000 Wohnungen immer noch eine enorme wohnungspolitische Ressource in Berlin dar. Insbesondere für die Versorgung ärmerer Haushalte tragen die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften erhebliche Verantwortung. Doch der soziale Versorgungsauftrag darf sich nicht nur an Zahlen messen, sondern muss auch auf seine sozialräumliche Wirkung hinterfragt werden. Die Vermietungspraxis der öffentlichen Wohnungsunternehmen zeigt: Die Vermietung an Bedarfsgemeinschaften, die Arbeitslosengeld II beziehen, konzentriert sich in bestimmten Bereichen der Stadt.

Im Zusammenhang mit der Einführung von Hartz IV und den dazugehörigen Regelungen für die Übernahme von Wohn- und Heizkosten wurden neben der Gefahr erzwungener Umzüge vor allem folgende drei Probleme diskutiert: Gibt es genügend „angemessene“ Wohnungen in der Stadt? Werden Bedarfsgemeinschaften bei der Wohnungsvergabe diskriminiert? Verstärken die neuen Regelungen die befürchteten Segregationstendenzen in der Stadt?

Für die Beantwortung dieser Fragen reicht es nicht aus, allein die geltenden Ausführungsvorschriften und Angemessenheitsgrenzen zu kennen (siehe MieterEcho Nr. 322). Denn für die realen Verhältnisse der Wohnungsversorgung ist auch die Vermietungspraxis der Wohnungsbaugesellschaften von Bedeutung. In den politischen Vorgaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist etwas schwammig von einem „angemessenen Beitrag für die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung“ die Rede. Dieser Anspruch muss sich an der Versorgung von ALG-II-Bedarfsgemeinschaften messen lassen.

Soziale Verantwortung bei Neuvermietungen

Am Beispiel der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Degewo (70.000 Wohnungen) wollen wir den Umgang mit Hartz-IV-Mieter/innen exemplarisch nachzeichnen. Ulrich Jursch, der Leiter der Abteilung Bestandsmanagement bei der Degewo hat im Rahmen einer Veranstaltung des „Arbeitskreises Linke Metropolenpolitik“ im April 2008 einige Daten zur Vermietungspraxis der Wohnungsbaugesellschaft vorgestellt. Er betonte, dass die Degewo „nicht nur breite Schichten der Bevölkerung mit Wohnungen versorgt, sondern insbesondere solche Haushalte, die Schwierigkeiten haben, sich selbst mit Wohnraum zu versorgen“.

Unterdurchschnittliche Einkommen

Die Bedeutung der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften wird bei einem Blick auf die Neumieter/innen offensichtlich: So lagen die durchschnittlichen Haushaltseinkommen der etwa 5000 neuen Mieter/innen im Jahr 2006 bei etwa 1300 Euro im Monat. Dieser Wert liegt deutlich unter dem Berliner Durchschnitt von monatlich 1500 Euro. Etwa 72% haben ein Einkommen unter dem Berliner Durchschnitt und der größte Teil dieser Haushalte verfügt sogar nur über ein Einkommen von unter 1000 Euro im Monat.

Diese soziale Versorgungsfunktion der Degewo spiegelt sich auch im Anteil der Hartz-IV-Beziehenden: Über 20% aller Neumieterhaushalte waren zum Zeitpunkt der Anmietung auf ALG II angewiesen. Das ist mehr als der Anteil von Bedarfsgemeinschaften an allen Berliner Haushalten. Bezogen auf alle Haushalte, die ein Transfereinkommen beziehen, lag der Anteil an den Neuvermietungen sogar bei etwa 30%.

Diese überdurchschnittliche Versorgung von ALG-II-Beziehenden ist auch – so Ulrich Jursch – auf die Abläufe der Vermietung zurückzuführen: Melden sich Wohnungssuchende für eine Wohnung an, so blockiert der/die zuständige Sachbearbeiter/in die entsprechende Wohnung bis zur Unterzeichnung des Mietvertrags oder einer Absage. So unterliegen Bedarfsgemeinschaften, die auf eine Mietkostenübernahmebescheinigung des Jobcenters angewiesen sind, keinem Konkurrenzdruck gegenüber Mitbewerber/innen, die üblicherweise schneller, flexibler und eigenständiger einen Mietvertrag unterzeichnen können.

Hartz IV zieht nach Marzahn

Doch diese insgesamt erfreuliche soziale Vermietungspraxis der Degewo erhält mit Blick auf die räumliche Verteilung der ALG-II-Beziehenden einen bitteren Beigeschmack. Denn die Anteile der Transferleistungsempfangenden sind sehr ungleich über die einzelnen Vermietungszentren der Degewo verteilt. So liegt der Anteil in den Gebieten Marzahn-Nord, Marzahn-Mitte und Marienfelde mit über 40% deutlich über dem Durchschnitt. In Friedrichshain, Prenzlauer Berg oder auch Charlottenburg beispielsweise fällt er mit unter 15% drastisch geringer aus.

Mit diesen Zahlen wird klar, dass die Wohnungsbaugesellschaften zwar einen wesentlichen Beitrag bei der Versorgung von Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften tragen, jedoch die vielfach befürchtete Segregation eher verstärken. Eine veränderte Vermietungspraxis – etwa ALG-II-Beziehende in besseren und aufgewerteten Stadtteilen gezielt zu bevorzugen – wird jedoch nur aufgrund veränderter Zielvorgaben erfolgen. Insofern sind nun vor allem die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer und ihre Senatsverwaltung gefragt.

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