MieterEcho 328/Juni 2008: Konzept ohne Plan

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MieterEcho 328/Juni 2008

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Konzept ohne Plan

Das „Gesamtkonzept für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften“ lässt viele Fragen offen

Andrej Holm

Wie weiter mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften? Diese Frage stellen sich nicht nur die Mieter/innen Berlins, sondern auch die dafür zuständigen Fachabteilungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Insbesondere im Zusammenhang mit den massiven Privatisierungsprozessen der vergangenen Jahre wurde von der Berliner MieterGemeinschaft und anderen Mieterorganisationen immer wieder die Erarbeitung einer langfristigen Vision für die städtischen Wohnungsunternehmen eingefordert. Mitte vergangenen Jahres beschloss der Senat ein längst überfälliges „Gesamtkonzept für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften“. Doch zahlreiche Fragen bleiben unbeantwortet.

Am 3. Juli 2007 verabschiedete der Senat von Berlin ein sogenanntes „Gesamtkonzept für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften“. Rein formal ist dies ein bedeutsamer Schritt, denn bisher hatte das Land Berlin als Eigentümer der kommunalen Wohnungsunternehmen keine einheitliche Strategie für die derzeit noch sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Eine übergreifende Strategie für diese Wohnungsbaugesellschaften, deren etwa 260.000 Wohnungen immer noch einen Anteil von fast 15% des Gesamtwohnungsbestands ausmachen, wurde nicht nur von Mieterorganisationen gefordert, sondern auch von der Unternehmensberatung Ernst & Young. Diese hatte 2003 in einem Gutachten in Bezug auf die Wohnungsunternehmen den Startschuss für die Privatisierungswelle gegeben, in deren Verlauf auch die GSW privatisiert wurde.

Berlins Städtische Wohnungsbaugesellschaften

– Degewo Deutsche Gesellschaft zur Förderung des Wohnungsbaues, gemeinnützige Aktiengesellschaft
– Gesobau AG
– Gewobag Gemeinnützige Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin
– Howoge Wohnungsbaugesellschaft mbH
– Köwoge Köpenicker Wohnungsgesellschaft mbH
– Stadt und Land Wohnbauten-Gesellschaft mbH

Mit dem Gesamtkonzept werden offenbar sehr verschiedenen Erwartungen verbunden. Während sich insbesondere die Mieterorganisationen eine langfristige Strategie für eine soziale Mietentwicklung versprechen, zielen die Überlegungen der Unternehmensberatung stärker auf den wirtschaftlichen Erfolg der Berliner Wohnungspolitik. Dass soziale Ziele in der Wohnungsversorgung den wirtschaftlichen Gewinnorientierungen jedoch meist entgegenstehen, dürfte auch im Hause Junge-Reyer bekannt sein – umso erstaunlicher ist das letztlich beschlossene Kompromisspapier. Statt einer klaren politischen Prioritätensetzung wird eine Gleichrangigkeit der Ziele deutlich. So werden keine wohnungspolitischen Vorgaben formuliert, um daran eine wirtschaftliche Strategie auszurichten und es werden auch keine ökonomischen Ziele benannt, um damit die entsprechenden sozialen Einschränkungen offen zu vertreten. Dadurch bleibt das Gesamtkonzept an all den Stellen vage, wo eine politische Auseinandersetzung beginnen müsste.

Soziale Rhetorik…

Das „Gesamtkonzept für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften“ benennt verschiedene wohnungspolitische Ziele. So wird es als sinnvoll beschrieben, einen „ausreichenden strategischen Bestand an Wohnungen“ in der öffentlichen Hand zu behalten, um den Wohnungsmarkt im Interesse der Mieter/innen mitzugestalten und zur „Bewältigung besonderer sozialer Problemlagen“ beizutragen. Welchen Umfang ein solcher „strategischer Bestand“ haben sollte, wird nicht erörtert. Mit einem Verweis auf einen für Ballungsgebiete durchschnittlichen Marktanteil von etwa 15% wird der heute vorhandene Wohnungsbestand als „strategisch“ definiert und festgeschrieben. „Verkäufe von Wohnungen sind deshalb auf das zur Eigensicherung und Bestandsarrondierung zwingend erforderliche Maß zu begrenzen“. Insbesondere größere Verkäufe – so sieht es das Gesamtkonzept vor – müssen künftig mit dem Senat abgestimmt werden. Nur die Veräußerung einzelner Wohnungen oder kleiner Wohnungsbestände zur Bildung von Wohneigentum sind weiterhin zulässig. Dass sich auch durch solche kleinen Verkäufe der angeblich „strategische Bestand“ verringert, wird nicht weiter thematisiert.

... aber keine Segregationsvermeidung

International wird im Zusammenhang mit sozialen oder öffentlichen Wohnungsbeständen immer wieder auf die Verantwortung für eine ausgeglichene stadträumliche Entwicklung verwiesen. Um einer Segregation, also der Konzentration von benachteiligten Haushalten in einzelnen Quartieren, entgegenzuwirken, werden öffentliche Wohnungen genau dort angeboten, wo ärmere Haushalte sich die Miete sonst kaum leisten können. Solche Überlegungen spielen im Gesamtkonzept der Senatsverwaltung jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Statt eines preiswerten Angebots zur Kompensation von Benachteiligungen bestehe die Aufgabe der Wohnungsunternehmen vielmehr darin, „auch in Zukunft ein breit gefächertes, nachfragegerechtes und attraktives Wohnungsangebot“ zu sichern. Ein attraktives Wohnungsangebot sei dabei als Standortfaktor wichtig und trage so zur „Eindämmung der Stadt-Umland-Wanderung und zur sozialen Stabilität in der Stadt“ bei. Mit anderen Worten: Die beste Medizin für soziale Problemgebiete ist die Förderung von Mittelklasse-Haushalten, weil dann die Armut wenigstens in einem gemischten Stadtteil zu Hause sei. Passend zu dieser Strategie wird in dem Gesamtkonzept von einer „Stabilisierung durch Mieterprivatisierung“ fabuliert. Der Eigentumserwerb habe „insbesondere in den Gebieten, in denen überwiegend Menschen in schwieriger sozialer Situation leben und in Großsiedlungen stabilisierende Wirkungen auf das soziale Umfeld“, da sich „Eigentümer von Wohnungen (…) in besonderer Weise für das Wohnumfeld“ engagieren. Die Wohnungsbaugesellschaften sollen ihren Mieter/innen hierzu in geeigneten Beständen die Möglichkeiten eröffnen.

Mietspiegel gilt auch für Wohnungsbaugesellschaften

Ein „gewisses Potenzial an preiswerten Wohnungen“ soll jedoch erhalten bleiben – weil dies „von der Wirtschaft zunehmend als positiver Standortfaktor“ bewertet wird und durch eine „abgewogene und vermittelnde Vermietungspolitik“ sollen die Wohnungsbaugesellschaften einen „entscheidenden Beitrag zur Integration“ leisten. Wie dies konkret geschehen soll, wer oder was dabei „abgewogen“ wird und welche Wirkungsketten dabei beabsichtigt sind, bleibt leider offen. Frühere Vermietungspraktiken wie bei der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, die in bestimmten Wohngebieten praktisch einen Zuzugsstop für nichtdeutsche Haushalte verhängte (siehe MieterEcho Nr. 285), lassen zumindest nicht nur Gutes hinter dieser Formulierung erwarten.

Unter dem Stichwort „Soziale Stadtentwicklung“ wird an die Satzungen und Gesellschaftsverträge der städtischen Wohnungsunternehmen erinnert, in denen die „ausreichende Versorgung mit geeignetem Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung“ als Aufgabe der Wohnungsunternehmen festgeschrieben ist. Insbesondere die Bereithaltung von Wohnungen für einkommensschwache und benachteiligte Haushalte sei als ein Beitrag zur sozialen Stadtentwicklung anzusehen. Um dies zu sichern, soll die Mietgestaltung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften sozial verträglich erfolgen. Konkret wird festgelegt, dass sich die Wohnungsunternehmen bei Mieterhöhungen infolge von Modernisierungen an der ortsüblichen Vergleichsmiete zu orientieren haben. Dieses Deckeln der modernisierungsbedingten Mieterhöhungen soll übermäßige Mietsteigerungen verhindern, insbesondere wenn bei stark renovierungsbedürftigem Wohnraum höhere Investitionen getätigt werden müssen. Auch bei allgemeinen Mieterhöhungen sollen sich die Wohnungsbaugesellschaften am jeweiligen Mietspiegel orientieren – auch, um die „allgemeine Akzeptanz und Befriedungswirkung des jeweiligen Berliner Mietspiegels dadurch zusätzlich zu stärken“. Immerhin, bei Mieterhöhungen „sollen die Gesellschaften darauf achten, auch weiterhin Wohnungen für Haushalte mit niedrigem Einkommen in ihrem Bestand zu halten“. Wie viele dies sein sollen und zu welchen Konditionen dieses Niedrigpreissegment gehalten werden soll, wird nicht näher beschrieben.

Wohnungswirtschaftliche Daumenschrauben

Wesentlich klarer formuliert erscheinen die Aussagen des Gesamtkonzepts zu den wohnungswirtschaftlichen Aspekten der Unternehmensstrategien. Die Aufgabe der städtischen Wohnungsunternehmen sei es, „das jeweilige Unternehmen (…) zu einem dividendenfähigen Unternehmen“ weiterzuentwickeln. Insbesondere sollen im Zeitraum 2002 bis 2010 die Kreditverbindlichkeiten um 25% verringert werden. Diese lagen 2002 bei 8,6 Milliarden Euro und sollen um etwa 2,25 Milliarden Euro reduziert werden. Da dieser Betrag deutlich über der Summe der jährlich erwarteten Gewinne von etwa 100 Millionen Euro liegt und davon ja auch noch Dividendenzahlungen an das Land Berlin erwartet werden, richten sich die wirtschaftlichen Strategien wesentlich auf die „Beschaffung günstiger Finanzierungsmittel“. Insbesondere in einem gemeinsamen Marktauftritt der städtischen Wohnungsbaugesellschaften wird eine Chance gesehen, bestehende Kreditlinien günstiger zu gestalten. Daneben wird auf die klassischen Elemente einer ökonomischen Effizienzorientierung gesetzt: die Erträge sollen erhöht und die Kosten reduziert werden. So sollen „die Erträge aus Mieten (…) kontinuierlich gesteigert werden“. Neben der Reduzierung von Leerstand und sonstigen Gründen für Ertragsschmälerungen sollen zusätzliche Erträge insbesondere durch die „Anpassung des Mietniveaus an gesteigerte bauliche Qualität von Wohnraum oder Wohnumfeld“ erfolgen. Daneben sollen energetische Verbesserungen zu einer Erhöhung der Nettokaltmieten genutzt werden, aber so, dass sich aufgrund sinkender Betriebskosten für die Mieter/innen keine Mehrbelastung ergibt.

Schwarze Zahlen seit 2007

Im vergangenen Jahr haben alle sechs städtischen Wohnungsbauunternehmen positive Jahresergebnisse erzielt. Insgesamt betragen die Überschüsse 116,6 Millionen Euro (Vorjahr 91,4 Millionen Euro). Der BBU meldete: „Der Schuldenstand sei um mehr als 500 Millionen Euro auf zuletzt gut sieben Milliarden Euro reduziert worden. Den Unternehmenswert bezifferte Sarrazin auf 5,1 Milliarden Euro, eine Steigerung um 13,3% gegenüber dem Vorjahr.“

Zum Stichwort der Kostenreduzierung werden insbesondere die Verwaltungs- und Personalkosten angeführt. So wird es im Gesamtkonzept als Erfolg bewertet, dass die Zahl der Mitarbeiter/innen der städtischen Wohnungsunternehmen zwischen 2003 und 2006 von 4235 auf 3696 um 12,7% verringert werden konnte. Die dadurch eingesparten Kosten werden mit über zwei Millionen Euro angegeben. Unter dem Punkt „konkrete Zielmarken“ wird folgerichtig für vier der sechs Wohnungsbaugesellschaften die „Senkung von Personal- und Sachkosten“ bzw. die „Vereinbarung einer geeigneten Kennzahl für den Personalabbau“ festgelegt.

Auf der Ebene der Organisation der städtischen Wohnungsunternehmen setzt das Gesamtkonzept auf die Einführung und Weiterentwicklung eines einheitlichen Controllings. Zudem sollen die Aufsichtsräte, die es bisher auch für die Tochterunternehmen der Wohnungsbaugesellschaften gab, auf einen je Konzern reduziert werden. Damit soll die Rolle des Gesellschafters – also des Landes Berlin – gestärkt werden. Da das bestehende Aktiengesetz die Weisungsbefugnisse des Gesellschafters einschränkt, sollen die drei als Aktiengesellschaften organisierten Wohnungsbaugesellschaften (Degewo, Gesobau, Gewobag) ebenfalls in die Gesellschaftsform einer GmbH überführt werden.

Zahnloser Papiertiger

Eine Einschätzung des „Gesamtkonzepts für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin“ muss notwendigerweise skeptisch ausfallen. Zwar wurde mit dem Gesamtkonzept eine längst überfällige Strategiedebatte über die Zukunft der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften begonnen, doch bleiben insbesondere die wohnungspolitischen Aussagen überwiegend vage und zahm. So begrüßenswert es ist, dass sich die Wohnungsbaugesellschaften beispielsweise als Träger von „innovativen Wohnformen für Seniorinnen und Senioren“ profilieren und bei der Umsetzung energiepolitischer Maßnahmen eine „Vorreiterrolle“ einnehmen wollen, so unkonkret bleiben die Antworten auf die Fragen einer sozialen Miet- und Stadtentwicklung. So findet sich etwa kein Satz zur Verantwortung der Wohnungsunternehmen für die angemessene Wohnungsversorgung der etwa 300.000 Bedarfsgemeinschaften für ALG II oder für Aufrechterhaltung preiswerter Wohnungsangebote in den innerstädtischen Aufwertungsgebieten nach Aufhebung der Sanierungssatzungen. Im Gegenteil, Verantwortung für eine sozial ausgeglichene Stadtentwicklung wird vor allem in der Förderung von Wohneigentum und der gezielten Aufwertung der eigenen Bestände gesehen. Mithin also in Maßnahmen, die der wirtschaftlichen Konsolidierungspolitik nicht entgegenstehen. Eine soziale Wohnungspolitik aber, die tatsächlich Verantwortung für die Wohnungsversorgung von Ausgegrenzten übernehmen will und eine mietpreisdämpfende Wirkung der etwa 260.000 kommunalen Wohnungen für den gesamtstädtischen Wohnungsmarkt sichern soll, ist mit den Effizienzvorgaben der Ertragssteigerung und Kostensenkung nicht vereinbar. Das vorliegende Gesamtkonzept orientiert sich stattdessen weitgehend an der erwarteten Wohnungsmarktentwicklung und verkürzt soziale Wohnungspolitik auf eine Nothilfe für sogenannte „besondere Haushalte“ im geschützten Marktsegment.

Verkürzung auf betriebswirtschaftliche Sicht

Mögliche Potenziale, um einem privatwirtschaftlich getragenen Wohnungsmarkt entgegenzusteuern, werden nicht entwickelt und sind im Gesamtkonzept auch nicht vorgesehen. Der Wert von öffentlichen Wohnungsunternehmen wird dadurch auf unternehmerische Aspekte verkürzt. Aus einer wohnungspolitischen Perspektive ist dieses Gesamtkonzept keine Lösung, sondern ein Problem. Die Senatsverwaltung scheint sich dessen bewusst zu sein, denn durch die bisher eher defensive Darstellung des Gesamtkonzepts ist die Senatorin Ingeborg Junge-Reyer bisher einer politischen Debatte um die Zukunft der städtischen Wohnungsbaugesellschaften erfolgreich ausgewichen. Doch spätestens mit der nächsten Verkaufsdiskussion oder den nächsten Mietspiegeldaten werden Fragen zu den Aufgaben und Perspektiven einer kommunalen Wohnungswirtschaft erneut auf der Tagesordnung stehen. Und das vorliegende Gesamtkonzept gibt keine zufriedenstellenden Antworten.

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