MieterEcho 327/April 2008: Bunte Wiesen statt grünem Rasen

MieterEcho

MieterEcho 327/April 2008

Quadrat BERLIN

Bunte Wiesen statt grünem Rasen

Tausend kleine Konflikte verzögern den Baubeginn für den Park auf dem Gleisdreieck, doch dieses Jahr soll es wirklich losgehen

Christoph Villinger

Fast 150 Jahre lang dominierte die Eisenbahn die Landschaft zwischen Kreuzberg und Schöneberg. Nach ihrem allmählichen Rückzug aus dem Gebiet zwischen Landwehrkanal und Yorckbrücken überwucherten wilde Wiesen und kleine Bäume die Gleisanlagen und laden nun zu einsamen Spaziergängen ein. Die begehrlichen Blicke von Autobahnplanern auf das Gelände konnten die Anwohner über Jahrzehnte hinweg zurückweisen und sie setzten einen fast 35 Hektar großen Park durch. Doch die hochgelobte Bürgerbeteiligung stößt bei den wirklichen Machtfragen sofort an ihre Grenzen. Zum Beispiel: Für welche Anwohner ist der Park eigentlich?

"Guck, Mama! Ich bin ganz oben!" Begeistert blickt der dreijährige Sebastian um sich. Soeben hat er einen etwa zehn Meter hohen Berg erklommen. Dieser "kleine Teufelsberg" in der Nähe der Kreuzberger Möckernstraße entstand, als beim Abbau von Eisenbahnschienen der Schutt zusammengeschoben wurde. Nun wachsen auf ihm Gras und kleine Bäume. Von dort oben blickt man auf eine in Jahrzehnten gewachsene Wildnis aus Birken, Sträuchern und Robinien. Zerfallende ehemalige Stellwerke und Lagerhallen wechseln sich ab mit weiten Flächen von überwucherten Gleisanlagen. Noch ist die ehemalige Nutzung als einer der wichtigsten Güterumschlag-plätze in Berlin erkennbar. Aber es gibt auch Neues: Bis zu zwei Meter hoch wachsen die Mais-Stauden auf den überwiegend von bosnischen Frauen betriebenen "interkulturellen Gärten". Daneben macht Alexandra Toland in ihrer "Galerie der Wildkräuter" mit rund 150 Tafeln verschiedene dort lebende Pflanzen erkennbar. Tausende von Samen brachten die Eisenbahnwaggons aus allen Ländern Europas mit, um hier aufzublühen. Seit letzten Sommer ist dieser Bereich des Parks entlang der Möckernstraße provisorisch zugänglich.

Trümmerberg mit Altölbelastung

Cornelia Wimmer von der Elterninitiative Gleisdreieck begeistert diese Mischung aus Wildnis und genutzter Fläche. "Hier finden die Kinder keine vorgefertigten Sinnerlebnisse wie auf konventionellen Spielplätzen, sondern können sich ihre Welt selbst gestalten", sagt die 47-Jährige. Zusammen mit dem in der Nachbarschaft wohnenden Torsten Schöppler von der AG Gleisdreieck führt die Pädagogin über das Gelände. "Jeden Sommer verstecken sich hier 20 bis 30 Kids hinter den Büschen, klettern auf Bäume und bezwingen den Schuttberg".

Doch genau um diesen Trümmerberg zeichnet sich nun ein Konflikt ab. Ganz in der Nähe haben schon die ersten Rodungen für den neuen fast 35 Hektar großen Park zwischen Landwehrkanal und Yorckbrücken begonnen. Für Hendrik Gottfriedsen, Geschäftsführer der senatseigenen "Grün Berlin Park und Garten GmbH" sind dies "erste Aufräumarbeiten". Der tatsächliche Baubeginn wird erst im Laufe des Jahres erfolgen. Aber für ihn ist es "völlig unverantwortlich, Kinder auf dem Kletterberg spielen zu lassen", der sei doch mit Altöl vom Eisenbahnverkehr belastet. "Deshalb kann der Berg nicht erhalten werden", meint er resolut, gleichzeitig hat er aber Messungen beauftragt. "Einfache Warn-Schilder würden doch die Haftungsfrage klären", entgegnet Wimmer. Und auch der künftige Leiter der Bauarbeiten Gottfriedsen zeigt sich kompromissbereit: "Dies ist einer der tausend kleinen Konflikte, für die wir gemeinsam eine Lösung finden müssen".

Zähes Ringen um den Park

Es sind diese "ungelösten Konflikte", wegen derer sich der Baubeginn immer weiter verschiebt. Geplant war Frühjahr 2007. Dann verzögerte sich die Grundbuchumschreibung, weil Fragen auftauchten: Gehören z. B. die Widerlager der 27 Eisenbahnbrücken über die Yorckstraße zum Bundeseisenbahnvermögen oder nicht? Wer sie besitzt, ist auch für ihre Sanierung zuständig. Das macht etwa 150.000 Euro pro Brücke.

Der Park ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Konflikts um eine der letzten großen zentralen Brachflächen Berlins. Seit den 70er Jahren gab es den Plan, mit einer Stadtautobahn - der sogenannte Westtangente - die Gegend um den heutigen Potsdamer Platz an die Viertel der "Besserverdienenden" im Südwesten der Stadt anzuschließen. Damit wäre der innerstädtische Grünstreifen weitgehend zerstört worden. Der kämpferischen "Bürgerinitiative Westtangente" gelang es jedoch selbst nach der Wende und dem Bau des Potsdamer Platzes, die Träume von DaimlerChrysler und anderen Autoliebhabern in die Schranken zu weisen.

Stattdessen einigten sich nach langen Verhandlungen in den Jahren 2001 bis 2005 das Land Berlin, der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und die Vivico, damals die Immobiliengesellschaft der Bahn AG und seit wenigen Monaten im Besitz eines österreichischen Immobilienfonds, auf einen städtebaulichen Rahmenvertrag. Dieser sieht im Wesentlichen vor, dass der Vivico an drei Stellen des Geländes eine Bebauung erlaubt wird. Und zwar in dem zurzeit von einer Tankstelle genutzten Dreieck zwischen den beiden S-Bahnhöfen an der Yorckstraße, entlang einem Teil der Möckernstraße sowie entlang der Dennewitz- und Flottwellstraße. Der Rest wird zum Park, nur zerschnitten von der S-Bahn und der neuen ICE-Trasse. Durch eine weitausholende Rampenbrücke sollen die beiden Hälften verbunden werden. Doch schon dafür fehlt das Geld. Denn von den ursprünglich 24 Millionen Euro für den Park sind nur noch etwa 11 Millionen Euro da, den Rest benötigte das Land Berlin für den Grundstückserwerb und den Wettbewerb zur Parkgestaltung.

Diesen gewann im Sommer 2006 das Stadtplanungsbüro Atelier Loidl. Bei der Präsentation des Entwurfs im Herbst 2006 wollte Lorenz Kehl, "die Weite der riesengroßen Fläche fürs Auge erhalten" und entwarf deshalb durch großzügige Rasenflächen weitläufige Sichtachsen.

Doch für Cornelia Wimmer verhindern diese Sichtachsen Nischen, sie machen alles offen und transparent. "Da gibt es keine gemütlichen Ecken", sagt Wimmer. Auf den Entwurfsbildern der Stadtplaner kann sie "keine alten Menschen und Kinder entdecken, sondern nur Menschen aus der Zigarettenwerbung". Für Norbert Rheinlaender, jahrelanger Kämpfer für den Park, "wollen die Designfigaros aus dem Atelier Loidl den bereits entstehenden Park nach ihrer Facon zurechtfrisieren und die wilde Kreuzberger Wiese am liebsten mit einem gepflegten Rasen überrollen". Auch Torsten Schöppler von der AG Gleisdreieck befürchtet "einen Park für die jung-dynamischen Menschen vom Potsdamer Platz", bei dem die Kinder und Anwohner an den Rand gedrängt würden. "Meine Horrorvorstellung sind ebene Flächen und gerade Betonkanten", sagt der 44-Jährige. Für den studierten Betriebswirt ist "gemähter Rasen wie grüner Beton".

Weite Rasenflächen und wilde Wiese

Auch Hendrik Gottfriedsen von Grün Berlin bestätigt die Planung einer weiten Rasenfläche in der Mitte und einem etwa 30 Meter breiten Streifen am Rand für Kinderspielplätze, überwachsene Gleisanlagen, Community Gardens und Sportplätze. Als Betreiber des Britzer Gartens meint er zu wissen, wovon er spricht. "Um Wiesen in ihrer Schönheit zu erhalten, dürfen sie nur ein- bis zweimal im Jahr gemäht und in der Regel weder bespielt noch betreten werden". Dagegen "sind Rasenflächen hochstrapazierfähig, werden gedüngt, bis zu 18 mal im Jahr gemäht und sind daher immer betretbar". Die Vorstellung "Wiese und Fußball" unter einen Hut zu bringen ist für ihn "Unsinn". Er kennt den Konflikt vom Mauerpark, der von der anwohnenden Bevölkerung so stark angenommen wird, dass "die Wiesen an den Hängen einfach zertrampelt werden".

Genau mit diesen 300.000 potenziellen Nutzer/innen des Parks am Gleisdreieck argumentiert Beate Profé, Referatsleiterin für Stadtgrün bei der Senatorin für Stadtentwicklung. Sie will einen "Park für alle, auch für die, die sich nicht zu Wort melden". Noch diskutiere man "die konkrete Ausführung der Planung". Aber Grundlage bleibe der Entwurf des Wettbewerbsiegers. "Da müssen wir uns nun gemeinsam durchquälen, um hinterher sagen zu können, die Mühe hat sich gelohnt".

Sportflächen und Kleingärten

Zum Beispiel bei den ganztägigen Werkstattgesprächen mit über 50 Teilnehmer/innen zum Thema Sportanlagen im neuen Park: Während für den stämmigen Torsten Schöppler da "vor allem Trendsportarten wie Skaten und Joggen bedient werden", spürt Profé den Landessportbund im Nacken. Besonders bei den vier Hektar Fläche auf der Schöneberger Seite der Yorckbrücken, wo heute noch Kleingärten sind und ein Sportzentrum entstehen soll. Nebenbei ein weiterer der "tausend Konflikte": mitten in Schöneberg gelegen, gehört die Fläche verwaltungsrechtlich zu Kreuzberg. Doch weil Berlin eh kein Geld hat "können die Kleingärtner da noch Jahre bleiben", vermutet Profé.

Allein ein offener Fußballplatz "kostet rund 1,8 Millionen Euro", sagte dazu Franz Schulz, grüner Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, bei einer Anhörung im Abgeordnetenhaus. Großzügig stelle sein Bezirk bis 2014 schon mal 50.000 Euro zur Verfügung. Faktisch das vorläufige Aus für die Sportanlagen und die Rettung der Gartenanlagen. "Es wäre kein guter Start gewesen, einen Park mit dem Absägen von 300 Obstbäumen zu beginnen", freute sich Matthias Bauer von der BI Westtangente.

Machtfrage bei Bürgerbeteiligung

Als einer von drei gewählten Anwohnervertreter/innen sitzt er in der zentralen "projektbegleitenden Arbeitsgruppe" zur Planung des Parks. Einerseits ist diese Arbeitsgruppe für ihn ein "Musterbeispiel für Bürgerbeteiligung", andererseits drohte er im letzten Herbst mit Austritt aus dem Gremium. "Die Senatsvertreter tun so, als hätten wir ihren Entwürfen zugestimmt, das haben wir aber nicht." Allein 18 Punkte umfassen die von den Anwohner/innen formulierten Änderungswünsche. Und der Aktivist betont die strukturelle Unterlegenheit der Bürger/innen. Ehrenamtlich sitzen sie hauptberuflichen Stadtplaner/innen gegenüber, die "jeden Tag beruflich miteinander reden" und zusätzlich auch noch formal durch die Vielzahl der zuständigen staatlichen Institutionen in der Mehrheit sind. "Sie brauchen uns", beklagt sich Bauer, "aber in Wirklichkeit finden unsere Ideen kaum Berücksichtigung". Und bei der entscheidenden Machtfrage, dem Geld, lassen sich die Vertreter der Verwaltung nicht gern in die Karten schauen. Dass für die Brücke über die ICE-Trasse kein Geld mehr da ist, will Matthias Bauer erst glauben, "wenn der Senat einen transparenten Kassensturz macht".

"Weltweite Leuchtkraft" gewünscht

Immerhin soll der Park nach dem Willen des Senats "weltweite Leuchtkraft" erlangen als Beispiel für die behutsame Umnutzung einer innerstädtischen Brachfläche. Doch für Torsten Schöppler "hat ein Bauvorhaben noch nie weltweite Bedeutung erlangt, weil es sie erlangen sollte". Das gelinge nur, wenn lokale Probleme mit den lokalen Mittel mustergültig gelöst werden. Und, möchte man hinzufügen, von einem Trümmerberg aus die "tausend kleinen Konflikte" überblickbar bleiben.

Weitere Infos: www.berlin-gleisdreieck.de

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 327