MieterEcho 327/April 2008: Verselbstständigte Stadtentwicklung

MieterEcho

MieterEcho 327/April 2008

Quadrat BERLIN

Verselbstständigte Stadtentwicklung

Wer plant eigentlich "Mediaspree"?

Daniel Zöllinger

Der großflächig angelegte Stadtumbau im beidseitigen Spreeraum zwischen der Jannowitz- und Elsenbrücke - einer achtmal größeren Fläche als der Potsdamer Platz - stellt für die Mehrheit der in Friedrichshain-Kreuzberg lebenden Bevölkerung eine Bedrohung durch Verdrängung dar. Hier wird Stadtentwicklung zum Standortmarketing in globalen Verwertungsprozessen.

Schon im Vorwort des "Leitbilds Spreeraum" aus dem Jahr 2001 zeichnete der damalige Stadtentwicklungssenator Strieder (SPD) den Weg vor: "Zwar wurde schon an einem Leitbild gearbeitet, bevor die privaten Investitionsabsichten eines amerikanischen Investors für die Berlin National Arena bekannt wurden. Jedoch hat dieses Projekt mit seinen erheblichen raumstrukturellen Auswirkungen die Weiterentwicklung des Leitbildes mitbestimmt."

Bereits im Herbst soll die Multifunktionshalle O2-World eröffnet werden. An der Fassade entsteht die größte LED-Werbefläche der Welt. Für die kleinere Werbetafel musste schon die denkmalgeschützte Berliner Mauer weichen. Für 17.000 Zuschauer werden zukünftig u.a. die Berliner Eisbären für Unterhaltung sorgen. Der ermäßigte Eintrittspreis soll ca. 10 Euro betragen. Für rund 38% der Bevölkerung im Bezirk, die auf Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe angewiesen sind, ist dies ebenso unerschwinglich wie für die vielen Geringverdiener/innen. Eine "Zukunft" ist im "Ankerplatz Zukunft" für die Mehrheit nicht vorgesehen.

Mediaspree e.V. plant den "Ankerplatz Zukunft"

Der Stadtumbau im Spreeraum, so Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer (SPD), sei kein "langwieriger Prozess, sondern eine treibende Kraft, ein Motor einer sich verselbständigenden Entwicklung." Die Gestaltung des "Ankerplatz Zukunft" entschied sich daher auch auf den Immobilienmessen in Cannes und München und nicht in den mühsamen Vermittlungs- und Beteiligungsverfahren des Bezirks. Die Umsetzung übertrug die öffentliche Hand dem aus Investoren bestehenden Lobbyistenverein Mediaspree e.V. und förderte ihn mit 600.000 Euro. Doch so richtig ins Rollen kamen die Pläne aus den 90er Jahren des Berliner Metropolenwahns nicht. Daher übernahmen auch öffentliche Unternehmen und Institutionen wie ver.di, BVG, BSR oder die Deutsche Bahn fast 2/3 der Flächen.

Mediaspree gleicht einem Patchwork. Es wurde von Projekt zu Projekt in separaten Bebauungsplänen mit den jeweiligen Investoren entwickelt. Etwa 2,5 Milliarden Euro werden hier investiert. Firmen wie Universal oder MTV wurden mit Subventionen eingekauft. Diese Firmen sollen nun in PPP-Verträgen (Public Private Partnership) öffentliche Aufgaben übernehmen. Das Bürgerbegehren "Spreeufer für Alle" hat aufgedeckt, dass vier Unternehmen 11,3 Millionen Euro zugesagt haben. Die öffentliche Hand stellt Infrastrukturmittel in Höhe von ca. 50 Millionen Euro. Das Buhlen um "Ankerinvestoren der Kreativbranche" scheint die einzige stadtpolitische Planungsgrundlage zu sein.

Lückenhafte Planungskonzepte

Ein integriertes Konzept der Verkehrsführung über Einbahnstraßen und verkehrsberuhigte Zonen oder den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs wurde nicht weiter verfolgt. Das Verkehrskonzept hieß: Eine Autobrücke für O2 und die Weiterführung der Stadtautobahn. Ebenso fehlen Vorstellungen über die Entwicklung sozialer Infrastruktur oder weiträumiger Parkanlagen. Die Sozialstruktur des Bezirks hat bei den Überlegungen nur unter dem Stichwort "Kreativpotenzial" eine Rolle gespielt. Eine vorbereitende Studie über die sozialräumlichen Auswirkungen fehlt. Es ist keine Zielquote für Wohnungsanteile vorhanden und über Mietpreise wurde erst gar nicht nachgedacht. Die Umsetzung von "Wohnen und Arbeiten an einem Ort" wird den Investoren überlassen: "Die Eigentümer müssen dafür sorgen, dass Wohnungen und Appartements gebaut werden", meint Junge-Reyer (SPD). Das beantwortet auch die Frage, für wen "Wohnen und Arbeiten" zukünftig noch möglich sein wird. Sicher nicht für die in Werbeprospekten angepriesene "Kreuzberger Mischung".

Wahlprogramm und Realität

"Jetzt müssen Realitätssinn und soziale Verantwortung an die Stelle früherer Metropoleneuphorie treten. Die Fixierung auf Großprojekte und großflächige Umbauvorhaben, auf Kommerz und Historismus grenzt aus und verfestigt die soziale Spaltung. Öffentlicher Raum darf nicht weiter privatisiert werden", so stand es 2001 im Wahlprogramm der PDS. Aus der Stadtentwicklung durch "großflächige Entwicklungsgebiete" wollte man aussteigen. Tatsächlich wurde "Mediaspree" nicht als Entwicklungsgebiet ausgeschrieben. Folglich gibt es keinen unabhängigen Entwicklungsträger, der vorbereitende Untersuchungen durchführt und darauf basierend Entwicklungsziele definiert hätte.

"Wem's nicht passt, muss wegziehen", so eine genervte Stimme aus der Bezirksfraktion der Partei Die Linke, "hier ist es zurzeit so wie es ist, Berlin ist pleite, vielleicht gibt es ja noch eine Kommune mit Geld." Über soziale Abfederungsmaßnahmen wisse man nichts. Und überhaupt: Die Initiative "Mediaspree versenken" hätte das mit der Dialektik nicht verstanden. Schuld sei der Bund und seine mieterfeindliche Gesetzgebung, die seit der Abschaffung der Mietobergrenzen keine soziale Stadtpolitik mehr zulässt.

Zauberwort Kreativwirtschaft

Im Gegensatz zu Sozialraumstudien hat man für "Kreativstudien" noch Geld: Die im Januar vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) präsentierte Studie "Kreativ wirtschaften" bescheinigt Friedrichshain-Kreuzberg doppelt so hohe Wachstumsraten wie anderen Bezirken. Bereits 2005 hatte das DIW ermittelt, dass sich 25% der Unternehmen der Kreativbranche auf zwei Stadtteile verteilen: Prenzlauer Berg sowie Friedrichshain-Kreuzberg. Kreativbranche umfasst die Produktion, Vermarktung und den Handel mit kulturellen Gütern. Friedrichshain-Kreuzberg weist mit 37,1 Jahren das niedrigste Durchschnittsalter der Berliner Bevölkerung auf. Kreuzberg verfügt nach Prenzlauer Berg mit 6,5% in den letzten zehn Jahren über die höchste Steigerung an Hochschulabsolvent/innen. Die soziale Spaltung erscheint gleich zweifach: Sowohl als Produzenten - jung, flexibel, gebildet - als auch als Konsumenten - Teilhabe über den Markt - fällt trotzdem ein Großteil der Bevölkerung aus dem Raster. Der Zugang "zur Zukunft" wird durch klare Verwertbarkeitskriterien bestimmt. "Es wird deutlich", bekennt der Bezirksbürgermeister Schulz, "dass wir (…) auch sehr gegenläufige Prozesse haben. Sie werden also an vielen Stellen eine Entwicklung, die wie eine Schere auseinandergeht, als typisch für unseren Bezirk immer wieder feststellen können."

Steigende Mieten in Kreuzberg

"Der preiswerte Wohnungsbestand verringert sich laufend, während gleichzeitig die Zahl der einkommensschwachen Nachfrager ansteigt", so auch die grüne Baustadträtin Jutta Kalepky. Sie beklagt, dass in der Stadt kaum noch Wohnungspolitik stattfindet und der Bezirk nur noch "Einflussmöglichkeiten auf die Miethöhe durch die öffentlichen Wohnungsbestände hat." Das sind genau 20.115 Wohnungen oder 13%. "Viele Vermieter wollen inzwischen ausdrücklich keine Wohnungen mehr an Hartz-IV-Empfänger vermieten", so die Baustadträtin.

Die Ende 2007 veröffentlichte zweite Berliner Wohnungsmarkt-Studie weist für Friedrichshain-Kreuzberg bei den Neuvermietungen steigende Mieten aus. Zwar wird von einem noch moderaten Mietniveau gesprochen, doch der Bezirk gilt als "unterschätztes Aschenputtel". Die Ergebnisse der Studie bestätigen den Mietspiegel von 2007: "Sowohl bei Hartz-IV-kompatiblem Wohnraum im unteren Preissegment als auch bei Wohnungen in guten Altbaulagen über 90 qm waren die höchsten Preissteigerungsraten um die 11% seit 2005 zu verzeichnen", so die Analyse des MieterEcho Nr. 322. Eine Entwicklung, die die Wissenschaftler Ebert und Kunzmann als kennzeichnend auch für die "Kreativbranche" ansehen, denn "während einkommensstarke Kreative sich attraktive und flexible Lofts in modernisierten Altbauten an ‚Wasserfronten' leisten können, müssen sich die gering verdienenden Beschäftigten der Kulturwirtschaft an Orten niederlassen, die der Immobilienmarkt noch nicht entdeckt hat." Optimale Aussichten also.

Bürgerbegehren: "Spreeufer für Alle" sammelte 16.000 Unterschriften

Die Initiative "Mediaspree versenken" überreichte dem Bezirksamt am 4. März, einen Monat vor dem offiziellen Ende der Unterschriftensammlung, 16.000 Unterschriften. Die landeseigene Hafengesellschaft BEHALA hatte für die letzten fünf Grundstücke am Osthafen Bauvorbescheide beantragt, um der Sperrwirkung durch das Begehren mit rechtsverbindlichen Verträgen zuvorzukommen. Das Bezirksamt glänzte nicht eben durch Kooperation und hatte eine Vorauszählung, wie in anderen Bezirken üblich, abgelehnt. Ob das "unterschriftenreichste" Berliner Bürgerbegehren auch das "erfolgreichste" wird, bleibt daher abzuwarten. Die Parteien stehen der entfachten Diskussion um die Spreeufer bisher skeptisch gegenüber. Für sie ist mit dem schmalen Uferwanderweg bereits ein "Spreeufer für Alle" erreicht.

Parteipolitische Parteilichkeit

Auf einer Diskussionsveranstaltung der Partei Die Linke stellte der Bezirksfraktionsvorsitzende Lothar Schüssler noch einmal die Leitlinien des politischen Handelns dar: "Kein Potsdamer Platz sollte es werden." Die qualitativen Unterschiede zwischen "O2-World und Daimler-City" oder "Pocketparks und Potsdamer-Platz-Designergrün" blieben jedoch verborgen.

Auch bei den Bündnisgrünen ist der Erklärungsnotstand ausgebrochen. Eine öffentliche Fraktionssitzung vermittelte das Gefühl, dass trotz der Bürgerbeteiligung ausgerechnet die Parteipolitiker/innen zum ersten Mal die von der Initiative "Mediaspree versenken" präsentierten "Planungen" zu Gesicht bekamen - mit Ausnahme des "planenden" Bezirksbürgermeisters Schulz.

Für die Bezirksspitze der SPD ist die Sache hingegen eindeutig. Sie trifft sich zum Kaffeeplausch mit den Unternehmen, um mögliche Gegenstrategien zu beraten und rät, die Initiative "Mediaspree versenken" zu versenken. Und die CDU? Hat endlich ihre schon von Diepgen und Landowsky geforderte "Großhalle Berlin".

Kiezspaziergang gegen Verdrängung

Doch das gelandete "O2-Ufo" wurde jetzt auch von der "alten Kreuzberger Mischung" entdeckt. So laden Stadtteilinitiativen am 19. April zum Kiezspaziergang gegen Mediaspree und auch der 1. Mai steht im Zeichen des Widerstands gegen die "hässliche Stadtumstrukturierung". "Die Gefahr", so auch Ebert und Kunzmann, besteht nun bei all der parteipolitischen Parteilichkeit darin, "dass das letztlich immer positiv besetzte Zauberwort ‚kreativ'" einer Delegitimierung unterliegt. Denn die zu erwartenden Verdrängungsprozesse werden "zu neuen sozialen Konflikten führen,(…) und Berlin wird diese, zurzeit nur ansatzweise zu beobachtenden Prozesse genau im Auge behalten müssen, um zu vermeiden, dass durch lokale Konflikte die gesamte Strategie in Misskredit gerät, weil sich die Verlierer zu Wort melden."

Bürgerbegehren zum SpreeuferBürgerbegehren zum Spreeufer

Die Initiative "Mediaspree versenken" hat mit einer erfolgreichen Unterschriftensammlung den ersten Schritt zu einem Bürgerentscheid erreicht. Die Ziele lauten:

Infos unter www.ms-versenken.org

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 327