MieterEcho 327/April 2008: Trendwende statt weiterer Privatisierung

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MieterEcho 327/April 2008

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Trendwende statt weiterer Privatisierung

Viele Städte nehmen die Abfallentsorgung wieder selbst in die Hand

Andrej Holm

Die Abfallentsorger waren in den 90er Jahren die ersten, die von der Privatisierungswelle erfasst wurden. Inzwischen laufen einige der damals geschlossenen Verträge aus und die Leistungen werden neu ausgeschrieben. Etliche Kommunen haben die Abfallentsorgung rekommunalisiert, sprich wieder in die eigenen Hände genommen. Doch löst die Rekommunalisierung die Probleme der Privatisierungspolitik?

Bergkamen ist eine mittelgroße Kleinstadt in Westfalen-Lippe mit 52.000 Einwohner/innen, fünf Ortsteilen und sozialdemokratischem Bürgermeister. Seit etwa einem Jahr ist Bergkamen berühmt. Zeitungen und Fernsehen berichten über die Stadt, genauer über den EBB, den "EntsorgungsBetriebBergkamen". Denn die Stadt Bergkamen hatte sich entschieden, den 2006 auslaufenden Entsorgungsvertrag mit dem Brachenriesen Remondis – vormals Rethmann mit Jahresumsatz von zwei Milliarden Euro und 15.000 Mitarbeiter/innen – nicht zu verlängern, sondern die Müllentsorgung stattdessen durch einen kommunalen Eigenbetrieb zu übernehmen. Berühmt wurde die Bergkamener Entscheidung nicht nur, weil in Zeiten des Ausverkaufs eine Rekommunalisierung gegen den Trend steht, sondern vor allem, weil sich die Übernahme durch den EBB als eine Erfolgsgeschichte darstellt.

Pluspunkte für Bergkamen

Offenbar haben alle einen Vorteil von der Rekommunalisierung. Die Bewohner/innen Bergkamens, weil die Gebühren in den ersten beiden Jahren um etwa 12% reduziert wurden, die 14 Mitarbeiter/innen, weil sie nun nach einem Tarifvertrag des öffentlichen Diensts bezahlt werden und der Bürgermeister, weil die kommunalisierte Müllabfuhr 30% kostengünstiger ist und den Haushalt der Stadt entlastet. Für die Modernisierung des Fuhrparks und neue Arbeitsbekleidung wurden etwa 1,6 Millionen Euro ausgegeben – eine Investition, die sich vor allem für die Bewohner/innen Bergkamens gelohnt hat. Denn neben der Gebührensenkung hat sich das Dienstleistungsangebot der Entsorgung verbessert: Der Abfuhr-Rhythmus konnte vereinheitlicht werden und neue Angebote für die Sperrmüllabfuhr und eine sogenannte ‚Windeltonne’ für Familien mit kleinen Kindern wurden aufgelegt. Das Erfolgsgeheimnis liegt – so der Betriebsleiter der EBB Hans Joachim Peters – in der besonderen Ökonomie öffentlicher Unternehmen begründet, die rein kostendeckend und ohne Gewinnerzielung arbeiten können und zudem von der Mehrwertsteuer befreit sind.

Wehrmutstropfen Effizienz

Doch die Erfolgsstory von Bergkamen lässt sich nicht ohne Weiteres auf alle kommunalen Entsorgungsunternehmen übertragen. Einem Gutachten der Unternehmensberatung Econum – einer Tochtergesellschaft von Ernst & Young – folgend, hat sich der EBB an den Effizienzvorgaben des privaten Betreibers orientiert. Insbesondere der Einsatz moderner Entsorgungsfahrzeuge (Seitenlader) ermöglicht den Betrieb mit nur einer Person pro Fahrzeug. Die Vorteile basieren damit auf der Rationalisierung des früheren privaten Betreibers und verweisen damit auf ein Grundproblem der Auseinandersetzungen um die Privatisierung. Rekommunalisierungen wie in Bergkamen werden hauptsächlich mit höherer Effizienz und eingesparten Kosten begründet. Zwar ist zu begrüßen, dass die Effizienzversprechen von Privatisierungen ins Reich der Mythen und Legenden verwiesen werden, doch die Logik wird ungebrochen fortgeschrieben. So wünschenswert und erfolgreich die aktuellen Rekommunalisierungen auch sein mögen, aus der Perspektive des fortbestehenden Ökonomisierungsdrucks öffentlicher Dienstleistungen bleibt der schale Beigeschmack, dass es dieselben Argumente sind, die eine Rekommunalisierung legitimieren, die sonst für die Privatisierung in Stellung gebracht werden.

Bergkamen ist kein Einzelfall

Auch in anderen Kommunen werden vormals privat organisierte Dienstleistungen wieder von der öffentlichen Hand getragen. So wurden die Abfallsammlungen im Rhein-Hunsrück-Kreis bereits seit Januar 2006 wieder kommunal organisiert. Auch hier ergab eine Wirtschaftlichkeitsberechnung Einsparungspotenziale von etwa einer Million Euro, sodass auch dort sowohl der öffentliche Haushalt als auch die Bürger/innen entlastet werden konnten. Ebenfalls im Jahr 2006 wurde auch die Müllabfuhr im Landkreis Uckermark rekommunalisiert. Um eine europaweite Ausschreibung zu umgehen, setzte der Landkreis auf eine Eigenbeteiligung an der Abfallentsorgung. Das zunächst favorisierte PPP-Modell wurde jedoch verworfen, weil mögliche Gewinne dabei einseitig an den privaten Partner geflossen wären. Die Übernahme in den Eigenbetrieb stellte sich als Erfolg dar, denn seit 2007 konnte das kommunale Unternehmen expandieren und weitete die Müllentsorgung auf die kreisfreie Stadt Schwedt aus. In anderen Regionen – etwa rund um Aachen – haben sich Kommunen zu regionalen Zweckverbänden der Abfallentsorgung zusammengeschlossen. Dieser kleine Boom an Rekommunalisierungen wird seit Mitte letzten Jahres sogar von der EU-Politik vereinfacht. Als Ergebnis der Gipfelverhandlungen im Juni 2007 wurde in einem Zusatzprotokoll eine Ausnahme für öffentliche Daseinsvorsorge festgelegt: Öffentliche Versorgungsleistungen müssen nicht mehr entsprechend der Dienstleistungsrichtlinien europaweit ausgeschrieben werden, sondern können kommunal eigenständig erbracht oder an andere vergeben werden.

Beifall bei Privatisierungsgegnern

Anti-Privatisierungs-Positionen lassen sich mittlerweile in fast allen politischen Spektren finden: von engagierten Kirchenvertretern über konservative Kommunalpolitiker bis hin zu Idealisten des Sozialstaats. Trotz der neoliberalen Hegemonie der Privatisierungspolitik gehört eine Kritik am Ausverkauf der öffentlichen Einrichtungen oder die Angst vor den "Heuschrecken" fast schon zum guten Ton der öffentlichen Debatte. Kaum eine Stellungnahme, die sich nicht positiv auf den Freiburger Bürgerentscheid gegen die Privatisierung der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft oder auf die Rekommunalisierung der Müllabfuhr in Bergkamen bezieht.

Bergkamen als Symbol einer kommunalen Ökonomisierung

Die positiven Bezugnahmen auf die Rekommunalisierung kommen nicht nur von erwarteter Seite. Der Jubel bei den Gewerkschaften und linken Organisationen ist wenig überraschend, doch auch der "Neue Kämmerer" – ein aus dem Hause der FAZ stammendes Fachblatt für öffentliches Haushalts-, Beteiligungs-, Immobilien und Prozessmanagement – lobt den "Mut zur Eigeninitiative" und "verspricht lukrative Margen in der deutschen Abfallwirtschaft", auch wenn Kommunen private Entsorger ablösen. Im Sommer 2007 widmete das Blatt sogar einen ganzen Schwerpunkt der Abfallwirtschaft. Darin wird Karin Opphard, die Geschäftsführerin des Verbands Kommunale Abfallwirtschaft und Stadtreinigung, zitiert, die beobachtet, "dass immer mehr Kommunen Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsvergleiche durchführen und prüfen, welche Lösung die bessere ist: kommunal oder privat". In dieser Aussage verbirgt sich das Potenzial zum Konsens in der Debatte um Privatisierungen. Denn es geht in erster Linie um kalkulierbare Kosten. Wenn öffentliche Unternehmen billiger und effizienter sind, dann spricht nichts dagegen, dass sie am Wettbewerb teilnehmen. Doch genau damit wird die Rekommunalisierung letztlich zum Instrument einer neoliberalen Ökonomisierung. Anti-Privatisierungs-Initiativen haben vielerorts damit an gesellschaftlicher Brisanz, eingebüßt. Ob verkauft wird oder nicht, scheint längst keine ideologische Frage mehr zu sein, sondern eine Entscheidung des kühlen Kalkulierens. Eine Anti-Privatisierungs-Kritik, die sich wesentlich an der Legitimation der Privatisierung abarbeitet und auf Mobilisierung der Betroffenen setzt, wird jedoch den Bruch mit der Logik des Wettbewerbs nur schwerlich vollziehen können. Auseinandersetzungen um Privatisierungen sollten daher nicht bei der Frage der Rechtsform und der Eigentümerkonstruktionen stehen bleiben, sondern die ökonomischen Bedingungen der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen selbst zum Thema zu machen. Bei aller Freude könnte ein wenig Skepsis über die gelungenen Rekommunalisierungen dafür ein Anfang sein.

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