MieterEcho 327/April 2008: Editorial

MieterEcho

MieterEcho 327/April 2008

Quadrat EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

was haben Müll und Altkleidersammlungen in Berlin mit amerikanischen Einfamilienhäusern zu tun? Auf den ersten Blick gar nichts, denn es sind sehr verschiedene und noch dazu lokale Ereignisse. Recht schnell aber erweist sich diese Sichtweise als zu eng. Die Altkleiderspende z. B. wird zur Ware und landet auf überseeischen Märkten zum Wohle der hiesigen – schon seit Langem kommerziell agierenden – Organisationen und zum Schaden der Textilindustrie in den Empfängerländern.

In den jährlichen Betriebskosten der Berliner Mieter/innen schlägt sich die Müllabfuhr nieder. Doch wenn die Haushalte vom Müll befreit sind, erlebt der Abfall als Objekt lukrativer Verwertung eine Auferstehung. Dabei sind Ländergrenzen keine Schranken, denn die Verwertung des Mülls ist ein globales Geschäft.

Hypotheken für Einfamilienhäuser in den USA (und anderswo) werden gesammelt, zu RMBS (Residential Mortgage Backed Securities*) verschnürt und auf dem globalen Finanzmarkt gehandelt. Die hiesige Industriekreditbank IKB ist ein einheimisches Beispiel für die Folgen.

Gänzlich verschiedene Elemente fast intimen lokalen Charakters erweisen sich als gleichermaßen verwertbar in einer globalisierten Ökonomie.

Unterschiede verschwimmen im globalen Raum auch in anderer Hinsicht. Die Planung der Stadtentwicklung in Harlem erinnert an die Aufwertungsbemühungen des Einzelhandels in Neukölln.

Die Ähnlichkeiten der 125. Straße mit der Karl-Marx-Straße sind nicht zufällig, nur die Dimensionen sind andere.

Globale Player suchen das Berliner Spreeufer. Damit deren Begehrlichkeiten nicht allzu ungeniert zur selbstverständlich herrschenden Linie der Berliner Politik werden, leistet die lokale Initiative "Mediaspree versenken" unermüdlich Aufklärungsarbeit. Ein Bürgerbegehren zum Spreeufer wurde gestartet und mit über 16.000 Unterschriften ist der erste Schritt zur Zulassung des Bürgerentscheids erfolgreich abgeschlossen.

Die Bürgerinitiative AG Gleisdreieck hat lange für den Park auf dem Gleisdreieck gekämpft, doch jetzt übernimmt der Senat die Führung und damit stellt sich die Frage, wer die Nutznießer sein werden. "Die jung-dynamischen Menschen vom Potsdamer Platz" werden zu Begünstigten ernannt. Gentrifizierung ist nicht nur ein Schicksal von Wohngebieten – auch harmlose Wiesen können zum Objekt der sozialen Aufwertung werden. Nach dem Willen des Senats soll der Park "weltweite Leuchtkraft" erlangen.

Solche Vorstellungen machen deutlich: Auch in einer globalisierten Welt bleibt uns die provinzielle Mentalität der Berliner Politik erhalten.

Man könnte sich getröstet fühlen.

Ihr MieterEcho

*) Residential Mortgage Backed Securities (RMBS) sind durch private Wohnungsbaudarlehen besicherte Verbriefungen.

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