MieterEcho 326/Februar 2008: Neukölln sucht Kauflustige

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MieterEcho 326/Februar 2008

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Neukölln sucht Kauflustige

Die Karl-Marx-Straße soll zum Sanierungsgebiet werden

Jutta Blume

Die Karl-Marx-Straße in Neukölln hat schon bessere Zeiten gesehen. Bei mangelnder Kaufkraft im Bezirk und harter Konkurrenz überleben fast nur noch Schnäppchenmärkte. Senat und Bezirk würden die Karl-Marx-Straße gern wieder zu einem bedeutenden Einkaufszentrum machen. Daher wird gerade untersucht, ob sie zwischen Herrmannplatz und S-Bahn-Ring zu einen Sanierungsgebiet erklärt werden soll.

Schnäppchenmärkte, Backshops, Handyläden und Schuhgeschäfte machen derzeit die typische Mischung aus. Das Kaufhaus Hertie schloss Ende 2005 die Türen. Das Gebäude fungiert als Restpostenmarkt weiter. Zeitgleich gab auch die Bekleidungskette Sinn-Leffers auf. Der Berliner Senat hat den Bedeutungsverlust der Karl-Marx-Straße erkannt und beschloss im Mai eine vorbereitende Untersuchung im Rahmen der integrierten Stadtteilerneuerung. Sollte das Gebiet jeweils einen Block tief von der Straße im Frühjahr 2008 zum Sanierungsgebiet erklärt werden, würde es dabei diesmal nicht um die Modernisierung von Wohnungen gehen. Die vorgeschlagenen Sanierungsziele beziehen sich auf die Stärkung von Handel und Dienstleistungen, die Aufenthaltsqualität der Straße sowie auf die Kooperation zwischen öffentlichen und privaten Akteuren. Auch wenn sich die Planungen hauptsächlich auf die "Funktionsschwäche" der Karl-Marx-Straße, also ihren Bedeutungsverlust als Stadtteilzentrum beziehen, so spielen aber auch die Wohnlagen eine Rolle für die zukünftige Entwicklung. So sieht es zumindest Susanne Jahn vom Stadtplanungsbüro Jahn, Mack und Partner, das mit der vorbereitenden Untersuchung beauftragt ist. Fördergelder würden in die Gebäudesanierung jedoch nicht fließen. Ob es ein Sozialplanverfahren für die von der Sanierung betroffenen Mieter/innen geben wird, darüber ließe sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts sagen. Schon jetzt scheint festzustehen, dass am Ende von den Eigentümer/innen kein Betrag für die Aufwertung ihrer Grundstücke abgeschöpft werden wird. Bislang ist eine Sanierung im "vereinfachten Verfahren" vorgesehen, was bedeutet, dass keine Ausgleichszahlungen erhoben werden können.

Auf einer ersten Bürgerversammlung zur Zukunft des Gebiets sollten insbesondere Händler/innen und Eigentümer/innen angesprochen werden. "Was wird denn nun konkret passieren?", war die Frage, die viele von ihnen stellten. Doch darauf gab es keine Antwort, vielmehr hatten die Veranstalter auf die Vorschläge der Anlieger gehofft. "Es gibt die Idee, ein Geschäftsstraßenmanagement einzurichten", erklärt Susanne Jahn. Es müsse unter anderem überlegt werden, wie die Eigentümer zur Finanzierung mit herangezogen werden können. "Eine hundertprozentige Förderung durch das Land Berlin wird es nicht geben", so Jahn. Einmütig meinen Eigentümer, dass die Karl-Marx-Straße ein Image-Problem hat. Und das muss, nach dem Willen aller Beteiligten, bekämpft werden, damit die Straße wieder Einkaufswütige aus der ganzen Stadt anzieht. Denn die im Bezirk haben nicht genug Geld, das sie auf 2,3 Kilometern Geschäftsstraße mit mehreren Einkaufszentren verteilen könnten.

Hoffnungsträger Großflughafen

"Wäre Neukölln eine eigenständige Stadt, wäre es die ärmste Stadt Deutschlands", erklärt Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky. Zudem machen die Gropiuspassagen - das größte Einkaufszentrum Berlins - mit 85.000 qm Ladenfläche erhebliche Konkurrenz. Buschkowsky hofft nun auf die Nutzer des neuen Großflughafens. Zwar werden diese in nicht allzu großer Entfernung landen, wie diese aber direkt auf die Karl-Marx-Straße gelockt werden sollen, ist unklar. Die U-Bahn soll jedenfalls nicht bis nach Schönefeld verlängert werden.

Sieht man sich die Senatspläne zur Einzelhandelsentwicklung Berlins an, spielt Neukölln nur eine untergeordnete Rolle. In der neuen Ausführungsvorschrift Einzelhandel ist festgeschrieben, wie viel großflächiger Einzelhandel in welchem Gebiet neu genehmigt werden darf. In Neukölln ist das mit 40.000 qm gegenüber 200.000 qm in Mitte vergleichsweise wenig. Die Flächen sind in Neukölln allerdings an die Karl-Marx-Straße gebunden, große Zentren an der Sonnenallee oder eine Erweiterung der Gropiuspassagen wären damit unzulässig.

Neue Einkaufspassage und eine ehemalige Brauerei

Im Frühjahr 2009 soll zunächst das ehemalige Hertie-Kaufhaus als Einkaufspassage neu eröffnet werden. Der Düsseldorfer Projektentwickler Centrum GmbH hat das Gebäude im Sommer erworben und will 2008 mit dem Umbau beginnen, wobei auch das Parkhaus in der Rollbergstraße erweitert werden soll.

Einen weiteren Entwicklungsschub erhofft sich der Bezirk von der Umgestaltung der ehemaligen Kindl-Brauerei, die in das geplante Sanierungsgebiet einbezogen wird. Das bisher recht hermetisch abgeschlossene Gelände an der Werbellinstraße soll nach dem Siegerentwurf des städtebaulichen Wettbewerbs geöffnet und mit den umliegenden Quartieren verbunden werden. Der Bezirk wünscht sich die Ansiedlung einer internationalen Privatuniversität, befindet sich hier aber noch auf der Suche nach Interessierten. Ansonsten ist eine Mischnutzung aus Erlebnisgastronomie, Ateliers, Dienstleistungen und Wohnen vorgesehen. Bei den Verkaufsflächen will man sich aber angesichts der Konkurrenz zurückhalten; maximal werden hier 5000 qm genehmigt. Bei der Wohnnutzung haben die Preisträger an Flächen für Baugemeinschaften gedacht, womit wohl besser situierte Bewohner/innen in den Kiez geholt werden sollen. Im Juli wurde der städtebauliche Wettbewerb entschieden, derzeit wird ein entsprechender Bebauungsplan aufgestellt. "Der Baubeginn des ersten Abschnitts könnte ungefähr in einem Jahr sein", so Roland Sartor vom Fachbereich Stadtplanung Neukölln. In einigen Monaten werde es noch eine Bürgerbeteiligung geben.

Wenn sich neue Geschäfte und Veranstaltungsorte um das Rathaus Neukölln konzentrieren sollen, ist allerdings auch ein neues Verkehrskonzept gefragt. Schon jetzt sind die Bürgersteige viel zu schmal, und auch der Autoverkehr quält sich auf zwei Spuren durchs Bezirkszentrum. Obwohl bislang niemand von einer Verkehrsberuhigung spricht und auch noch kein Verkehrsgutachten in Auftrag gegeben wurde, drängt sich der Gedanke geradezu auf. Nur hätte man dann wahrscheinlich an der nördlich gelegenen Sonnenallee das Nachsehen.

Standortfaktor Multikulti

Zuletzt setzen alle auf den Standortfaktor Kultur. In der Neuköllner Oper und einigen Hinterhöfen am Richardplatz herrscht tatsächlich ein komplett anderes Flair, das aber bislang nicht auf die Hauptverkehrsstraße überschwappt. Nach einer Wallenstein-Inszenierung in der Kindl-Brauerei hoffte der Bezirk, die Staatsoper auf das Gelände zu holen, dieser Plan gilt inzwischen aber als geplatzt. Bleibt nun die Hoffnung auf die üblichen Pioniere: Nach dem Vorbild des Reuterkiezes könnten Künstler/innen als Zwischennutzer die Läden beleben, Studierende und junge Familien könnten folgen. Aber auch "Multikulti" wird in diesem Zusammenhang in positives Licht gerückt. Ein multikultureller Basar könnte beispielsweise für das besondere Einkaufserlebnis sorgen. Alteingesessene Neuköllner/innen zeigten sich auf der Bürgerversammlung hingegen wenig aufgeschlossen, immer wieder war von einem zu hohen Ausländeranteil die Rede.

Bürgerbeteiligung erwünscht

Bei der Voruntersuchung bleiben bislang viele Fragen offen und Interessierte haben weiter die Möglichkeit, sich in das Verfahren einzubringen. Allerdings gibt es bislang keine weiteren Terminankündigungen. Susanne Jahn würde gern weitere Informationen auf die Internetseiten des Bezirksamts stellen lassen. Nach Ostern wird es ein formelles Bürgerbeteiligungsverfahren geben und danach wird letztendlich entschieden, ob, in welchen Grenzen und mit welchen Zielen die Karl-Marx-Straße Sanierungsgebiet wird.

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