MieterEcho 326/Februar 2008: Wenn juristische Mittel versagen

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MieterEcho 326/Februar 2008

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Wenn juristische Mittel versagen

Wie Mieter/innen Recht bekommen und doch ohne Dach und Schornsteine leben müssen

Peter Nowak

Nobel sieht die Fassade des Vorderhauses Almstadtstraße 24 im Scheunenviertel in Berlin-Mitte aus. Doch wenn man den Innenhof betritt, trifft man auf eine Baustelle. Nur ein schmaler Weg führt an den Gerüsten und Planen vorbei zur Haustür. Es brennt Licht und Fahrräder stehen im Flur. Denn das Haus ist bewohnt.

Anne-Marie und Yuliya gehören zu den Mieter/innen, die nicht nur seit Jahren auf einer Baustelle, sondern seit November in einem undichten Zelt leben. Der Vergleich ist nicht übertrieben. Die Mieter/innen berichteten, dass am 14. November 2007 vom Hausbesitzer Hans-Jürgen Thiedig beauftragte Bauarbeiter mit dem Abtragen des Dachs und einiger Schornsteine über dem bewohnten Quergebäude begannen. Ein Notdach, das bei Reparaturen zumindest vor den gröbsten Unbilden der Witterung schützt, wurde nicht errichtet. Ein Bauarbeiter habe gesagt, das sei zwar normalerweise üblich, aber sie hätten hier den Auftrag, es nicht aufzubauen, erzählt eine Mieterin.

Seitdem verfolgen die Mieter/innen den Wetterbericht besonders genau. Wenn Regen angekündigt ist, organisiert man Nachtschichten zum Wechseln der Eimer und Wannen. Die wurden in den Räumen der Mieter/innen aufgestellt, und damit das Regenwasser in die Behälter fließt, werden unter der Decke Plastikplanen gespannt, die an den Ecken mit Flaschen beschwert sind. Die Möbel und Computer der Bewohner sind notdürftig mit Planen geschützt. Decken und Teile der Wände sind feucht. In den Räumen riecht es nach Nässe und Schimmel. Hinzu kommt, dass die Zimmer wegen der abgebauten Schornsteine nicht beheizt werden können. Dabei hatten die Mieter/innen, wie jedes Jahr im Herbst, mehrere Tonnen Kohle für den Winter besorgt.

Einstweilige Verfügung ignoriert

Vom Bezirksschornsteinfeger, der von den Mieter/innen alarmiert worden war, wurde der Abbau der Schornsteine scharf kritisiert. Diese Maßnahme sei erfolgt, obwohl während des Abbaus erkennbar beheizte Öfen an den Schornsteinen angeschlossen waren. Doch den Hausbesitzer Thiedig scheint diese Kritik ebenso wenig zu kümmern wie mehrere einstweilige Verfügungen, die auf Betreiben der Mieter/innen erlassen worden waren und dem Hausbesitzer den Abriss von Dach und Schornsteinen untersagten. So wurde in einer dem MieterEcho vorliegenden einstweiligen Verfügung vom 26. November 2007 dem Hausbesitzer verboten, "die auf dem 1. Quergebäude des Hauses Almstadtstraße 24 befindlichen Schornsteine abzutragen und zu verschließen". Ferner wurde verboten, "Dachziegel von dem 1. Quergebäude (...) zu entfernen oder entfernen zu lassen". Stattdessen sollte der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werden.

Obwohl dem Hausbesitzer mittlerweile Ordnungsgelder wegen der Missachtung der einstweiligen Verfügungen auferlegt wurden, ging der Abbau von Dach und Schornsteinen weiter. "In diesem Fall versagen juristische Mittel", meint die Rechtanwältin Vera Hacke, die die Mieter/innen vertritt, gegenüber dem MieterEcho. Die erlassenen Ordnungsgelder in Höhe von 5000 Euro scheint der Hausbesitzer, der Inhaber eines gutgehenden mittelständischen Unternehmens ist, zu verschmerzen. Ob dies noch der Fall gewesen wäre, wenn das Gericht den Sanktionsrahmen der einstweiligen Verfügung ausgeschöpft hätte, muss bezweifelt werden. Danach wären Geldstrafen in Millionenhöhe oder bis zu drei Monaten Ordnungshaft möglich.

Kritik an der Bauaufsicht

Kritik übten Mieter/innen und die Rechtsanwältin auch an der Bauaufsicht in Berlin-Mitte. Die war seit Mitte November von den Vorgängen in der Almstadtstraße 24 unterrichtet, blieb aber untätig. Gegenüber Rechtsanwältin Hacke erklärte man, sich auf keine Seite stellen zu wollen. Deswegen wurde auch eine Begehung des Hauses mit der juristischen Vertreterin der Mieter/innen abgelehnt. Dafür war allerdings der Rechtsanwalt des Hausbesitzers vor Ort, als Beamte der Bauaufsicht sich ein Bild über die Lage machen wollten. "Müsste es nicht Aufgabe der Behörde sein, den Interessen von uns Mietern zur Durchsetzung zu verhelfen, da diese schließlich durch die gewonnenen einstweiligen Verfügungen noch bekräftigt worden sind?", fragen sich die Bewohner/innen. Vor Gericht sprach Thiedigs Anwalt Gerhard Wilms von den Bewohner/innen als einem "Biotop", das sein Mandant als Eigentümer nicht dulden könne. Gegenüber der Tageszeitung beklagte Thiedig: "Sämtliche notwendigen Instandsetzungsmaßnahmen (...) werden gezielt seit 1995 mithilfe der Gerichte verhindert."

Dass ein Hausbesitzer die Welt nicht mehr versteht, wenn Mieter/innen ihr Recht wahrnehmen, sich gegen Baumaßnahmen wehren und dann auch noch vor Gericht gewinnen, mag öfter vorkommen. Aber dass die Bauaufsicht untätig bleibt, ist wenig verständlich. Oder ist man dort auch der Meinung, dass im teuer sanierten ehemaligen Scheunenviertel kein Platz für dieses "Biotop" von Mieter/innen ist. Auf eine diesbezügliche schriftliche Anfrage bei der Behörde gab es keine Antwort.

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