MieterEcho 325/Dezember 2007: Nicht aus heiterem Himmel

MieterEcho

MieterEcho 325/Dezember 2007

Quadrat SICHERHEIT

Nicht aus heiterem Himmel

Mit der Verschärfung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) wird die bereits existierende Praxis von Behörden legalisiert

Christian Linde

Die Verschärfung des Polizeigesetzes wurde Ende November von der rot-roten Koalition beschlossen. Damit steht der Hauptstadt insbesondere eine massive Ausweitung der Kameraüberwachung bevor. Denn mit der Novellierung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) und des Berliner Datenschutzgesetzes hat die Polizei zukünftig nicht nur den Zugriff auf die Aufzeichnungen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), sondern erhält auch spezielle Rechte, um eigene Technik im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs zu installieren.

Das Abgeordnetenhaus verabschiedete das Gesetz mit einer hauchdünnen Mehrheit. 74 Abgeordnete stimmten mit Ja, 73 mit Nein. In zwei Jahren soll die Wirksamkeit der Gesetzesverschärfung überprüft werden. Durch die Novellierung des ASOG erhält die Polizei außerdem das Recht, die Videoaufnahmen von Großveranstaltungen privater Betreiber zu ihrer Einsatzlenkung "anlassunabhängig" zu nutzen. Darüber hinaus ermächtigt die Gesetzesänderung die Polizeibehörden "zur Verbesserung der Eigensicherung" bei Personen- und Fahrzeugkontrollen Videoaufzeichnungen anzufertigen. Ziel sei die Abwehr von "Gefahren durch den Terrorismus", aber auch die "Eindämmung des Drogenhandels", heißt es in der Gesetzesvorlage. Einen Missbrauch schließt die Landesregierung aus, weil die Befugnisse der BVG zur Verarbeitung der selbsthergestellten Videoaufzeichnungen "inhaltlich auf die Abwehr oder die Verfolgung von Straftaten, institutionell auf den Polizeipräsidenten oder die Strafverfolgungsbehörden beschränkt werden". Nur an diese dürfen die Daten weitergegeben werden. Außerdem soll ein mit der Polizei abgestimmtes Sicherheitskonzept festschreiben, dass die Daten spätestens nach 24 Stunden gelöscht werden, soweit sie nicht zur Abwehr oder Verfolgung von Straftaten erforderlich sind. Mit der neuen Gesetzeslage sollen gleichzeitig "Rechtsgrundlagen für die Erhebung und Untersuchung von DNA-Vergleichsproben vermisster Personen und unbekannter Toter sowie für die Standortfeststellung suizidgefährdeter Personen durch die Polizei geschaffen werden". Im Klartext: der rot-rote Senat schafft auch die Voraussetzung für die Handy-Ortung und die vereinfachte Fahndung mittels Gen-Daten.

Verkehrsunternehmen und Polizei Hand in Hand

Einen entscheidenden Schritt für den massenhaften Zugriff der Polizeibehörden auf Material der BVG haben die landeseigenen Verkehrsbetriebe selbst getan. Anfang August teilte das Unternehmen mit, um "unliebsame Personen" vom Gelände der Verkehrsbetriebe vertreiben zu können, werde das im letzten Jahr gestartete Pilotprojekt von drei videoüberwachten Bahnlinien auf das gesamte U-Bahn-Netz ausgeweitet. Die seit 2006 gegen den Widerstand des Datenschutzbeauftragten getroffene Maßnahme sieht bereits jetzt vor, dass das aufgezeichnete Material 24 Stunden lang aufbewahrt, bei Bedarf von der "Sicherheitszentrale" ausgewertet und der Polizei übergeben wird. Laut BVG haben im eigenen Haus lediglich sieben Personen Zugriff auf die konservierten Daten. Die Bilder, die in Echtzeit aus den Bahnhöfen übertragen werden, können jedoch von allen Mitarbeitern gesehen werden. Die notwendigen Investitionen für die Umrüstung der insgesamt 170 Bahnhöfe belaufen sich auf rund zwei Millionen Euro. Zusätzlich sollen sämtliche U-Bahn-Waggons mit Videotechnik versehen werden. Bei Neuanschaffungen gehört die dafür notwendige Technik bereits zur Grundausstattung.

Vollzug des Koalitionsvertrags

Bei den Parteien trifft die Gesetzesänderung auf ein geteiltes Echo. Während der CDU die Novelle nicht weit genug geht und die Partei Videoüberwachung auch auf öffentlichen Plätzen fordert, bezweifeln Bündnis 90/Die Grünen die Effektivität. "Das Polizeimodell von Rot-Rot scheint der unsichtbare Beamte mit einer unüberschaubaren Datenbasis zu sein", befürchtet Benedict Lux, Mitglied des Parlamentsinnenausschusses. Kritik kommt auch aus den Reihen der Partei DIE LINKE selbst. "Imaginäre Katastrophen mit katastrophalen Mitteln bekämpfen zu wollen, ist eine unsinnige Politik. Die vorsorgliche Ausforschung und Beobachtung von Personen, die ‚gefährlich werden könnten', widerspricht dem Grundsatz, dass nicht Gesinnungen, sondern Taten bestraft werden. Freiheit ist nicht dadurch zu schützen, dass man sie Schritt für Schritt eliminiert", heißt es in einem offenen Brief von der "antikapitalistischen Linken", einer Strömung innerhalb der Partei Die LINKE, an die Adresse der Abgeordnetenhausfraktion. Die Fraktion verweist auf den Koalitionsvertrag: "Die Erfahrungen mit dem Terrorismus haben gezeigt, dass zu den gefährdeten Objekten insbesondere Bahnanlagen zählen. Zur Abwehr dieser Gefahr darf die Polizei in öffentlich zugänglichen Räumen des öffentlichen Personennahverkehrs Videoaufzeichnungen herstellen oder von anderen angefertigte Videoaufzeichnungen verarbeiten." Im Übrigen würden mit der ASOG-Novellierung weder die Videoaufzeichnung bei der BVG noch bei Public-Viewing-Veranstaltungen eingeführt. Diese seien bereits jetzt möglich. Deshalb ginge es nicht um das "Ob", sondern nur um das "Wie". "Diese Gesetzesänderungen kamen nicht aus heiterem Himmel. Vielmehr ist den im Gesetzentwurf zu findenden Befugnistatbeständen eine tatsächliche Praxis von Sicherheitsbehörden vorausgegangen", verteidigt Marion Seelig, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die LINKE, die Initiative. Oder anders ausgedrückt: Mit der Verschärfung des ASOG legalisiert die rot-rote Koalition eine bereits existierende, aber bisher in Berlin nicht durch ein Gesetz abgedeckte Behördenpraxis.

Partnerschaft mit privaten Sicherheitsdiensten: IAS

Neben der Ausweitung der Überwachungspraxis droht auch eine Erweiterung der Befugnisse privater Unternehmen im Bereich hoheitlicher Aufgaben der öffentlichen Hand. Denn seit März vergangenen Jahres existiert ein in der Öffentlichkeit kaum bekanntes Papier, eine "Vereinbarung" zwischen dem Polizeipräsidenten in Berlin und dem Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BDWS) "über ein Zusammenwirken zur Stärkung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Bundeshauptstadt Berlin". Ziel der "Sicherheitspartnerschaft" zwischen der Berliner Polizei und der Landesgruppe Berlin (LGB) des BDWS ist es, "die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen privaten Sicherheitsdienstleistern und Polizei systematisch zu nutzen, um der Kriminalität wirksam vorzubeugen, Gefahren frühzeitig zu erkennen und das Entdeckungsrisiko für Straftäter zu erhöhen", heißt es in dem Vertrag. Zu diesem Zweck entwickelten die privaten Vertragspartner eine Infrastruktur, die als Schnittstelle zwischen staatlicher Behörde und privaten Sicherheitsdienstleistern fungiert. "Um den Austausch von Informationen und Meldungen zwischen Polizei und LGB zu erleichtern, richten die mitwirkenden Unternehmen eine gemeinsame Informations- und Ansprechstelle (IAS) ein (...), über die die Meldungen von und an die Polizei erfolgen. Zwischen der zentralen Einsatzstelle der Polizei und der gemeinsamen IAS der LGB werden die jeweiligen Erreichbarkeiten festgelegt. Durch gegenseitige Informationsbesuche erfolgt eine Unterrichtung über die jeweiligen technischen und taktischen Möglichkeiten in den Leitstellen."

"Sicherheitspartnerschaft" zwischen Polizei und Wirtschaft

Zwar hat sich der Datenschutzbeauftragte vehement dafür ausgesprochen, dass bei der Neufassung des Sicherheitsgesetzes eine Regelung gefunden werden müsse, die etwa bei der Videoüberwachung ausschließlich den Mitarbeitern der Polizei Zugang zu den Aufzeichnungen erlaubt - aber ohne Erfolg. Die Arbeitsteilung zwischen Polizeibehörden und privaten Sicherheitsdiensten spielte in der parlamentarischen Auseinandersetzung um staatliche Kernaufgaben bisher keine Rolle. Auch im Gesetzentwurf des SPD-Innensenators wird sie mit keinem Wort erwähnt. Ehrhart Körting wollte offenbar vor allem die rechtlose Situation insgesamt vom Tisch haben. "Die geltende Rechtslage gibt immer wieder Anlass zu Diskussionen, sowohl über den Umfang der Befugnis der BVG, zur Wahrnehmung des Hausrechts Videoaufnahmen anzufertigen, als auch über den Umfang der Befugnis der Polizei, diese Aufnahmen für eigene Zwecke zu nutzen", heißt es in der Beschlussfassung.

Entstaatlichung hoheitlicher Aufgaben

Dass auch die Polizeiführung selbst in dieser Frage Wert auf Diskretion legt, kann man in Punkt 4 des am 1. April 2006 mit den privaten Sicherheitsunternehmen in Kraft getretenen Vertrags nachlesen. "Die LGB und ihre an der Vereinbarung teilnehmenden Mitgliedsunternehmen verpflichten sich, keine Werbung mit der Vereinbarung bzw. ihrer Teilnahme daran zu machen". Es blieb der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin vorbehalten, die Entstaatlichung hoheitlicher Aufgaben zugunsten privater Unternehmen als Programm zu postulieren. "Die private Wirtschaft in Berlin ist sich ihrer Mitverantwortung bewusst und bereit, die Sicherheitsbehörden bei der Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben zu unterstützen", betonte der Vorsitzende des IHK-Arbeitskreises für Unternehmenssicherheit Berlin-Brandenburg, Carsten Baeck, anlässlich der Vertragsunterzeichnung. Wirtschaft und Staat müssten die veränderten Gefährdungspotenziale gemeinsam, wenn auch aus verschiedenen Blickwinkeln, betrachten und analysieren.

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 325