MieterEcho 325/Dezember 2007: Problemkieze und Kriminalitätskarten

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MieterEcho 325/Dezember 2007

Quadrat SICHERHEIT

Problemkieze und Kriminalitätskarten

Seit Anfang des Jahres wird in Berlin über die Einführung eines "Kriminalitätsstadtplans" diskutiert

Jutta Blume

Verbrechen und Gefahr räumlich in der Stadt verorten zu wollen, ist ein alter Wunsch, der in Berlin immer wieder auflebt und verschiedene Ausdrucksformen findet. Die Berliner Polizei sprach jahrelang von "gefährlichen Orten" und vor drei Jahren dann von "Problemkiezen", mit besonders hohen Zahlen an Straftaten. Die neueste Idee ist der "Kriminalitätsstadtplan".

Anfang des Jahres erschien eine EU-weite Studie zur Kriminalitätsbelastung verschiedener Großstädte unter dem Namen "EU International Crime and Safety Survey" (EU ICS). Das Besondere an dieser Studie ist die grafisch eingängige Aufarbeitung der Daten. Auf bunten Karten zeigen rote Flecken an, in welchen Stadtbezirken beispielsweise besonders oft Autos aufgebrochen oder Handtaschen geraubt werden. Allerdings beruht dieser Kriminalitätsatlas nicht auf der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), sondern auf einer Einwohnerbefragung. Für den Berliner Atlas wurden 600 Personen befragt. Gefragt wurden diese nicht nur, ob ihnen in den letzten fünf Jahren etwas gestohlen oder geraubt wurde, sondern auch, wie sicher sie sich nachts auf der Straße fühlten. Fragen wie "Hatten Sie im vergangenen Jahr Erlebnisse mit Drogenproblemen in Ihrer Nachbarschaft?" oder "Kommt es in Ihrer Nachbarschaft zu häuslicher Gewalt?" lassen sehr unterschiedliche Wahrnehmungen zu.

"Kein Abbild der Verbrechenswirklichkeit"

Polizeipräsident Dieter Glietsch kritisierte die Studie dafür, dass sie nicht auf kriminalstatistischen Daten über begangene Straftaten beruhe. Die Autoren sehen die Befragung hingegen als Methode, auch Verbrechen zu erfassen, die nicht zur Anzeige gebracht wurden. Die Idee von Kriminalitätskarten stieß besonders bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Berliner CDU auf Gegenliebe. Der Landesbezirksvorsitzende der GdP Eberhard Schönberg fordert "eine bessere Vernetzung vorhandener Daten in einem Kriminalitätsatlas für Berlin, bis hin zur Abbildung einzelner Straßen." Die EU-ICS-Studie bezeichnet er als richtigen Ansatz. Ein Vorbild für bezirksbezogene Kriminalitätsdaten wäre die Hamburger Polizei, die eine Auswahl von Delikten jährlich als Stadtteilatlas veröffentlicht. Der Kriminalitätsatlas für Berlin solle einer breiten Öffentlichkeit - und auch den Bezirkspolitiker/innen - die Möglichkeit geben, sich an der Diskussion über die Entwicklung der Kriminalität in den Stadtteilen Berlins zu beteiligen. Dabei gehe es nicht darum, Bezirke und Ortsteile zu stigmatisieren. Er solle die Grundlage für Entscheidungen des Abgeordnetenhauses und der Bezirksparlamente für eine vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung werden, heißt es bei der GdP. An anderer Stelle weist Schönberg allerdings darauf hin, dass die PKS "kein Abbild der Verbrechenswirklichkeit" sei und ihre "statistischen Zahlenspielereien" nicht überbewertet werden dürfen. Genau diese Daten würden aber wohl die Grundlage für den "Kriminalitätsstadtplan" bilden.

Im April warb die GdP in einem Schreiben an die Bezirksbürgermeister für die stadtteilbezogene Datenaufbereitung. "Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie sich schon jetzt dafür einsetzen würden, dass mit der PKS für das Jahr 2007 ein Stadtteilatlas vom Senator für Inneres veröffentlicht wird, in dem die Kriminalitätsbelastung in den Bezirken, heruntergebrochen bis auf einzelne Straßenzüge, veröffentlicht wird", heißt es darin.

Ob es 2008 Kartenmaterial zur PKS geben wird, bleibt aber weiterhin unklar. Die Pressesprecher der Berliner Polizei und der Senatsverwaltung für Inneres sagten, solche Pläne seien ihnen nicht bekannt. Laut einer Meldung von dpa kündigte Innensenator Ehrhart Körting aber vor dem Innenausschuss an, nach der parlamentarischen Sommerpause ein Konzept für einen Berliner Kriminalitätsatlas vorzulegen.

Verstärkte Kontrollen treiben Statistik nach oben

Der Wert kriminalistischer Karten für die Öffentlichkeit dürfte fragwürdig sein. Klaus Eisenreich, Pressesprecher der GdP betont, die Menschen hätten ein Recht darauf, dass man ihnen aufzeige, wo sie in Gefahr seien. Nur ein Teil der Kriminalität ist aber tatsächlich kiezbezogen. So tritt Handtaschenraub zum Beispiel besonders in von Touristen frequentierten Gebieten auf. Würde den Touristen nun von diesen Orten abgeraten, würde sich die Kriminalität einfach verlagern. Andere Delikte treten überproportional an Orten auf, an denen verstärkt Kontrollen durchgeführt werden. Dies betrifft beispielsweise die Drogenkriminalität. Und unter Sachbeschädigung werden etwa auch Graffiti gefasst, die sicher keinerlei Gefährdung darstellen. Auch die Angaben zu Tätern in der PKS sind mit Vorsicht zu genießen. So erfasst die Polizeistatistik immer nur Tatverdächtige, nicht verurteilte Straftäter. Wenn also ausländische Jugendliche besonders häufig in der Statistik auftauchen, liegt es auch daran, dass dieser Gruppe von vornherein eine höhere Kriminalität unterstellt wird. Dadurch wächst wiederum das Gefühl, durch Jugendliche bedroht zu sein. Die EU-ICS-Studie ging direkt auf dieses Gefühl ein, indem nach "unbeaufsichtigten Jugendlichen" im Stadtteil gefragt wurde.

Stigma "Problemkiez" wenig hilfreich

Das Stigma des "Problemkiezes", selbst wenn dieser Ausdruck nach 2004 nicht mehr offiziell von der Polizei gebraucht wurde, blieb an einigen Quartieren bis heute haften und wird besonders von der Presse gerne aufgegriffen. So wird in der bundesweiten Berichterstattung der Wrangelkiez in Kreuzberg gerne mit einer gescheiterten Integration von Migrant/innen in Verbindung gebracht. Als sich im November 2006 Jugendliche gegen einen überzogenen Polizeieinsatz im Kiez zur Wehr setzten, löste dies ein bundesweites Medienecho aus. Die Wrangelstraße war tagelang von Fernsehteams belagert. Im November 2007 berichtete das "heute journal" unter dem Stichwort "gescheiterte Integration" über Jugendgangs im Wrangelkiez, Hintergrund: die aktuelle Kriminalstatistik. These der Sendung war, dass sich Jugendliche türkischer und arabischer Herkunft zusammenschließen und gezielt gewalttätig gegen die deutsche Bevölkerung vorgehen. Als Beleg dazu werden die Aussagen einer Staatsanwältin und eines türkischstämmigen Kiezbewohners herangezogen. Der "Problemkiez" wird dabei in der Medienberichterstattung zu einer Art Symbolkiez, anhand dessen stereotype Bilder erzeugt und reproduziert werden. In den Berichten geht es weniger um eine Suche nach Lösungen, als um polemisch einsetzbare Negativbeispiele. Kriminalitätskarten mit rot markierten Brennpunkten könnten eine ähnliche Stigmatisierung nach sich ziehen, wie der Begriff "Problemkiez". Durch die kartografische Darstellung würde Kriminalität zu etwas Statischem, das einem begrenzten Raum anhaftet. Die Mobilität von Tätern wird dabei genauso unsichtbar gemacht, wie die gesellschaftlichen Prozesse, die als Ursache gelten können, und die sich nicht nur innerhalb eines begrenzten Raums abspielen. Werden wie bei der EU-ICS-Studie das Auftreten von Vandalismus, Graffiti und Müll auf der Straße in die Darstellung aufgenommen, wird außerdem das Stereotyp der Verbindung von ungepflegter Umgebung, Dreck und Verbrechen gefördert.

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