MieterEcho 325/Dezember 2007: Wie viel steht eigentlich leer?

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MieterEcho 325/Dezember 2007

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Wie viel steht eigentlich leer?

Die politische Zahl des Wohnungsleerstands

Julia Oppermann

"Werden in Berlin die Mietwohnungen knapp?", fragte der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. (BBU) in seinem letzten Wohnungsmarktmonitor, stellte aber zugleich fest, dass in Berlin rund 156.000 Wohnungen leer stünden. Über den Ursprung dieser Zahl wird nichts gesagt, sie wird auch nicht erläutert, monolithisch steht sie im Raum und beeindruckt - vor allem Journalisten. Deshalb ist die Frage wichtig: Woher hat der BBU seine Kenntnisse?

Das Stromzähler-Verfahren

Seit dem 1. September 2003 ermittelt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in halbjährlichem Abstand die Wohnungsleerstände in Berlin. Sie wendet dabei das sogenannte Stromzähler-Verfahren an. Die Vattenfall AG meldet der Senatsverwaltung die Vertragszustände ihrer 2,2 Millionen Zähler von denen 1,98 Millionen mit Wohnnutzung in Verbindung stehen. Diese Zählermenge wird mit dem Adressbestand des "Regionalen Bezugssystems" (RBS) des Statistischen Landesamts Berlin abgeglichen und in der Zahl bereinigt. Dabei werden die Zähler ausgeschlossen, die, so die Senatsverwaltung in feinem Kanzleideutsch, "zwar einen Stromzähler mit Wohnnutzung repräsentieren, allerdings keine Wohnnutzung im Sinne ihrer Definition darstellen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Stromzähler mit Wochenendhaus- und Kleingartennutzung, sog. Hauszähler in Mehrfamilienhäusern, die nicht wohnungsbezogene Gemeinschaftseinrichtungen (Treppenhauslicht etc.) versorgen, sowie temporäre Entnahmestellen (Baustelleneinrichtungen, Weihnachtsmarktbeleuchtung u.a.)." Übrig bleiben ca. 1,88 Millionen Stromzähler.

Der Stichtagsleerstand

Als Stichtagsleerstand wird die Menge der Wohnungen bezeichnet, für deren Stromzähler zum Erhebungszeitpunkt kein Vertragsverhältnis besteht. Dabei kommt es auf die Dauer des vertragslosen Zustands (drei, sechs oder 24 Monate) nicht an.

Die Senatsverwaltung kommentiert: "Die Leerstände bis zu sechs Monaten Dauer haben eher untergeordnete Bedeutung, weil darin auch die wohnungsmarktpolitisch notwendige ‚Fluktuationsreserve' enthalten ist, also diejenigen Wohnungen, die wegen aktueller Umzüge gerade frei geworden sind und nach relativ kurzer Frist wieder neu bezogen werden. Im Allgemeinen wird die Fluktuationsreserve mit 2 bis 3% des gesamten Wohnungsbestands angenommen. Der Stichtagsleerstand hat damit lediglich statistischen Wert und der 3-Monats-Leerstand wird im Hinblick auf die bundesweit übliche Erhebung erfasst. Stadtentwicklungspolitisch bedeutsamer - und darauf kommt es hier an - sind die längerfristigen 6- und 24-Monats-Leerstände, die tendenziell auf besondere Problemlagen hinweisen."

Es fällt sofort auf, dass genau genommen nach dieser Methode nicht die Wohnungen, sondern die Stromzähler gezählt werden. Auch die Bereinigung kann nicht ausschließen, dass z. B. in Wohngemeinschaften mehrere Zähler existieren und es andererseits Wohnungen gibt, für die kein Vertragsverhältnis zur Stromlieferung besteht. Eine Methode, die zu Skepsis Anlass gibt.

Doch wie dem auch sei, der aktuelle Stichtagsleerstand mit "lediglich statistischem Wert" beträgt 156.000 Wohnungen. Das sind 8,3% von 1,88 Millionen zugrunde gelegten Wohnungen und das ist exakt die Zahl, mit der der BBU hantiert.

Der nach der Stromzähler-Methode der Senatsverwaltung ermittelte wesentlich wichtigere 6-Monats-Leerstand erfasst nur 108.000 Wohnungen bzw. 5,8% des Gesamtbestands. Ihn ignoriert der BBU.

Der Techem-empirica-Leerstandsindex

Doch Leerstand ist noch längst nicht Leerstand, wird sich gleich zeigen. Die Firma empirica erstellt seit einigen Jahren den sogenannten Techem-empirica-Leerstandsindex. Wie dabei vorgegangen wird, erläutert empirica: "Die Grundgesamtheit des Techem-empirica-Leerstandsindex bilden die im jeweiligen Jahr von der Techem AG betreuten Wohnungen. Weil Techem nur für vermietbare Geschosswohnungen mit Zentralheizung und/oder zentraler Warmwasserversorgung (inkl. Fernwärme) beauftragt wird, bleiben Wohnungen in Ein-/ Zweifamilienhäusern und Wohnungen mit Substandard (ohne Zentralheizung/ Warmwasserversorgung) außen vor. Der Techem-empirica-Leerstandsindex misst also eine 'marktaktive' Leerstandsquote in Mehrfamilienhäusern. Jede Wohnung, für die keine Miete bezahlt wird, wird als leer stehend gezählt (für leer stehende Wohnungen übernimmt der Vermieter taggenau die anteilige Heizkostenrechnung)."

Das ist nicht uninteressant. Die Eigenheime werden nicht gezählt und die Substandardwohnungen, die längst nicht mehr zur Vermietung bestimmt sind, bleiben ebenfalls außerhalb der Betrachtung. Nach dieser - ein realistischeres Bild des Wohnungsmarkts vermittelnden - Methode beträgt die Grundgesamtheit 1.678.791 Wohnungen und davon stehen 87.000 Wohnungen oder 5,6% des Bestands leer.

156.000 oder nur 70.200?

Doch kehren wir noch einmal zu der Leerstandsanalyse des Senats zurück. Sie gibt nämlich auch Auskunft über die Leerstandsgründe:

Vermietungsprobleme werden eigentlich nur bei den verbleibenden 45% der Leerstände gesehen und das sind allenfalls 70.200 Wohnungen. Der BBU aber operiert mit 156.000 Wohnungen. Das sei ihm verziehen, denn es handelt sich dabei um eine politisch eingesetzte Zahl, um die Sorgen der Vermieter dramatischer erscheinen zu lassen.

Doch das sollte niemand veranlassen - vor allem keine Mieter, aber auch keine Journalisten - derartig tendenziöser Darstellung zu folgen. Schließlich bleibt der BBU die Antwort auf die Frage, wie es denn angesichts solch beeindruckender Leerstände, d.h. angesichts eines so großen Angebotsüberhangs, zu der unerwartet hohen Steigerung der Mieten - ausgewiesen durch den letzten Mietspiegel - kommen konnte, mehr als schuldig.

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