MieterEcho 324/Oktober 2007: Zwischennutzung und Gentrifizierung im Wedding

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MieterEcho 324/Oktober 2007

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Zwischennutzung und Gentrifizierung im Wedding

Interview mit Jürgen Breiter von der "Agentur für alltägliches Stadtleben"

Jürgen Breiter, geb. 1969 in Bamberg, studierte Architektur an der Gesamthochschule Kassel. 1999 Umzug nach Berlin, 2003 in den Wedding. Dort Mitinitiator des Mieterhausprojekts Malplaquetstraße 13. 2006 Gründung der "Agentur für alltägliches Stadtleben", die Konzepte für soziale Stadtentwicklung, Kultur- und Immobilienmarketing entwickelt.

Die Stadtentwicklung kann auch durch Engagement von Anwohner/innen beeinflusst werden. Jürgen Breiter kam über eine erfolgreiche Nachbarschaftsinitiative im Wedding auf die Idee, die "Agentur für alltägliches Stadtleben" zu gründen.

Wie kam es zur Gründung der "Agentur für alltägliches Stadtleben"?

Jürgen Breiter: Ich bin 2003 in den Wedding gezogen. Die vielen leer stehenden Gewerberäume brachten mich auf die Idee, die "Schaufenstergalerie Wedding-Windows" zu initiieren. Dadurch kamen Kontakte mit Anwohnern und Vermietern zustande. In einem der beteiligten Häuser entstand das Mieterhausprojekt Malplaquetstraße 13/13a. Die Sanierung des damals zu 75% leer stehenden Hauses erfolgte in enger Kooperation zwischen Eigentümer und Bewohnern, auf unnötigen Luxus wie eine schicke Fassade wurde zugunsten einer günstigen Miete bewusst verzichtet. Jetzt sind sämtliche Wohnungen belegt. Motiviert durch diese positiven Erfahrungen habe ich die "Agentur für alltägliches Stadtleben" gegründet, um innovative Konzepte zur Stadtentwicklung im Wedding voranzubringen.

Wie beurteilen Sie die Situation im Wedding?

Jürgen Breiter: Der Wedding ist authentisch, ehrlich und unverblümt. Er zeigt auch die Seiten der sozialen Realität, die sonst nicht zu sehen sind. Insofern ist er auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Ich will die Situation nicht beschönigen, aber der Wedding ist besser als sein Ruf und vor allem besser als das negative Image, das häufig über die Medien verbreitet wird. Es gibt Viertel mit schönen Altbauten und auch viele Parks. Entgegen herrschender Vorurteile leben hier nicht nur sozial Schwache und Migranten, sondern auch ein solider Mittelstand. Seit einigen Jahren werden zunehmend Gaststätten eröffnet, die auf ein zahlungskräftiges Publikum angewiesen sein dürften.

Wie sieht Ihre konkrete Tätigkeit aus?

Jürgen Breiter: Ich verfasse Konzepte und Strategien für die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung des Stadtteils. Dabei versuche ich, Anwohner, Eigentümer, Hausverwaltungen und Gewerbetreibende zu vernetzen. Entscheidend sind die Gewerberäume, da diese das Leben im Bezirk prägen und die als vorhandenes Potenzial genutzt werden können.

Die Praxis ist häufig, dass sogenannte Zwischennutzer von Gewerberäumen nur kurzfristige Mietverträge erhalten, die nach der Aufwertung eines Quartiers problemlos beendet werden können.

Jürgen Breiter: Ich bin kein Freund von Zwischennutzung. Dabei werden Kulturschaffende oder andere Initiatoren allzu oft als Lückenbüßer eingesetzt, wie etwa beim Mellowpark in Köpenick - eine als Zwischennutzung gestartete Initiative, die trotz ihres Erfolgs wahrscheinlich zugunsten eines Investors geopfert wird.

Wie wollen Sie einer solchen Verdrängung im Wedding entgegenwirken?

Jürgen Breiter: Mir geht es um eine nachhaltige Entwicklung. Statt Zwischennutzungen strebe ich schrittweise Projektentwicklungen an. Der Vermieter sucht einen zuverlässigen und langfristigen Mieter, Existenzgründer benötigen günstigen Raum als Startbedingung. Beim Mieterhausprojekt hat sich gezeigt, dass die verschiedenen Interessen durchaus vereinbar sind. Der Vermieter hat Mieter, die sich um das Haus kümmern und selbst für Nachmieter sorgen, es gibt also keinen Leerstand. Die Mieter haben günstige sanierte Wohnungen in einer selbst gestalteten Nachbarschaft.

Ein Teil der ansässigen Bevölkerung kann die steigenden Mieten nicht mehr bezahlen und muss deshalb wegziehen, wie dies in den letzten Jahren in Mitte oder Prenzlauer Berg zu beobachten war.

Das Phänomen der "urbanen Völkerwanderung" ist nicht so einfach in den Griff zu bekommen. Neben Künstlerateliers und Galerien werten zum Beispiel auch Studenten ein Quartier auf. Denen kann man aber doch nicht vorwerfen, dass sie preiswerten Wohnraum suchen. Es ist wie bei einer Kettenreaktion - die Entwicklungen in Prenzlauer Berg und Alt-Mitte führen jetzt zu Nebenwirkungen im Wedding. Die für Investoren günstigen Grundstückspreise tragen ihren Teil dazu bei.

Es wäre aber wichtig, bezahlbare Mieten zu erhalten, um eine Verdrängung der ansässigen Bevölkerung zu vermeiden. Das könnten am ehesten kommunale Wohnungsbaugesellschaften leisten, doch da geht der Trend in den letzten Jahren leider in Richtung Verkauf. Auch eine gezielte Förderung von alternativen Haus- und Genossenschaftsprojekten wäre wünschenswert.

Die Fragen stellte Frank Fitzner.

Weitere Infos: www.wedding-windows.de

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