MieterEcho 324/Oktober 2007: Editorial

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MieterEcho 324/Oktober 2007

Quadrat EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

dass der Paragraf 129 a des Strafgesetzbuchs keine Sicherheit schaffe, sondern eine Bedrohung für die Inanspruchnahme demokratischer Rechte darstelle und daher abgeschafft gehöre, war in der MieterEcho-Redaktion immer Konsens.

Aber es war nur eine abstrakte Position, denn unmittelbar betroffen hatte sich niemand gefühlt. Doch schlagartig veränderte sich die Wahrnehmung, als unser Redakteur Andrej Holm eines Tages um 6.30 Uhr durch scharfes Klopfen und die gleichzeitige Drohung, dass die Tür aufgebrochen werde, abrupt geweckt, sofort zu Boden gezwungen und fixiert wurde, Teile des vierzehnköpfigen Einsatzkommandos mit gezogener Waffe in die Räume der Wohnung drangen und jeweils die Meldung "Raum eins, Raum zwei ... gesichert" machten, dabei Räume "sicherten", in denen sie kleine Kinder aus dem Schlaf rissen, Andrej mit einem Hubschrauber nach Karlsruhe verbracht wurde und schließlich drei Wochen lang in einer sieben qm großen Zelle eingesperrt war, unterbrochen nur durch eine Stunde täglichen Hofgangs und vierzehntägliche halbstündige Besuche von Angehörigen.

Die Handhabe für dieses Vorgehen liefert der Paragraf 129 a und der unsinnige Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der sich auf Sprachgutachten stützt, bei denen die Verwendung des Worts Gentrification eine zentrale Rolle spielt.

Es ist ein Stück aus dem Tollhaus, dessen Ende bei Redaktionsschluss noch nicht feststand.

In diesem Heft beschäftigen wir uns mit Gentrifizierung. Wir tun das nicht zum ersten Mal und hatten das Heft bereits geplant, als noch niemand an Andrejs Verhaftung und die hirnrissigen Vorwürfe dachte. Doch danach bekam das Heft eine tiefere Bedeutung. Es fand sofort Unterstützung durch Neil Smith, einen der bedeutendsten Theoretiker der Gentrifizierung. Er stellt fest: "Gentrifizierung ist die profitable Erneuerung von städtischen Teilräumen, in denen zuvor die städtische Infrastruktur vernachlässigt wurde." Das trifft in Berlin auf einige Gebiete zu, am ausgeprägtesten auf die Gegend um die Auguststraße in Mitte, in der sich die internationale Szene des Kunsthandels bereits kurz nach der Wende anzusiedeln begann.

Diese Gegend wurde tüchtig gentrifiziert und genau darüber hat Andrej Holm seine Diplomarbeit geschrieben. Es war eine erfolgreiche Diplomarbeit und sie verschaffte ihm die Grundlage für seine spätere Promotion. Dass diese wissenschaftliche Beschäftigung in Zusammenhang mit seinem zivilgesellschaftlichen Engagement für die Bundesstaatsanwaltschaft Anlass für seine Verhaftung werden sollte, ist mehr als nur ein Skandal. Es ist der Beweis für die Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien und damit der zwingende Grund für die dringend notwendige Abschaffung des Paragrafen 129 a.

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