MieterEcho 323/August 2007: Kreuzberg Chamissoplatz

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MieterEcho 323/August 2007

Quadrat REZENSION

Kreuzberg Chamissoplatz

Eine Geschichte - viele Bilder

Andrej Holm

Die 166 Fotos von den am Chamissoplatz lebenden Fotografen Wolfgang Krolow und Soenke Tollkühn und aus privaten Sammlungen zahlreicher Anwohner/innen in dem sorgfältig gestalteten Band sind allein schon den Preis von 18 Euro wert. "Kreuzberg Chamissoplatz - Geschichte eines Berliner Sanierungsgebietes" ist das Buch zur Ausstellung "Über den Berg", die seit 2003 am Chamissoplatz gezeigt wird. Das Buch ist als Bilderlesebuch konzipiert und nimmt die Leser/innen mit auf eine Zeitreise in die 1970er und 1980er Jahre. "Kreuzberg Chamissoplatz" dokumentiert am Beispiel des Sanierungsgebiets Chamissoplatz die Entstehung einer behutsamen Stadterneuerung.

Nach einem kurzen Überfliegen der bauhistorischen Geschichte des Gebiets landen wir in den 70er Jahren. Der Berliner Senat setzt wohnungspolitisch auf den Abriss der Mietskasernen und den Neubau moderner Wohnungen. Auch das Gebiet um den Chamissoplatz ist für diese Entwicklung vorgesehen. Doch vielen Mieter/innen in den Altbaugebieten sind die Mieten in den Neubauvierteln zu teuer - die Flächensanierung gerät ins Stocken und die Politik unternimmt erste Bemühungen, um die Abrissquoten zu reduzieren. Der Chamissoplatz wird wie 26 andere Gebiete in West-Berlin zum "Sanierungsverdachtsgebiet". Die "Vorbereitende Untersuchung" und die "Sozialstudie" für die Sanierung zeigen 1976 deutlich, was die Bewohner/innen wollen: im Gebiet bleiben, ohne dass die Mieten steigen.

Das erste vom Senat vorgelegte Neuordnungskonzept sieht jedoch eine weitgehende Entkernung vor: Abriss der Quergebäude und Seitenflügel. Die Bewohner/innen sind empört und sehen darin eine Fortführung der Kahlschlagpolitik. Dennoch beginnen Ende der 70er Jahre die ersten Bauarbeiten. Nicht nur die Hofbebauung fällt der Sanierung zum Opfer. Auch Deckenstuck, Holzfußböden, alte Fenster und Türen verschwinden im Zuge der Sanierung. Was wie Sozialer Wohnungsbau gefördert wird, soll auch wie Sozialer Wohnungsbau aussehen. Vom Ambiente des gründerzeitlichen Altbauviertels bleibt nur wenig.

Die Bewohner/innen sehen sich getäuscht, hatte man ihnen doch Instandsetzungen und eine angepasste Modernisierung versprochen. Der 1978 gegründete "Mieterrat Chamissoplatz" übernimmt fortan die Interessenvertretung der Nachbarschaft und organisiert den Widerstand gegen die Abrisssanierung. Im Mittelpunkt der Kritik steht weniger der ästhetische Unmut als vielmehr die Befürchtung von Mietsteigerungen - denn die Mieten im Sozialen Wohnungsbau sind deutlich teurer als in den Altbauvierteln.

Doch viele Häuser wurden in Erwartung einer baldigen Sanierung bereits freigezogen. Die Sanierung steht in den Startlöchern. Mit den Hausbesetzungen von 1980/81 - auch am Chamissoplatz werden 17 Häuser besetzt - endet diese Option erst einmal. Der Senat rudert zurück und beschließt die "Zwölf Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung". Von nun an darf nur noch in Ausnahmefällen und in Absprache mit den Bewohner/innen abgerissen werden. Die Sanierungsarbeiten erfolgen zunächst im Rahmen des sogenannten "Kombi-Programms". Gefördert werden Instandsetzungsarbeiten und reduzierte Modernisierungsmaßnahmen. Die Mieten ändern sich zunächst nicht, denn durch die Förderung ist eine Modernisierungsumlage ausgeschlossen und preiswerter Wohnraum bleibt erhalten. Spätere Förderprogramme im Rahmen der "Behutsamen Stadterneuerung" ermöglichen jedoch höhere Ausstattungsstandards und in begrenztem Umfang auch Mieterhöhungen. Die so erreichte Mischung von gründerzeitlichem Flair und verbesserten Wohnverhältnissen entspricht den ursprünglichen Forderungen der Bewohner/innen - doch zugleich bilden sie eine geeignete Kulisse für die spätere Aufwertung des Gebiets. Seit der Aufhebung der Sanierungssatzung 2003 werden rund um den Chamissoplatz vermehrt Luxusmodernisierungen und Umwandlungen in Eigentumswohnungen durchgeführt.

Das Buch "Kreuzberg Chamissoplatz" ist konsequent aus der Perspektive der Bewohnerschaft geschrieben. Es zeigt in seinem Ritt durch die Geschichte aber auch, wie sich langfristig der Verzicht auf eine mietenpolitisch eindeutige Position auswirken kann. Der Kampf um die Mieten, der am Beginn der Auseinandersetzungen stand, hat sich im Lauf der Jahre in eine Beteiligung an der Gestaltung der Häuser, Höfe und Straßen gewandelt. Auch aus dieser Perspektive ist "Kreuzberg Chamissoplatz" eine lesenswerte Lektüre. Ganz abgesehen von der Fülle an eindrucksvollen Fotos.

Alf Bremer, Gabriele Klar, Christian Porst, Michael Stein: Kreuzberg Chamissoplatz. Geschichte eines Berliner Sanierungsgebietes.

Berlin 2007: Propolis Verlag, 144 Seiten, 102 Schwarz-Weiß- und 64 Farbfotos, 19 Illustrationen, 18 Pläne sowie Umschlagklappe mit großem Übersichtsplan, ISBN 978-3-9810108-0-0, Preis: 18 Euro

Zu bestellen: info@gesoplan.de

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