MieterEcho 323/August 2007: Vor Wohnungsprivatisierung wird gewarnt

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MieterEcho 323/August 2007

Quadrat WOHNUNGSMARKT

Vor Wohnungsprivatisierung wird gewarnt

Bis zum Jahr 2020 wird sich die Zahl der Sozialwohnungen bundesweit noch einmal halbieren

Christian Linde

Die Wohnraumversorgung wirtschaftlich und sozial benachteiligter Haushalte wird maßgeblich vom Angebot an preiswerten Wohnungen beeinflusst. Sozialwohnungen und Wohnungen öffentlicher Wohnungsunternehmen sind ein wesentlicher Teil dieses Angebots. Dieser Teilmarkt unterliegt seit Jahren starkem Druck.

Einerseits fallen Sozialwohnungen aus der Bindung, was bedeutet, dass bei einem Mieterwechsel die Wohnungen an jedermann vermietet und die Miethöhe "frei" vereinbart werden kann. Andererseits versuchen Kommunen und Länder, ihre Haushaltsdefizite durch die Veräußerung von Wohnungsunternehmen zu verringern. Zuletzt haben Berlin und Dresden anschauliche Beispiele dafür geliefert. Der "Forschungsverbund Wohnungslosigkeit und Hilfen in Wohnungsnotfällen" hat die "Auswirkungen des Wegfalls von Sozialbindungen und des Verkaufs öffentlicher Wohnungsbestände auf die Wohnungsversorgung unterstützungsbedürftiger Haushalte" am Beispiel verschiedener Städte untersucht.

Vom Boom zum Stillstand

Zwischen 1950 und 2002 wurden etwa 8,7 Millionen Wohnungen mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus gefördert. Mehr als zwei Drittel entstanden zwischen 1950 und 1970.

Ihren Tiefpunkt erreichte die Förderung Ende der 80er Jahre, aber zu Beginn der 90er Jahre erlebte die Wohnungsbauförderung durch den Anstieg der Zuwanderung aus der ehemaligen DDR und Osteuropa eine Renaissance. Inzwischen ist der soziale Wohnungsbau nahezu zum Erliegen gekommen. 2004 befanden sich noch etwa 2,1 Millionen Wohnungen in der Sozialbindung. Bezogen auf den Gesamtwohnungsbestand entsprach dies einer Quote von 7%. Zum Vergleich: 1969 lag der Anteil noch bei fast 19%, 1987 immerhin noch bei 15%.

Mieterstruktur und Mietbelastung

Der Sozialwohnungsbestand ist geprägt durch einen überdurchschnittlichen Anteil an einkommensschwächeren Haushalten. Zwar fiel die Mietbelastung in den bindungsfrei gewordenen Wohnungen im Vergleich zum Durchschnitt der westdeutschen Großstädte moderat aus. Jedoch zeichneten sich innerhalb der verschiedenen Einkommensgruppen erhebliche Belastungsunterschiede ab. Haushalte mit einem Nettoeinkommen von 20% unterhalb der Einkommensgrenze des sozialen Wohnungsbaus mussten 41% ihres verfügbaren Einkommens für die monatliche Miete aufbringen. Bei den einkommensstärkeren Gruppen mit einem Einkommen von 40% und mehr über der Berechtigungsgrenze waren es lediglich 18%. Haushalte, die nach dem Bindungswegfall eine Wohnung bezogen haben, waren bei angespanntem Wohnungsmarkt mit Mieterhöhungen konfrontiert. Doch obwohl die Mehrzahl der Wohnungseigentümer von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, schrittweise die ortsübliche Vergleichsmiete zu verlangen, lag das Mietniveau unter dem Durchschnitt vergleichbarer Wohnungen.

Entmietung und Eigentumsbildung

Bei ihrer Zukunftsprognose verweisen die Wissenschaftler zunächst auf bereits vorliegende Studien. Ältere Untersuchungen, wie 1985 in Hannover, weisen aus, dass die Rückzahlung der öffentlichen Mittel häufig Eigentümerwechsel, Modernisierungen und Mietsteigerungen zur Folge hatten. Daraus ergab sich ein beschleunigter Auszug der Mieter. Auch die Umwandlung in Eigentumswohnungen führte zur Beschleunigung des Mieterauszugs. Innerhalb von fünf Jahren war fast die Hälfte der Mieter/innen ausgezogen. Nach zehn Jahren war nur noch ein Drittel der ursprünglichen Mieterschaft verblieben.

In einer Untersuchung aus dem Jahr 1980 über die Bedingungen und Folgen der vorzeitigen Überführung älterer Sozialwohnungen in den "freien" Wohnungsmarkt wurde festgestellt, dass bei anhaltend starker Nachfrage nach Sozialwohnungen und gleichzeitiger Reduzierung des Bestands die Umzugshäufigkeit und damit die Zahl der frei werdenden Sozialwohnungen zurückgeht. Durch diese Entwicklung habe sich die Vergabemöglichkeit von Sozialwohnungen reduziert. Folglich sind einkommensschwache Haushalte aufgrund des verringerten Bestands darauf angewiesen, in unmodernisierte Altbauten zu ziehen.

In einem Gutachten aus Hamburg von 2001 über den "Versorgungsbeitrag der ehemaligen Sozialwohnungen" wird festgestellt, dass inzwischen ein Großteil der Wohnungen modernisiert worden war. Für den überwiegenden Teil der Mieter/innen hat es erhebliche Mietsteigerungen gegeben. Rund die Hälfte der Vermieter haben hier die gesetzlichen Möglichkeiten für Mieterhöhungen voll ausgeschöpft.

Agenda 2020

Nachdem sich seit 1987 der Bestand an Sozialwohnungen halbiert hat, prognostiziert die Studie des Forschungsverbunds, dass bis zum Jahr 2020 weitere 850.000 Wohnungen ihre Sozialbindung verlieren werden. Dies bedeutet eine erneute Halbierung des derzeitigen Bestands. "Insgesamt hat die Untersuchung ergeben, dass der Bindungswegfall und die Privatisierung öffentlicher Wohnungsunternehmen bislang zu keiner spürbaren Verschlechterung der Wohnungsversorgung einkommensschwacher und auf dem freien Wohnungsmarkt benachteiligter Haushalte geführt hat", stellen die Wissenschaftler fest. Sie warnen aber gleichzeitig: "Dieser Befund sollte nicht als "Ermunterung" für die Privatisierung von kommunalen und staatlichen Wohnungsunternehmen missverstanden werden. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Verkauf der untersuchten Wohnungsunternehmen fast durchweg an die Einhaltung zeitlich befristeter Auflagen zum Schutz der Mieter gebunden war." Hinzu käme, dass seit dem Zeitpunkt der Privatisierung erst wenige Jahre vergangen sind, sodass Veränderungen in der Unternehmensstrategie noch keine messbaren Wirkungen zeigten.

"Solange nicht gesicherte Erkenntnisse darüber vorliegen, welche Strategie die neuen Eigentümer langfristig verfolgen, sollten die Kommunen bei der Veräußerung zurückhaltend sein. Dies gilt umso mehr, als in den nächsten Jahren viele Sozialwohnungen ihre Belegungsbindung verlieren, die Wohnungsunternehmen aber wenig Bereitschaft erkennen lassen, Belegungsrechte gegen Entgelt an die Kommunen abzutreten." Vielmehr streben die meisten der befragten Unternehmen langfristig eine Veränderung der Bewohnerstruktur hin zu "finanziell und sozial besser gestellten Mietern" an.

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