MieterEcho 322/Juni 2007: Größter Preisanstieg bei den billigsten Wohnungen

MieterEcho

MieterEcho 322/Juni 2007

Quadrat TITEL

Größter Preisanstieg bei den billigsten Wohnungen

Die Veränderungen des Berliner Wohnungsmarkts bei dem Vergleich der Mietspiegel 2005 und 2007

Joachim Oellerich

Der Mietspiegel gibt nicht nur Auskunft über den Wohnungsmarkt, er gestattet auch einen Blick auf die zugrunde liegenden gesellschaftlichen und politischen Prozesse. Der Preisanstieg bei den kleinen und preisgünstigen Wohnungen verweist auf die vergrößerte Nachfrage durch die ca. 314.000 ALG-II-beziehenden Bedarfsgemeinschaften. Gleichzeitig spiegelt die verstärkte Nachfrage nach Wohnungen in guten Altbaulagen die wachsende soziale Polarisierung wieder. Und der Anstieg des gesamten Mietniveaus verdeutlicht die Profitstrategie der Käufer von ehemals öffentlichen Wohnungsbauunternehmen. Diese drei Faktoren beeinflussen den Wohnungsmarkt: vermehrte Armut, gesellschaftliche Polarisierung und Privatisierung.


Diagramm Wohnlagen

In Berlin gibt es über 1,87 Millionen Wohnungen. Der Mietspiegel erfasst davon knapp zwei Drittel, nämlich 1,2 Millionen. Mit der Erhebung der mietspiegelrelevanten Daten wurde das Forschungsinstitut GEWOS beauftragt. Dieses ermittelt nicht nur die Mittel-, Ober- und Unterwerte der Mietpreise, sondern auch die sogenannten Grundgesamtheiten*, d.h. die Anzahl der die jeweiligen Mietspiegelfelder betreffenden Wohnungen. Unsere Betrachtung des Wohnungsmarkts bezieht diese Grundgesamtheiten mit ein. Sie finden sich deshalb in einer, der Struktur des Mietspiegels angepassten Tabelle, die wir um die prozentualen Veränderungen der Mietspiegelmittelwerte* ergänzt haben (siehe unten). Wenn in einem Feld der Mittelwert* gegenüber dem Mietspiegel 2005 gestiegen ist, dann betrifft diese Aussage auch immer eine bestimmte Anzahl von Wohnungen. Alle unsere Angaben über prozentuale Veränderungen sind immer unter Berücksichtigung dieser zugrunde liegenden Anzahl von Wohnungen gewichtet. So auch die von uns ermittelte durchschnittliche Steigerung: Gegenüber dem Mietspiegel von 2005 beträgt diese Steigerung der Mittelwerte 5,27%.

Die mit einem * gekennzeichneten Begriffe werden in unserem Mietspiegel-Glossar erklärt.


Eine Auflistung der durchschnittlichen Mittelwerte, ebenfalls nach Anzahl der Wohnungen gewichtet, zeigt dass der Wohnungsmarkt in Berlin relativ klar strukturiert ist. Bei der Sortierung nach Mietpreis (siehe Tabelle in der rechten Spalte "Mieten der Baualtersklassen") bilden sich drei Bereiche heraus, in denen jeweils die Miethöhen nur unwesentlich differieren. In der Mitte befindet sich eine große Zone, die von den Baualtersklassen bis 1918 (Vollstandard*) und 1965 - 72 begrenzt wird. Deutlich niedrigere Mieten finden sich in der Baualtersklasse bis Baujahr 1918 (Halbstandard*) und in der Baualtersklasse 1919 - 49. Die Wohnungen jüngerer Baualtersklassen ab 1973 weisen gegenüber dem mittleren Bereich deutlich höhere Mieten auf.

Gewichtete Mittelwerte in Euro/qm Wohnfläche, sortiert nach Mietpreis. Die Nummern in der linken Spalte entsprechen der Spaltennummerierung der Mietspiegeltabelle (vgl. S. 13).

Bevor wir uns der Entwicklung in den einzelnen Baualtersklassen zuwenden, sei darauf hingewiesen, dass die Plattenbauten in den Ostbezirken keineswegs ein besonders preiswertes Segment darstellen. Sie befinden sich im Zentrum des Preissystems des Berliner Wohnungsmarkts.

Baualtersklasse bis 1918 Halbstandard (HS)

Zwar sind die Mieten in diesem Segment insgesamt nur um 3,73% gestiegen, doch dieser Durchschnittswert liefert kein zutreffendes Bild. Sehr deutlich spiegeln sich hier die sozialen Veränderungen wieder. Während die größeren und nur unzureichend ausgestatteten Wohnungen offenbar kein besonderes Interesse mehr finden, ist die Nachfrage nach kleineren Wohnen groß. Das ist kein Wunder, denn in dieser Baualtersklasse sind die Mieten, besonders der kleinen Wohnungen, noch für ALG-II-Beziehende erschwinglich. Die Betonung liegt auf "noch" in doppelter Hinsicht. Die Anzahl der vornehmlich in einfachen Lagen befindlichen Wohnungen verringert sich ständig durch standarderhöhende und damit preistreibende Modernisierungen. So finden sich z.B. nur noch 26.800 Wohnungen zwischen 40 und 60 qm, vor zwei Jahren waren es noch 30.900. Zum anderen führen eine erhöhte Nachfrage und ein verringertes Angebot zu Preissteigerungen: Bei den Wohnungen zwischen 40 und 60 qm sind es 14%.

Baualtersklasse bis 1918 Vollstandard (VS)

Auch diese Baualtersklasse liegt mit knapp 4% Mietsteigerung unter dem Gesamtdurchschnitt. Noch stärker als in der Halbstandardklasse verschmelzen gegensätzliche gesellschaftliche Tendenzen zu diesem Durchschnittswert. Die größeren Altbauwohnungen in guten Lagen werden kräftig nachgefragt, offenbar von den neuen Mittelschichten. Um die kleinen Altbauwohnungen bis 40 qm in einfachen und mittleren Lagen konkurrieren die vielen Wohnungssuchenden mit geringen Einkommen mit dem Ergebnis, dass gerade hier die Preise in zweistelliger Größenordnung gestiegen sind. Die etwas größeren Wohnungen in einfacher Lage sinken im Preis, ganz sicherlich eine Folge der Auszüge von ALG-II-Beziehenden, die in kleinere Wohnungen ausweichen müssen.


Diagramm Baualtersklassen
Baualtersklasse 1919 - 49 Halbstandard und Vollstandard

Mit knapp 40.000 Wohnungen gehört das Segment der zwischen 1919 und 1949 erbauten Halbstandardwohnungen eher zu den kleineren. Entsprechend gering sind die aus der Mietspiegelerhebung zu treffenden Aussagen.

Die Vollstandardwohnungen hingegen spiegeln präzise die Politik der rot-roten Koalition wider. Den Herren Wolf und Sarrazin verdankt Berlin die umfangreichsten Verkäufe öffentlicher Wohnungsbestände aller Zeiten. Jetzt wird den Mietern die Rechnung präsentiert. Die Mietsteigerungen betragen im Durchschnitt 9,28%, eine Erfolgsstory für die neuen Eigentümer, auch Investoren genannt, die sich großzügig und vor allem preiswert bedienen durften. Die Gehag hat seit ihrem Verkauf die Mieten um 67% anzuheben verstanden, wurde unlängst von der Tagespresse berichtet. Die GSW steht ihr in nichts nach und übertroffen werden beide von den Investoren, die Teile der ehemals öffentlichen Wohnungsbauunternehmen zielgerichtet weiterverwerten. (Siehe auch Beitrag "Zweitverwerter der Wohnungsprivatisierung" in diesem Heft)

Baualtersklasse 1950 - 55

Selbst in dieser Baualtersklasse der frühen Sozialbauten findet sich mit einer überdurchschnittlichen Steigerung von 6,46% ein Widerhall der mietpreistreibenden Tätigkeit der neuen Investoren. Zugleich wird an der 13%igen Steigerung der kleinen und ehemals preiswerten Wohnungen deutlich, wie lukrativ das Geschäft mit Wohnraum für Arme sein kann.

Baualtersklasse 1956 - 64

Auch in dieser Baualtersklasse befinden sich überdurchschnittlich viele Wohnungen der ehemals öffentlichen Bestände. Es verwundert daher nicht, dass sie wie die Klassen der zwischen 1919 und 1949 errichteten Wohnungen ebenfalls ein Feld für weit über dem Durchschnitt liegende Mietsteigerungen bietet. Es muss immer wieder daran erinnert werden: Diese Wohnungen wurden ursprünglich mit ganz klarer sozialer Zielstellung erbaut. Sie sollten den breiten Schichten der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Jetzt sind sie Finanzinvestoren zur Bereicherung überlassen worden und die verstehen ihr Geschäft, wie der Mietspiegel zweifelsfrei beweist. Die kleinen Wohnungen dienen auch hier als Lokomotiven der Mietsteigerungen.

Baualtersklasse 1965 - 72

Der letzte Mietspiegel hatte in diesem verhältnismäßig kleinen Marktsegment sehr große Mietsenkungen ausgewiesen. Wahrscheinlich eine Folge der vielen aus der Bindung des sozialen Wohnungsbaus entlassenen Wohnungen, die hinzugekommen sind und das Mietniveau gedrückt haben. Dieser Vorgang scheint noch nicht ganz abgeschlossen zu sein, denn noch immer vergrößert sich die Anzahl der Wohnungen in dieser Klasse. Die durchschnittliche Steigerung ist mit 2,52% entsprechend moderat.

Baualtersklasse 1973 - 83

In den Jahren dieser Baualtersklasse gingen im Westen die Bauleistungen insgesamt zurück und kleinere Wohnungen wurden kaum noch gebaut. Es war die Zeit der Kleinfamilien mit einem oder zwei Kindern in den Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus und die vorherrschende Wohnungsgröße lag zwischen 70 und 80 qm. Den relativ hohen Einkommen entsprachen die hohen Mieten. Es scheint jetzt eine Art von Rückbewegung einzusetzen, denn die noch immer hohen Mieten sinken. Die teuren Neubauten haben viel von ihrer Anziehung verloren. Die neuen Mittelschichten bevorzugen den Altbau, sehr zum Leidwesen der ansässigen Bevölkerung, z. B. in Friedrichshain und Prenzlauer Berg.

Baualtersklasse 1984 - 90 West

In dieser Baualtersklasse, die kleinste von allen, setzt sich die Tendenz fort. Die Mietsenkung liegt bei 3,32%, findet aber auf einem immer noch hohen Mietniveau statt. Hier finden sich die höchsten Mieten.


Diagramm Wohnungsgroesse
Baualtersklasse 1973 - 90 Ost

Wenn irgendeine Baualtersklasse eine erstaunliche Karriere gemacht hat, dann diese. Es sind die Plattenbauten im Osten. Sie stehen im Zentrum des Preisgefüges der Berliner Mietwohnungen und sind damit voll im Westen angekommen. Wie ihnen das gelungen ist, ist eine eigene Geschichte, die im MieterEcho unbedingt demnächst ihre Würdigung finden sollte. Abrisse, sinnlose Modernisierungen, neue Investoren, gefügige Kommunalpolitiker und nicht zuletzt sehr passive Mieter spielen dabei eine Rolle. So verwundert es auch nicht, dass die Mietsteigerungen mit 6,48% auch immer noch leicht über dem gesamtstädtischen Durchschnitt liegen.

Baualtersklasse 1991 - 2005

Wie bereits der Mietspiegel 2005 zeigte, sind die neuesten Wohnungen nicht die teuersten. Das ist ein erstaunliches Phänomen. Zudem sind auch hier die Mieten zurückgegangen. Dagegen lässt sich nichts sagen. Trotzdem ist das Mietniveau noch immer viel zu hoch.

Sozialer Brennspiegel

Je kleiner, desto teurer scheinen die Wohnungen zu werden. Damit bestätigen sich die Aussagen der Experten, die im letzten Wohnungsmarktbericht einen deutlichen Anstieg der Mieten von Wohnungen für Haushalte mit geringem Einkommen vorausgesagt haben. Wohnungen bis 40 qm werden um 7,54% teurer, die Wohnungen zwischen 40 und 60 qm liegen mit einer Steigerung von 5,64% näher am Durchschnittswert und die Wohnungen zwischen 60 und 90 qm bleiben mit 4,16% Steigerung noch darunter, erst die Wohnungen über 90 qm nähern sich ihm mit einer Erhöhung um 4,88% wieder. Auf dieses Ergebnis hat u.a. der starke Mietanstieg mit über 11% in den guten Altbaulagen einen bestimmenden Einfluss. Doch die gesellschaftliche Polarisierung schreitet voran und das zeigt sich deutlich darin, dass diese Steigerungen von den Wohnungen unter 40 qm der Baualtersklasse 1956 - 64 mit 11,62% noch übertroffen werden. Hier drängeln sich die ärmeren Haushalte, verstärken die Nachfrage und bieten dadurch den Preissteigerungen ausreichenden Raum.

Wer zu den Gewinnern des Neoliberalismus gehört, kann sich luxuriöse Wohnungen in innerstädtischen Quartieren mit hohem Erlebniswert leisten.

Wer aber arm ist, muss schon jetzt und zukünftig noch mehr Miete in immer problematischer werdenden Siedlungen des ehemaligen sozialen Wohnungsbaus zahlen.

Das ist die soziale Gerechtigkeit des Neoliberalismus und der ihn ausführenden Politiker in dieser Stadt.

Ein Vergleich der Tabellen von 2005 und 2007 lässt wichtige Entwicklungen erkennen:

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 322