MieterEcho 321/April 2007: Wohnen am Ende der Welt

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MieterEcho 321/April 2007

Quadrat BERLIN

Wohnen am Ende der Welt

Berlin Motardstraße - ein inoffizielles Ausreisezentrum

Maja Schuster

Motardstraße 101a heißt die erste Adresse für alle Flüchtlinge, denen es gelingt nach Berlin einzureisen. Mitten im Industriegebiet in Berlin-Spandau liegt die viel befahrene Straße. Hinter einem hohen Zaun mit Stacheldraht stehen fünf große Metallbaracken. Das ist die ZASt, d.h. die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge, neuerdings auch unter dem Namen EAE, Erstaufnahmeeinrichtung, bekannt. Betrieben wird die Einrichtung von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Mitte. In direkter Umgebung gibt es weder Geschäfte noch Cafés, nur die U-Bahnstation Paulsternstraße ist in zehn Minuten zu erreichen. Es ist kein schöner Ort zum Ankommen.

Der Platz der ZASt in der Motardstraße 101a reicht theoretisch für 625 Menschen und zurzeit wohnen dort etwa 420, darunter etwa 80 Kinder. Doch nicht alle sind gerade erst in Berlin angekommen. Einige der Flüchtlinge wohnen bereits seit Jahren in Berlin, sind im Besitz einer Duldung und wurden angewiesen, in das Wohnheim in der Motardstraße zu ziehen. Und das, obwohl in der Koalitionsvereinbarung der SPD und PDS festgehalten ist, dass es in Berlin keine Ausreiseeinrichtung geben soll. Die Kosten des Wohnheims sind höher als die Kosten für die Anmietung von privaten Wohnungen. Die Motardstraße 101a wird faktisch als Ausreisezentrum und nicht wie vorgesehen nur als zentrale Erstaufnahmestelle für Neuankömmlinge genutzt.

Der Gesetzgeber sieht Ausreiseeinrichtungen als Unterkünfte für Menschen vor, die als ausreisepflichtig gelten. Die staatliche Kontrolle und Überwachung ist hier einfacher durchzuführen als in privaten Wohnungen. Durch Zwangsberatungen sollen die Flüchtlinge zur sogenannten "freiwilligen" Ausreise gebracht werden. Doch von Freiwilligkeit kann keine Rede sein. Die menschenunwürdigen Lebensumstände führen oft zur verzweifelten Ausreise, bzw. Abschiebung, weil die Lebensbedingungen hier unerträglich sind. Die Menschen werden in ihre Herkunftsländer zurückgedrängt, aus denen sie oft vor Folter und Krieg flüchteten.

"Die Zustände hier sind schlimmer als im Abschiebegefängnis in Köpenick", so Frank Iwapelu, 38 Jahre, Bewohner der Motardstraße. Er weiß, wovon er spricht, denn er saß neun Monate im Knast. "Dort gab es wenigstens Telefon, Ärzte und einen Fernseher", so Iwapelu. Seit ein paar Monaten muss er in der Motardstraße wohnen. Hier teilt er sich ein 17 qm großes Zimmer mit einem anderen Mann. Eigentlich sollten in diesem Zimmer drei Personen unterkommen. Doch da der dritte Bewohner bei einem Freund in der Stadt wohnt, haben die beiden jungen Männer kurzerhand das dritte Bett abgebaut, damit sie etwas mehr Platz haben. "Wenn du hier nie gewohnt hast, kannst du dir nicht vorstellen, was es bedeutet, hier zu wohnen", so Iwapelu. Die Zimmer sind äußerst karg eingerichtet. Teilweise löst sich die Verkleidung an den Decken. In den Räumen befinden sich Metallbetten und alte Metallspinde, die nicht abschließbar sind. Iwapelu erzählt von Kakerlaken in den Küchen und in ihrem Zimmer. Nachts könne er wegen der Insekten nicht schlafen. Auch die Toiletten und Duschen des Wohnheims sind nicht abschließbar.

Frühstück und Abendessen erhalten die Bewohner in durchsichtigen Plastikbeuteln, die neben Brot und Brötchen jeweils zwei Stück Margarine, eine Scheibe Wurst und Käse, etwas Marmelade und ein Döschen Kondensmilch enthalten. Jeden zweiten Tag eine Frucht. Außerdem pro Tag einen Liter H-Milch und eine Tüte Orangensaft. Zum Mittagessen gibt es eine Portion Fertigessen aus der Alu-Assiette. An der miserablen Vollverpflegung der Flüchtlinge verdient das Cateringunternehmen der Firma Dussmann. Pro Essen erhält die Firma sieben Euro von der Stadt Berlin. Dussmann beschäftigt weltweit 55.000 Mitarbeiter und ist für schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne bekannt. Von den Essenspaketen ernährt sich im Wohnheim aber fast niemand. "Von dem Essen wird man krank", sagt ein Flüchtling aus Pakistan.

Das Bündnis gegen Lager Berlin/Brandenburg hat eine sehr informative Broschüre herausgegeben: "Aspekte der Menschenverachtung in Europa - Ausreisezentrum Motardstraße". Kostenlos erhältlich unter: www.chipkartenini.squat.net

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