MieterEcho 321/April 2007: "Planet der Slums"

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MieterEcho 321/April 2007

Quadrat REZENSION

"Planet der Slums"

In wenigen Jahren lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Slums, schreibt der US-amerikanische Stadtsoziologe Mike Davis

Christoph Villinger

In ein oder zwei Jahren wird es soweit sein. Dann lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung nicht mehr auf dem Land, sondern in den Städten. Und dort meist in den sich über weite Flächen hinziehenden Armutsvierteln. Gab es 1950 nur 86 Millionenstädte auf der Welt, sind es heute schon über 400 und demnächst werden es 550 sein. Angeführt von Mexiko-Stadt mit knapp 25 Millionen Einwohner/innen breiten sich immer mehr Mega-Städte aus, insbesondere in China und Asien. Durchschnittlich hat sich deren Bevölkerung in den letzten 50 Jahren mehr als verzehnfacht. Wachstumsraten, die es nicht mal in den europäischen Metropolen zur Zeit der industriellen Revolution gab.

Gleich auf den ersten Seiten seines neuen Buchs "Planet der Slums" breitet der US-amerikanische Stadtsoziologe Mike Davis eine Menge Fakten aus. Daraus folgert er einen "Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte", der nur mit "der neolithischen Wende oder der industriellen Revolution vergleichbar ist". Allerdings sei nur in China das Wachstum der Städte mit der westlichen industriellen Revolution im 19. Jahrhundert vergleichbar, ansonsten "entkopple sich die Urbanisierung radikal vom Industrialisierungsprozess". Die Wirtschaftskraft einer Stadt habe "oft überraschend wenig mit der Einwohnerzahl zu tun".

In diesen Welten aus "groben Backstein, Stroh, recyceltem Plastik, Zementblöcken und Abfallholz" versammle sich die "überschüssige Menschheit" und drohe in Umweltverschmutzung, Exkrementen und Abfall zu versinken. Anders als in den 70er Jahren sieht Davis auch keine "Slums der Hoffnung" mehr, die der entwurzelten Landbevölkerung als Durchgangsstation dienen, um schließlich als neue Arbeiterklasse in der Großstadt anzukommen. Deshalb seien auch all die Programme von IWF, Weltbank und diverser NGOs, die einen neuen Kapitalzyklus mittels Mikrokrediten anschieben wollen, zum Scheitern verurteilt. Trotz einiger lokaler Erfolge reiche es einfach nicht zur Kapitalakkumulation.

Jenseits aller Romantisierung beschreibt Davis die informelle Wirtschaft, die aus dem Landbesetzer von gestern einen Besitzer macht, der heute einen Teil seines kleinen erkämpften Grundstücks an die nächsten in die Stadt nachströmenden Armen vermietet. Der Mietmarkt in den Slums geht soweit, dass in Indien Schlafplätze auf der Straße vermietet werden.

Allerdings verbreitet Davis, der sich in den letzten Jahren einen Namen mit Büchern wie "City of Quarz" und "Die Geburt der Dritten Welt" gemacht hat, eine recht katastrophische Weltsicht. Trotz allen Elends haben die Menschen in den Armutsvierteln auch Lebensfreude, machen Musik und es tobt nicht jede Nacht der Bandenkrieg. Neben der Bretterhütte steht in Kairo oder Mexiko-City öfter, als man nach der Lektüre dieses Buches erwartet, ein Reihenhaus. Eben weil auch diese Städte sozial ausdifferenziert sind und es zumindest per Bewusstsein ein breites Kleinbürgertum gibt, bricht der Aufstand der Armen nicht los.

Ein weiterer Aspekt kommt hinzu. Beim Lesen merkt man, wie die Stadt Berlin inzwischen abseits der globalen Entwicklungen liegt, wo in den kommenden Jahren mit einem Rückgang der Stadtbevölkerung von zurzeit 3,4 auf etwa drei Millionen Einwohner/innen gerechnet wird.

Mike Davis: "Planet der Slums"

248 Seiten, 20 Euro, erschienen im. Februar 2007, Verlag: Assoziation A, ISBN: 978-3-935936-56-9

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