MieterEcho 321/April 2007: Wohnen in Spanien

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MieterEcho 321/April 2007

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Wohnen in Spanien

Kein Vorbild für Berlin: Der Wohnungsmarkt in Barcelona

Irene Sabaté

Irene Sabaté

Irene Sabaté, 1979 geboren in Zaragoza/Spanien, ist Sozialanthropologin an der Universität von Barcelona. Zurzeit schreibt sie ihre Dissertation über die Wohnverhältnisse in Berlin-Friedrichshain und war in den vergangenen Jahren für ihre Recherchen bereits mehrere Male in Berlin.


Der Wohnungsmarkt in Spanien unterscheidet sich mit seiner hohen Wohneigentumsquote und dem nicht vorhandenen Mieterschutz grundlegend vom deutschen Wohnungsmarkt. Die vielen Schwierigkeiten, mit denen der spanische Wohnungsmarkt kämpft, sind ganz offensichtlich: Unterversorgung, hohe Preise, Schattenwirtschaft sowie rechtliche und soziale Unsicherheit. Durch die Betrachtung der Situation in Spanien wird schnell deutlich, dass Entwicklungen, die in Deutschland noch in den Anfängen stecken, in ausgewachsenen Problemen enden können. Schließlich wird auch in Deutschland die Privatisierung vorangetrieben, gebetsmühlenartig das Wohneigentum propagiert (und gefördert) und die Hausbesitzerlobby wird nicht müde, am sozialen Mietrecht zu sägen.

Bei einem Vergleich zwischen Barcelona und Berlin treten zwei Unterschiede am deutlichsten hervor: Zum einen sind sowohl die Wohnungsmieten als auch die Kaufpreise für Eigentumswohnungen in Berlin wesentlich niedriger als in Barcelona. Zum anderen ist Berlin mit einem Anteil von 88% an Mietwohnungen eine Mieterstadt - im Gegendsatz zu Barcelona mit 90% Wohneigentum.

Die spanische Wohnungspolitik hat in den vergangenen 40 Jahren fast ausschließlich den Kauf von Wohnungen gefördert. Doch jetzt wird deutlich, dass ein grundsätzliches Recht auf Wohnraum und die soziale Funktion des Wohnens mit der Investitionslogik nicht zu vereinbaren sind.

Die staatlichen, vor allem die sozialstaatlichen, Regulierungen sind in Spanien verglichen mit nord- und mitteleuropäischen Ländern sehr schwach. Die Renten sind niedrig und die einem wirtschaftlichen Mindeststandard entsprechende Alterssicherung ist ebenso problematisch wie die Versorgung der Kinder. Sozialstaatliche Regulierungen spielen im Alltag deshalb nur eine geringe Rolle und als Ausgleich für die wirtschaftliche Ungewissheit ist eine riesige Schattenwirtschaft entstanden. In diesem Zusammenhang erhofft man sich durch die Investition in eine Wohnung eine größere individuelle Stabilität. An dem daraus resultierenden Immobiliengeschäft sind vor allem die Banken interessiert, denn mit den Wohnungen als Sicherheit gelten die Kreditrisiken als gering. Die Ratenzahlungen - die meist höher als die ohnehin schon hohen spanischen Mieten sind - erstrecken sich über 30 bis 40 Jahre.

Politik von Profitinteressen bestimmt

In Spanien besitzen viele Bessergestellte eine Zweit- bzw. Ferienwohnung, die als Einnahmequelle dient. Auf diese Weise profitieren die Bürger/innen wie spanische und ausländische Investoren vom Tourismus und sie kurbeln das Immobiliengeschäft weiter an.

Derartige Interessen beeinflussen stark die Wohnungs- und Stadtplanungspolitik der Gemeinden. Es hat sich eine sogenannte "cultura del pelotazo" herausgebildet: Eine Schicht von Privatpersonen, die über beträchtlichen politischen Einfluss in den Kommunen verfügt, hat sich die schnelle Bereicherung zum Ziel gemacht. Dieses Profitstreben wirkt sich auf die Umwelt häufig schädlich aus und ist nicht selten verantwortlich für ein chaotisches und gegen die Interessen der Bevölkerung gerichtetes Stadtwachstum. Außerdem führt das Kleineigentum an den Wohnungen zur Fragmentierung der Gebäude. Nur selten gehört ein ganzes Miethaus einem einzigen Besitzer. Entsprechend schwer sind Modernisierungs- und Instandhaltungsprobleme zu lösen.

Im Einklang mit den Interessen der Investoren vertreten die Behörden den Standpunkt, dass eine Mietwohnung nur als Zwischenlösung für eine bestimmte Lebenszeit wie z.B. das Studium dienen soll. Deshalb ist die öffentliche Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus noch geringer als die Förderung der sozialen Eigentumswohnungen (die sogenannten VPO, "Offiziell geschützte Wohnungen"). Weil das Angebot an Sozialwohnungen so gering ist, werden sie durch ein Losverfahren zugeteilt. Viele Wohnungssuchende sind auf das Los angewiesen, weil sie gar keinen anderen Zugang zum Wohnungsmarkt haben. Im Februar 2007 gab es in Barcelona eine Auslosung, bei der zwar für die hiesigen Verhältnisse eine ungewöhnlich hohe Zahl von Sozialwohnungen verlost wurde, aber der Bedarf bei Weitem nicht gedeckt wurde.


Tabelle Auslosung von Sozialwohnungen Barcelona

Im Unterschied zum deutschen Mietrecht bietet das spanische Mietrecht nur wenig Schutz für die Mieter/innen. Mietverträge in Barcelona sind prinzipiell auf fünf Jahre befristet. Bei Fristablauf können Mietverträge nur mit dem Einverständnis beider Vertragsparteien verlängert werden, d.h. wenn der Vermieter nicht will, ist eine Verlängerung unmöglich. Außerdem kann der Vermieter den laufenden Vertrag beenden, wenn er dies mit Eigenbedarf oder mit dem Verkauf der Wohnung begründet. In Deutschland hingegen sind befristete Mietverträge eine Ausnahme, für die der Vermieter eine Begründung benötigt und es gilt "Kauf bricht nicht Miete", d.h. ein Verkauf der Wohnung ist kein Kündigungsgrund.

Eine in Barcelona verbreitete Methode sich der Mieter/innen zu entledigen, ist das sogenannte "Immobilienmobbing". Dazu gehören die Bedrohung der Mieter/innen sowie die Unterbrechung der Strom-, Gas- und Wasserversorgung. Eine besondere Zielgruppe für solche Angriffe sind ältere Mieter/innen, die preisgünstige Wohnungen in der Altstadt von Barcelona haben. Das Phänomen hat einen solchen Umfang angenommen, dass die Stadtverwaltung eine besondere Dienststelle für die Bearbeitung dieser Fälle eingerichtet hat. Leider aber steht diese Dienststelle ebenfalls unter Verdacht, den Auszug von Mieter/innen zu fördern.

Mieten werden "frei" ausgehandelt

Für die Höhe der Mieten gibt es keine objektiven Bestimmungen. Sie werden gemäß der Vertragsfreiheit bei Vertragsabschluss festgesetzt und abhängig vom Verbraucherpreisindex erhöht. So sind die Mieter/innen gänzlich dem freien Markt und seinen wirtschaftlich ungleichen Verhältnissen zugunsten der Vermieter ausgeliefert - und sie müssen von Anfang an ungünstige Bedingungen akzeptieren. Mieter/innen haben keine Möglichkeit, Sanierungen oder Modernisierungen zu fordern. Ebenso wenig sind Mietminderungen vorgesehen, sodass Mieter/innen sämtliche Wohnungsmängel dulden müssen. Für die Unterhaltung der Wohnungen sind die Mieter/innen zuständig. Andererseits gestattet es aber die prekäre Rechtslage den Mieter/innen nicht, selbst in die Verbesserung der Wohnungen zu investieren. Folglich verschlechtert sich der Zustand der Wohnungen und der Verfall dient den Eigentümern als Argument, nicht mehr zu vermieten. Sie bevorzugen es oft, die Wohnungen leer stehen zu lassen, weil sie von der automatischen Wertsteigerung der Wohnungen profitieren. Trotz des Wohnungsmangels wird durch diese Spekulation auf künftigen Gewinn Leerstand erzeugt. Die Novellierung des "Städtischen Mietgesetzes" (Ley de Arrendamientos Urbanos, LAU) von 1994 hatte zwar das vorgebliche Ziel, die Vermietung von leer stehenden Wohnungen zu fördern, war aber tatsächlich so eigentümerfreundlich, dass wesentliche Verbesserungen ausblieben.

Schattenwirtschaft Wohnungsmarkt

Der Wohnungsmarkt hat eine umfangreiche Schattenwirtschaft hervorgebracht. Das betrifft sowohl die Vermietung als auch den Verkauf von Wohnungen. Es ist üblich, dass Vermieter nur die Barzahlung der monatlichen Miete akzeptieren. Dadurch werden die Einnahmen weder auf Bankkonten noch in Büchern sichtbar. Fast jeder Wohnungsverkauf beinhaltet eine Nebentransaktion in Schwarzgeld, damit der Verkäufer einen Teil der Steuern spart. So bläht sich dieser Wirtschaftssektor mit allen Maklern und Mittelsmännern zulasten der Bevölkerung enorm auf.

Die Probleme des Wohnungsmarkts vergrößern sich in großen Städten wie Barcelona wegen der hohen Bevölkerungsdichte, der entsprechend starken Wohnraumnachfrage und der Eskalation der Grundstückspreise. Dadurch wird das Stadtwachstum verstärkt, denn es bleibt nur das Ausweichen an den Stadtrand und in die Vorstädte. Dieser Suburbanisierung folgt die Bereitstellung öffentlicher Verkehrsmittel nur ungenügend, folglich müssen die Bewohner/innen Autos oder Motorräder anschaffen, wodurch sich das Wohnen verteuert. Das durchschnittliche Einkommen ist aber in Barcelona nicht höher als in anderen Städten Spaniens oder Europas, in denen weniger bedrückende Wohnverhältnisse herrschen. Das Missverhältnis zwischen Einkommen und Wohnkosten setzt Doppelverdiener voraus. Alleinstehende sind auf Untervermietung oder Wohngemeinschaften angewiesen, sodass diese Wohnformen schon seit Langem nicht mehr nur für Studierende eine Lösung darstellen. Doch die Untermiete ist in Spanien keineswegs gesetzlich geregelt, was ein Problem darstellt. Die Politik hingegen sieht keinen Handlungsbedarf.

Sehr verbreitet ist die Auffassung, dass der Kauf einer Wohnung günstiger sei als die Miete. Kein Wunder bei dem geringen Mieterschutz. Die Miete wird immer als Zwischenlösung angesehen, da sie als ein ungesicherter Zustand erscheint. Man glaubt, erst als Eigentümer über die Wohnung entscheiden und an der Wertsteigerung profitieren zu können. Natürlich ist dies ein Trugschluss, denn, wenn die eigene Wohnung im Wert steigt, verteuern sich ebenso alle anderen Wohnungen. Ein Verkauf bringt also keinen Gewinn, denn der wird von den Kosten für eine andere Wohnung aufgezehrt.

Der Kauf einer Wohnung wird als Familienangelegenheit betrachtet. Gemeinschaftlich soll der Familienbesitz langfristig vergrößert werden, was Generationensolidarität erzwingt. Eltern bürgen für die Kredite ihrer Kinder oder bezahlen deren Eigenanteil an die Bank. Üblich ist, dass bereits erwerbstätige Kinder noch so lange bei den Eltern wohnen, bis sie eine Eigentumswohnung bezahlen können, was häufig erst mit 35 Jahren der Fall ist. Nach herrschender Auffassung führt dies aber nicht zu einer Einengung von Entwicklungschancen. Die räumliche Fixierung wird ebenfalls positiv bewertet, obgleich tatsächlich gesamtgesellschaftlich immer mehr Flexibilität gefordert wird. Und auch die Verpflichtung, 40 Jahre lang Hypotheken abzahlen zu müssen und dabei auf die Familie angewiesen zu sein, wird nicht als Benachteiligung empfunden.

Bei einer derartigen Sichtweise geraten Faktoren wie die Unsicherheit der Arbeitsplätze und die Möglichkeit steigender Zinsen leicht aus dem Blickfeld. Insolvenzen und Überschuldungen werden in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Es wird aber angenommen, dass ihre Zahl viel größer ist als dargestellt, denn das Interesse entsprechende Statistiken zu unterdrücken ist groß.

Wo das Wohnen zur Miete stigmatisiert ist und leicht mit sozialen Defiziten in Verbindung gebracht wird, kann sich kein Mieterbewusstsein entwickeln. Kein Wunder also, dass selbst die Mieter/innen weniger nach Verbesserung des Mietrechts streben als nach der Eingliederung in die "Normalität" der Hypothekenzahler. Diese "Normalität" ist für manch einen der Traum vom Glück, zu dem auch Arbeit, Familie und Zweierbeziehung gehören.

Anders als in Berlin erleben die Bewohner/innen Barcelonas täglich die krassen Folgen des freien Markts. In den jüngsten Liberalisierungs- und Privatisierungsmaßnahmen der Berliner Wohnungspolitik kann man einen Embryo erkennen, der heute in Barcelona zu einem Monster ausgewachsen und außer Kontrolle geraten ist. Gerade weil es noch qualitative Unterschiede zwischen den beiden Szenarien gibt, sollten sich die regierenden Politiker und Stadtplaner in Berlin auf keinen Fall Barcelona zum Vorbild nehmen.

Barcelona

Barcelona ist mit über 1,6 Millionen Einwohner/innen die zweitgrößte Stadt Spaniens und die größte Kataloniens. Im Großraum Barcelona leben ca. 5,3 Millionen Menschen. Die bereits in der Antike gegründete Stadt liegt am Mittelmeer und an der Grenze zu Frankreich.

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