MieterEcho 320/Februar 2007: Armut im Eigenheim - Schonfrist für's Schonvermögen

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MieterEcho 320/Februar 2007

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Armut im Eigenheim - Schonfrist für's Schonvermögen

Wie sich Hartz IV auf Bewohner/innen von Eigenheimen und Eigentumswohnungen auswirkt

Andrej Holm

Regelungen der Kosten der Unterkunft im Rahmen der Sozialgesetzgebung sind grundsätzlich Angelegenheit der Kommunen. Über unterschiedliche Berechnungsweisen, Grenzwerte und Ausnahmen bei Mietwohnungen wurde in der Öffentlichkeit viel diskutiert - doch Hartz IV gilt auch in Eigentumswohnungen. Die Regelungen dort werden ebenfalls in kommunalen Ausführungsvorschriften fesgelegt. Ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts (siehe unten) legt jedoch für die Zukunft einen einheitlichen Umgang nahe und bestätigt die grundsätzliche Anerkennung einer Eigentumswohnung als Schonvermögen im Sinne des Sozialgesetzbuchs.

Die verschiedenen kommunalen Vorschriften für ALG-II-Beziehende, die in Eigentumswohnungen und Eigenheimen wohnen, unterschieden sich bisher recht deutlich. Im Oktober 2006 zeigte eine Studie, dass über 40% der untersuchten Kommunen eigene Festlegungen für Eigentumswohnungen und Eigenheime beschlossen hatten. Dieser hohe Anteil lässt darauf schließen, dass das Zusammentreffen von Wohneigentum und Hartz IV durchaus keine Seltenheit ist und offensichtlich Regelungsbedarf hervorgerufen hat.

Sonderregelungen für Eigentumswohnungen und Eigenheime

Offizielle Daten über den Anteil der Eigentümer/innen unter denen, die auf ALG II angewiesen sind, gibt es nicht. Doch der Anteil der Regelungen für Eigentumswohnungen bzw. Eigenheimen ist deutlich höher als Festlegungen zu Jugendlichen unter 25 Jahren (in knapp 12% der untersuchten Kommunen) oder zu Ausnahmetatbeständen (in 32% der untersuchten Kommunen). Teilweise überraschend ist die Verteilung der Sonderregelungen für Eigenheime und Eigentumswohnungen entlang verschiedener Kriterien. So gibt es lediglich in 31% der Landkreise solche Regelungen, während dieser Anteil in den kreisfreien Städten mit 50% deutlich höher liegt. Obwohl der Anteil von Eigentümer/innen in ländlichen Regionen höher ist, scheint der Regelungsbedarf in den Städten ausgeprägter zu sein. Die Kosten von Eigentumswohnungen dürften hier auch deutlich über den Bemessungsgrenzen von Mietwohnungen liegen, sodass Sonderfestlegungen notwendig erschienen. Am deutlichsten zeichnet sich in den kleineren und mittelgroßen Städten (bis zu 100.000 Einwohner/innen) die Notwendigkeit ab, die Eigentumsfrage für ALG-II-Beziehende zu klären - jedenfalls wurden in allen ausgewählten Städten dieser Größenkategorie Sonderregeln getroffen. Doch auch in über 37% der Großstädte (über 500.000 Einwohner/innen) wurden spezifische Regelungen für Eigentumswohnungen beschlossen.

Es existieren auch bemerkenswerte Unterschiede zwischen Ost und West. Während der Anteil der Kommunen mit spezifischen Festlegungen in Ostdeutschland bei 56% liegt, beträgt er in Westdeutschland unter 30%. Hintergrund dürfte ein in Ostdeutschland größeres Armutsrisiko für bisherige Mittelschichten sein und die von Immobiliengesellschaften und Banken forcierte Öffnung des Eigentumsmarkts für Haushalte ohne oder mit wenig Eigenkapital.

Diese Interpretation wird durch einen Vergleich der Wirtschafts- und Arbeitsplatzsituation in den einzelnen Kommunen bestärkt. Von den Kommunen, die nach einer Systematik des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) eine "gute" Lage aufweisen, wurden in lediglich 12,5% Sonderregelungen für Eigentumswohnungen und Eigenheime festgelegt. In Kommunen mit "durchschnittlicher" Lage waren es 45,5% und in denen mit einer "schlechten" Lage sogar 50%.

Unterschiede bei der Festlegung der Angemessenheit

Bedarfsgemeinschaften, die in Eigenheimen oder Eigentumswohnungen leben, werden von den Kommunalverwaltungen unterschiedlich behandelt. Während in einzelnen Städten die Wohnkosten nicht über den örtlich festgelegten Mietkosten liegen dürfen, werden anderenorts die vollen Kosten anerkannt, wenn die Wohnungen eine Größe von 120 qm (bei Eigentumswohnungen) bzw. 130 qm (bei Eigenheimen) nicht überschreiten. Damit orientieren sich die Richtlinien an den Wohnungsgrößen, wie sie im II. Wohnungsbaugesetz festgelegt wurden. Übernommen werden jedoch allenfalls die Zinskosten der Eigenheimfinanzierung und nicht die Tilgungsraten - wegen der durch die Sozialgesetzgebung beschränkten Vermögensbildung der Bedarfsgemeinschaften. Die Argumentation ist nicht ganz konsequent, wird doch von den Gerichten die Eigentumswohnung und das Eigenheim als unantastbares Schonvermögen bewertet. Ein solches darf offensichtlich besessen, aber eben nicht gebildet werden.

Kommunen bezahlen Zinsen

In einigen Kommunen, wie etwa in Dortmund, wird bei Wohnungseigentum sogar grundsätzlich auf eine "gesonderte Prüfung der Angemessenheit der Wohnungsgröße" verzichtet. In diesen Fällen sind die Eigentümer/innen gegenüber den Mieter/innen deutlich besser gestellt. In den Richtlinien von Parchim etwa heißt es exemplarisch: "Die Kosten der Zinsen dürfen um nicht mehr als 100% über den Mietkosten für angemessenen (Miet)Wohnraum liegen". Auch der Landkreis Nordhausen stellt die Eigentümer/innen besser als die Mieter/innen und erklärt in den Ausführungsvorschriften auch gleich noch, warum das so ist: "Grundsätzlich sind die monatlichen Zinsen in der tatsächlich anfallenden Höhe zu übernehmen. Eine Reduzierung der Leistungen auf das Maß einer nach Sozialhilferichtlinien angemessenen Mietwohnung ist weder bei den Heizkosten noch bei der Wohnfläche zulässig. (…) Der dem Eigenheim zugebilligte Schutz (darf) nicht durch die Bemessung der Unterkunftskosten faktisch wieder eingeschränkt werden."

Andere Kommunen übertragen die Festlegungen für die Angemessenheit der Wohnkosten in Mietwohnungen ausdrücklich auch auf das Wohnungseigentum. Die angemessene Wohnungsgröße richtet sich dann auch im Eigenheim oder in der Eigentumswohnung nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder. In Stralsund und in Krefeld beispielsweise werden zwar leicht höhere Wohnungsgrößen als angemessen akzeptiert, die Gesamtkosten für Wohngeld und Zinsen jedoch dürfen die Kostengrenzen für die kleineren Mietwohnungen nicht überschreiten.

Neben den großzügigeren Bemessungsgrenzen bei der Wohnungsgröße und den als angemessenen geltenden Kosten haben etliche Kommunen auch besondere Verfahrensregeln und Fristen im Fall der Grenzwertüberschreitung festgelegt. Anders als bei Unterkunftskosten in Mietwohnungen sind die Fristen der Kostenübernahme in Eigentumswohnungen und Eigenheimen nicht auf sechs Monate beschränkt. Insbesondere die Vermietung von Einliegerwohnungen wird in vielen Ausführungsvorschriften als eine Möglichkeit zur Kostensenkung benannt.

Geschütztes Eigentum

Zur Begründung für die großzügigen Ausnahmen bei Eigentumswohnungen und Eigenheimen verweisen die Ausführungsvorschriften der Kommunen ebenso wie Urteile verschiedener Sozialgerichte vor allem auf den "besonderen Schutz von Eigentum".

Eine Entscheidung des Sozialgerichts Detmold (Az. S 8 AS 37/05 vom 16.02.2006) ging sogar soweit, angemessene Tilgungsraten für die selbst genutzte Eigentumswohnung als Kosten der Unterkunft bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen.

Vor dem Landessozialgericht NRW ist dazu ein Widerspruchsverfahren anhängig (Az. L 20 AS 39/0), doch von Interesse ist auch die Argumentation des Sozialgerichts in Detmold: Die Begründung des Sozialgerichts stellte zunächst auf die im SGB II unter § 22 festgelegten Regelungen ab, wonach die "tatsächlich anfallenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu übernehmen sind". Zu den tatsächliche Kosten für die vom Kläger bewohnte Unterkunft fallen auch Tilgungsraten an. Mit diesen Tilgungsraten wird der seinerzeit aufgenommene Finanzierungskredit zum Erwerb des Wohneigentums monatlich abgeschmolzen. Ohne die Tilgungsraten ist das Wohneigentum nicht zu halten, sodass die Tilgungsraten als notwendige Ausgaben tatsächlich anfallen.

Ein zweites Argument des Sozialgerichts verweist auf die im SGB II festgelegten "weitreichenden Schutzmechanismen insbesondere zum geschützten Vermögen". Es sei also davon auszugehen, dass der Gesetzgeber verhindern will, dass Vermögenswerte schon während der Bedürftigkeit im Rahmen des SGB II aufgebraucht werden. Eine hohe Altersarmut solle vermieden werden. Zudem sei der besondere Schutz von Eigentumswerten gemäß Art. 14 Grundgesetz (GG) zu berücksichtigen.

Die dritte Begründung schließlich greift das Grundprinzip der Sozialgesetzgebung auf, das darauf abzielt, den Leistungsempfänger unabhängig von staatlicher Hilfe zu machen. Dieses abstrakte Ziel sei nicht nur allgemein aus dem Regelungswerk des SGB II zu erkennen, sondern klar als Pflicht für die Leistungsempfänger ausgestaltet. Im Vermögensaufbau einer Eigentumswohnung bzw. eines Eigenheims sehen die Sozialrichter offensichtlich solch einen Schritt in die Unabhängigkeit. Diesen Gedanken konsequent zu Ende gesponnen, müssten Bedarfsgemeinschaften, die aus ihrem Eigenheim ausziehen oder die Zahlung der Tilgungsraten aussetzen, wegen mangelnder Mitwirkpflicht mit einer Leistungskürzung zu rechnen haben.

Angemessenheit bezieht sich auf unteren Bereich

Weniger Raum für Ironie lassen hingegen die Festlegungen der Angemessenheit für Mietwohnungen. Die Kommunalregelung in Nordhausen beispielsweise formuliert deutlich: "Die Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen (ist) (…) nicht auf den jeweils örtlichen Durchschnitt aller gezahlten Mietpreise abzustellen, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Leistungsempfängers marktüblichen Wohnungsmieten." In den Festlegungen von Hamburg findet sich für diesen angestrebten unteren Bereich der Wohnungsmieten eine arbeitsmarktpolitische Begründung. Demnach bilden Wohnungen "Eckpfeiler für die Erreichung des übergeordneten Hilfeziels, der Loslösung aus dem Leistungsbezug. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, dass hohe Kosten der Unterkunft eine Lösung aus dem Leistungsbezug, z.B. durch Arbeitsaufnahme, erheblich erschweren." Mit anderen Worten: Teure Wohnungen brauchen hohe Löhne - und die sind für Arbeitslose beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nicht zu erwarten.

Den Eigentümer/innen gegenüber jedoch scheint das Sozialgesetz eine Art Schonfrist einzuräumen. Der Schutz des Eigentums hält auch in Zeiten des sozialen Abstiegs den Traum vom bürgerlichen Glück lebendig.

Ungleiche Urteile des Bundessozialgerichts zu Wohnungsgrößen

Das Bundessozialgericht (BSG) zeigte im November letzten Jahres in zwei Urteilen zur Angemessenheit der Unterkunft von ALG-II-Beziehenden, wie unterschiedlich es die Wohnbedürfnisse von Eigentümer/innen und Mieter/innen einschätzt. Die Eigentumswohnung gehört nach Auffassung des Gerichts zum Schonvermögen. Über die Größe befand das Gericht: "Bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Größe eines selbst genutzten Hausgrundstücks oder einer entsprechenden Eigentumswohnung ist im Regelfall in Ermangelung geeigneterer Richtgrößen weiterhin auf die zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Bestimmungen des II. Wohnungsbaugesetzes (II. WobauG) abzustellen. Zwar läge es nahe, auf die aktuellen Ausführungsbestimmungen der Länder zum Wohnraumförderungsgesetz zurückzugreifen. Dies würde aber zu dem nicht vertretbaren Ergebnis führen, dass die bundeseinheitliche Leistung ALG II beim Vorhandensein von Wohneigentum von den erheblich differierenden Wohnflächen-Obergrenzen in den Fördergesetzen der Länder abhängig gemacht würde.

Ausgehend von den Wohnflächengrenzen des § 39 II. WobauG sind Eigentumswohnungen nicht unangemessen groß, wenn die Wohnfläche bei einem Haushalt von vier Personen 120 qm nicht überschreitet. Bei einer geringeren Familiengröße sind typisierend für jede Person Abschläge von 20 qm vorzunehmen; wobei im Regelfall von einer Mindestzahl von zwei Personen auszugehen ist, sodass auch bei Einzelpersonen eine Größe von 80 qm als angemessen anzusehen ist."

Weniger Großzügigkeit zeigte das BSG bei der Angemessenheit von Mietwohnungen in einer anderen Entscheidung: "Die Angemessenheit einer Unterkunft für Hilfebedürftige lässt sich nur beurteilen, wenn die konkrete Größe der Wohnung festgestellt wird. Hierbei ist für die Angemessenheit der Größe einer Wohnung auf die landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Wohnungsbaus zurückzugreifen. Sodann ist der Wohnstandard festzustellen, wobei dem Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht. Als Vergleichsmaßstab ist dabei in erster Linie der Wohnungsstandard am konkreten Wohnort heranzuziehen."

ALG-II-Beziehende sind also nicht gleich ALG-II-Beziehende. Eigentümer unter ihnen haben, so das BSG, selbstverständlich Anspruch auf eine bundeseinheitliche Regelung und 80 qm sind für eine Einzelperson nicht zu viel, denn als Eigentümer/in haben sie ja noch gute Aussichten, eine/n Lebenspartner/in zu finden, und dazu muss auch die bessere Wohnlage erhalten bleiben. Mieter/innen hingegen sollten mit der kommunalen Regelung zufrieden sein und sich - mental zumindest - auf die Notunterkunft am Stadtrand vorbereiten, denn an eine eventuelle zukünftige Partnerschaft ist in einer solchen Situation ohnehin nicht zu denken.

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