MieterEcho 319/Dezember 2006: Mythos von sozialen Eigentümern

MieterEcho

MieterEcho 319/Dezember 2006

Quadrat GENOSSENSCHAFTEN

Mythos von sozialen Eigentümern

Mietergenossenschaften und ihre Rolle bei Wohnungsprivatisierungen

Andrej Holm

Genossenschaften wurden und werden in der öffentlichen Debatte oftmals als bewohnernahe Alternativen zu Wohnungsprivatisierungen dargestellt. Doch Beispiele in Berlin zeigen, dass genossenschaftliches Eigentum keine Garantie für eine soziale Wohnungsversorgung bietet.

Etwa 10% des Berliner Wohnungsbestands, fast 180.000 Wohnungen, befinden sich in Genossenschaftseigentum. Viele Genossenschaften können auf eine traditionsreiche Geschichte zurückblicken oder sind aus den Arbeiterwohngenossenschaften (AWG) der DDR hervorgegangen.

Doch mehr als 11.000 Wohnungen gehören Genossenschaften, die aufgrund von Privatisierungen der öffentlichen Wohnungsbestände nach 1990 neu gegründet wurden. Oftmals entstanden Genossenschaften als Ergebnisse von vergeblichen Mieterprotesten gegen die Verkäufe ihrer Wohnungen an Investoren. Genossenschaften statt privater Investoren - das entsprach lange Zeit auch dem politischen Willen der Senatsverwaltung. Mit Fördergeldern, Darlehen und Landesbürgschaften wurden die Genossenschaftsgründungen vor allem in den 1990er Jahren unterstützt. Doch mit der Verstärkung der Berliner Finanzkrise geriet das Modell der Genossenschaftsprivatisierung aus dem Blickfeld des politisch Umsetzbaren. Zum einen wurden Subventionen im Wohnungsbereich gekürzt oder ganz eingestellt, sodass sich auch die finanzielle Unterstützung für Genossenschaften ausdünnte. Zum anderen setzte die Landesregierung auf die Privatisierung ganzer Wohnungsbaugesellschaften und auf En-Bloc-Verkäufe. Kleine Genossenschaften - noch dazu Neugründungen - sind jedoch für die Übernahme eines mehrere tausend Wohnungen zählenden Bestands ungeeignet.

Dennoch ist bei bekannt werdenden Privatisierungsplänen immer noch der Ruf nach bewohnernahen Lösungen und nach Genossenschaften zu vernehmen. Bei einer Privatisierung von etwa 300 Wohnungen im Waldekiez durch die WBM-Tochter Bewoge wird eine Genossenschaft als Käuferin gesucht. In einer diesbezüglichen Stellungnahme der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wird die Unterstützung der Genossenschaftsprivatisierung damit begründet, dass das "vorliegende Genossenschaftsmodell (…) dauerhaft preiswerte Mieten sicherstellt" (Schreiben vom 24.01.2006). Ob Genossenschaften tatsächlich eine Alternative zur Wohnungsprivatisierung darstellen und dauerhaft preiswerte Mieten sicherstellen, soll an einzelnen Beispielen untersucht werden.

Eigentum 2000 - Zwischenerwerb und Totalprivatisierung

1999 hat sich die Genossenschaft Eigentum 2000 gegründet. Anfang 2002 übernahm sie einen Bestand von 1210 Wohnungen von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft WBG Marzahn, der wegen Liquiditätsproblemen veräußert werden sollte. Aus Angst, an einen Investor verkauft zu werden, entschieden sich insgesamt über 900 Mieter/innen, eine Genossenschaft zu gründen, in der Hoffnung, so die Wohnverhältnisse und die Mietentwicklung dauerhaft zu sichern. Die damalige Landespolitik, die im Stadtentwicklungsbereich von Senator Peter Strieder geprägt wurde, unterstützte die Initiative und versprach fachliche und finanzielle Unterstützung für die Genossenschaftsgründung. Eine Zeit lang schien diese Hoffnung aufzugehen, die Wohnungen wurden saniert, die "Eigentum 2000" gewann als "Genossenschaft mit den gewissen Extras" den zweiten Preis in der Kategorie Genossenschaften des BBU-Wettbewerbs 2004 und auch die Leerstandsquote von über 25% konnte zwischenzeitlich auf 6% reduziert werden. Dennoch geriet die Genossenschaft unter wirtschaftlichen Druck, da sie für die hohen Sanierungskosten mit zu wenig Eigenkapital gerüstet war. Die landespolitische Unterstützung jedoch beschränkte sich auf den Zeitraum der Privatisierung und sicherte letztlich den Verkauf von landeseigenen Wohnungen. Die Versagung weiterer Fördergelder trieb die Eigentum 2000 letztlich in die Insolvenz. Die makabere Pointe der Marzahner Genossenschaftsposse ist der kürzlich vollzogene Erwerb der Wohnungen durch die Vivacon, einen der bekannten Wohnungserwerber aus der Reihe internationaler Finanzinvestoren (siehe auch S. 18 in diesem Heft, die Red.).

Bremer Höhe - Antrag auf Aussetzung des Mietspiegels

Auch die Genossenschaft Bremer Höhe in Prenzlauer Berg entstand aus dem Bewohnerprotest gegen die geplante Privatisierung von über 500 Wohnungen in den Blöcken zwischen Schönhauser- und Pappelallee, Greifenhagener-, Gneist- und Buchholzerstraße.

Im Herbst 1999 wurden die Verkaufspläne der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg mbH (WIP) bekannt und auf mehreren Versammlungen mit Hunderten Bewohner/innen kritisiert. Viele Bewohner/innen ließen sich angesichts des Verkaufsdrucks auf die Genossenschaftsgründung ein. Die WIP verkaufte trotzdem an einen Hamburger Investor und erst im Mai 2000 nach öffentlichem Druck und der politischen Rückendeckung des Senats wurde dieser Kauf rückabgewickelt, um die Wohnungen der Genossenschaft zu übertragen. Seither wurden die Bestände größtenteils modernisiert. Die Mieten sind leicht geringer als in den umliegenden Straßenzügen des Sanierungsgebiets Helmholtzplatz und auch der Anteil von Familien ist größer. Dennoch kann sich auch die Genossenschaft Bremer Höhe den Marktmechanismen nicht entziehen und hat offensichtlich mit Mietpreisen kalkuliert, die über den 2005 festgestellten Mietspiegelwerten lagen. In einem Schreiben vom 14.10.2005 an die Senatsverwaltung bat der Genossenschaftsvorstand um eine Aussetzung des Mietspiegels für den Wohnungsbestand der Genossenschaft: "Durch den Mietspiegel 2005 sind Bedingungen eingetreten, die bei Abschluss der Kreditverträge und Beschlussfassung über die Förderung der Genossenschaft nicht angenommen werden konnten." Aus diesem Grund schlug der Vorstand der "Bremer Höhe" folgende Ergänzung der Förderverträge vor: "Dem Fördernehmer ist es gestattet, bei Absinken der Mittelwerte der relevanten Mietspiegelfelder Neuvermietungen zu den bisher geltenden Mittelwerten vorzunehmen."

Für den einstigen Hoffnungsträger der sozialen Stadtentwicklung eine ernüchternde Entwicklung. Denn selbst für die gierigsten Finanzinvestoren ist der Mietspiegel ein verbindliches Instrument zur Gestaltung der Bestandsmieten. Dass ausgerechnet eine Genossenschaft diese nun unterlaufen will, stellt die Genossenschaften in kein sonderlich soziales Licht.

WG-Lichtenberg - später Ausverkauf

Die Wohnungsbaugesellschaft Lichtenberg (WGLi) ging 1990 aus einer Arbeiterwohngenossenschaft (AWG) hervor und war im Rahmen der Altschuldenhilfegesetzgebung angehalten, 15% des Wohnungsbestands zu privatisieren. Wie die meisten Ostberliner Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften bot auch die WGLi ihren Bewohner/innen die Wohnungen zum Eigentumserwerb an - wie bei den meisten Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften wurden nur wenige Wohnungen tatsächlich verkauft. Trotzdem wurde der Genossenschaft eine Teilentschuldung der Altlasten bewilligt. Gerade den Genossenschaftsmitgliedern - die ja auch Kollektiveigentümer der jeweiligen Wohnanlagen waren - erschien der Kauf ihrer Wohnung wenig sinnvoll. Denn gerade die oftmals vorgebrachten Vorteile des eigenen Heims wie Gestaltungsfreiheit und langfristige Wohnsicherheit waren auch im Rahmen einer Genossenschaft gesichert. So zumindest glaubten es auch die Bewohner/innen in den WgLi-Beständen der Sewanstraße 201 - 207 (ungrade Nummern) in Lichtenberg. Gerade viele ältere Genossenschaftsmitglieder wohnen bereits seit der Errichtung 1969 in den Häusern der Genossenschaft.

Doch im Sommer 2006 verkaufte die WGLi einen Teil des Bestands - eben die Häuser in der Sewanstraße. Nach einem weiteren Eigentümerwechsel gehören die Häuser nun einer Hamburger Gesellschaft, die auch die Wohneigentumsanlagen der ehemaligen Genossenschaft Mollstraße erworben hat. Für die 96 Wohnungen der Sewanstraße wurde ein Kaufpreis von knapp 3,9 Mio. Euro vereinbart, was 638 Euro/qm entspricht. Kein schlechter Preis für Wohnungen, die 1995/96 komplett saniert wurden. Der Käufer verpflichtete sich im Vertrag, die Miet- und Nutzungsrechte zu den damaligen Konditionen zu übernehmen und verzichtete auf Eigenbedarfskündigungen ebenso wie auf wirtschaftlich begründete Kündigungen. Angesichts der Altersstruktur in den Wohnungsbeständen setzt der neue Eigentümer auf demografische Effekte. Die wenig mobile Bewohnerschaft zahlt im Durchschnitt etwa 4,81 Euro/qm nettokalt - das entspricht einem Jahresbetrag von weit über 300.000 Euro. Bei frei werdenden Wohnungen können die neuen Eigentümer durch teurere Neuvermietungen, selektive Aufwertungsprozesse oder auch durch Umwandlungen mit zusätzlichen Gewinnen rechnen.

Die Genossenschaft hatte bereits 1998 die Abgeschlossenheitsbescheinigungen - eine Voraussetzung für die Umwandlung in Einzeleigentum - beantragt. Angebote an die Mieter/innen zum Kauf ihrer Wohnung wurden mehrfach abgelehnt. In einem Schreiben von 12.06.2006 setzt die Genossenschaft ihre Mitglieder vom Verkauf in Kenntnis: "Die von Ihnen bewohnte Wohnung der WGLi wurde Ihnen in der Vergangenheit mehrfach zum Kauf angeboten. (...) Dieses Angebot wurde von Ihnen nicht angenommen. Der Vorstand der WGLi hat nunmehr diese und weitere bisher nicht veräußerte Eigentumswohnungen in Ihrer Wohnanlage nach gründlicher Prüfung und Abwägung der Angebote verschiedener Kaufinteressenten veräußert." So schnell kann sich der Traum von der lebenslangen Wohnsicherheit in der Genossenschaft auflösen. Mit einigen Winkelzügen in den Tiefen des Genossenschaftsrechts gelingt es der WGLi, den Verkauf - der bereits zuvor umgewandelten aber eben nicht veräußerten Eigentumswohnungen - aus dem Tatbestand der "Vermögensübertragung auf ein Unternehmen anderer Rechtsform" herauszudefinieren - eine solche Übertragung nämlich hätte die Zustimmung der Vertreterversammlung benötigt. Also auch unter den viel gerühmten Mitbestimmungsaspekten des genossenschaftlichen Wohnens bietet die WGLi kein gutes Beispiel.

Wöhlertgarten - steigende Wohnkosten durch Genossenschaftsbeiträge

Die Genossenschaft Wöhlertgarten mit ihren 123 Wohnungen in der Pflugstraße 9, 9a und 10 in Mitte ist eine Privatisierungsgenossenschaft, die Ende der 1990er Jahre aus dem Bestand der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) hervorging. Beim Verkauf der landeseigenen Wohnungen im September an den Immobilienentwickler IBC hatte die WBM zunächst vergessen, den Mieter/innen Vorkaufsrecht einzuräumen. Der Kauf musste nach Protesten rückabgewickelt werden und das Gebäudeensemble wurde für etwa 7,5 Mio. DM an die inzwischen gegründete Genossenschaft gegeben. Die Modernisierung des Genossenschaftsbestands erfolgte im Rahmen des Förderprogramms "Soziale Stadterneuerung".

Wie auch bei der Genossenschaft Bremer Höhe sind die Mieteinnahmen nach dem Mietspiegel 2005 nicht in der erwarteten Höhe realisierbar. Genossenschaften haben im Vergleich zu anderen Eigentümern noch eine weitere Einnahmequelle: den Genossenschaftsbeitrag. Die Einführung eines solchen Beitrags ist im Wöhlertgarten für das Jahr 2007 beschlossen worden. Mithin eine verdeckte Mieterhöhung, welche nur die Mitglieder der Genossenschaft betrifft.

Auch im Wöhlertgarten genügt die Genossenschaft den Hoffnungen auf eine sozialere und sicherere Wohnalternative nicht im vollen Umfang. Wenn Genossenschaften unter wirtschaftlichen Druck geraten, agieren sie wie private Eigentümer - doch die Bewohner/innen, so sie Mitglieder der Genossenschaft sind, können sich nicht im vollen Umfang auf das Mietrecht stützen. Der Vorteil der Genossenschaften liegt vor allem in der euphorischen Emanzipation der Gründungsphase. Der Schwung an Beteiligung, Mitbestimmung und Solidarität konnte aber nur in den wenigsten Fällen über die Jahre gerettet werden. In der Auseinandersetzung mit Wohnungsprivatisierungen stellen sie deshalb höchstens die zweitbeste Wahl dar.

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