MieterEcho 319/Dezember 2006: Schlechte Aussichten

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MieterEcho 319/Dezember 2006

Quadrat WOHNUNGSMARKT

Schlechte Aussichten

BRD ist Schlusslicht im Wohnungsneubau

Chaim Reich

Obwohl das Fördersystem des Sozialen Wohnungsbaus, wie es im Zweiten Wohnungsbaugesetz von 1956 festgeschrieben wurde, alles andere als frei von groben Fehlern war, hatte es den Wohnungsbau bis weit in die 80er Jahre entscheidend angeregt. Auch in den ersten Jahren nach der Vereinigung war der Wohnungsbau noch oder wieder ein Gegenstand, dem die Politik ihre Aufmerksamkeit zuwandte. Entsprechende Bauleistungen zeugen davon. Doch seither verdichtet sich der Eindruck immer mehr, dass nicht nur politisches Desinteresse zur Vernachlässigung des Wohnungsbaus führt, sondern sich ein Bemühen um die Herstellung von Grundlagen für eine neue Wohnungsnot immer stärker durchsetzt.

Sozialer Wohnungsbau findet in der BRD schon seit einiger Zeit so gut wie gar nicht mehr statt. Das von der rot-grünen Koalition verabschiedete Gesetz zur sozialen Wohnraumförderung (in Kraft seit dem 01.01.2002), das die neue Grundlage für den sozialen Wohnungsbau sein soll, ist weder sozial noch ist es geeignet, den Wohnungsbau zu fördern. Zudem hat im Sommer dieses Jahres der Bund die Verantwortung für die soziale Wohnraumförderung gänzlich an die Länder abgegeben.

Gleichzeitig hat sich auf der Ebene der Kommunen eine Epidemie breitgemacht, wie sie kein anderes Land auf der Welt kennt: der massenweise Verkauf von Wohnungsbauunternehmen an Finanzinvestoren, die nur noch am Wohnungshandel, aber nicht mehr am Wohnungsbau interessiert sind. Als Begründung müssen die leeren Haushaltskassen herhalten, doch die sind nicht leer, weil es öffentliche Wohnungsbauunternehmen gibt, sondern weil auf Steuereinnahmen in einem Maß verzichtet wird, dass der Standort Deutschland mittlerweile zum Niedrigsteuerland geworden ist. Der Verkauf von Wohnungsbauunternehmen hat die Haushaltskassen nicht entschuldet, er wird sie aber mit Sicherheit zukünftig belasten.


ifs Diagramm Wohnungsbau
ifs Städtebauinstitut warnt

Der Erfolg solcher Politik zeigt sich auf krasse Weise in Berlin, dem Eldorado für Heuschrecken. Das in dieser Stadt ansässige Institut für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen gehört zu denen, die eine solche von den verantwortlichen Politikern geleugnete Entwicklung mit Sorge wahrnehmen. In einer Presseerklärung vom Herbst diesen Jahres teilte das Institut mit:

"In keinem anderen europäischen Land werden derzeit so wenig Wohnungen gebaut wie in Deutschland. Im vergangenen Jahr wurden in der Bundesrepublik nur noch knapp 240.000 Wohnungen fertiggestellt. Pro 1000 Einwohner gerechnet waren dies lediglich 2,9 Wohnungen. Damit liegt Deutschland am Ende der europäischen Länder. Ähnlich wenige Wohnungen wurden in Westeuropa nur in Großbritannien mit 3,2, Schweden mit 3,8 und den Niederlanden mit 4,3 Wohnungen je 1000 Einwohner neu gebaut. Alle anderen Länder weisen höhere Fertigstellungszahlen auf. An der Spitze liegt Irland mit 18,6, gefolgt von Spanien mit 15,0 Wohnungen."


ifs Diagramm Wohnungsbau
Schlusslicht Berlin

Das Institut stellt weiter fest: "Innerhalb der Bundesrepublik ist die Bautätigkeit unterschiedlich verlaufen. Brandenburg liegt mit 4,1 Wohnungen an der Spitze aller Bundesländer, gefolgt von Bayern mit 3,9 und Mecklenburg-Vorpommern bzw. Rheinland-Pfalz mit jeweils 3,6 Wohnungen je 1000 Einwohner. Auch in Baden-Württemberg und Niedersachsen ist die Neubautätigkeit mit 3,4 bzw. 3,0 Wohnungen noch leicht überdurchschnittlich gewesen. Die anderen Bundesländer liegen unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Am Ende rangierten Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen mit jeweils 1,7 Wohnungen vor - mit deutlichem Abstand - Berlin mit 1,0 Wohnungen je 1000 Einwohner."

Wenn Herr Sarrazin und seine politischen Freunde ihre weiteren Verkaufsabsichten verwirklichen können, hat Berlin mit Sicherheit innerhalb weniger Jahre nicht nur eine deutliche Steigerung des Mietpreisniveaus, sondern auch eine neue Wohnungsnot zu erwarten. Welche Haushaltskassen dann Abhilfe schaffen sollen, wird gewiss nicht Herr Sarrazin beantworten müssen.

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