MieterEcho 319/Dezember 2006: Wohnung gesucht

MieterEcho

MieterEcho 319/Dezember 2006

Quadrat TITEL

Wohnung gesucht

Der Wohnungsmarkt in Friedrichshain ist für ALG-II-Beziehende leer gefegt

Christian Linde

"Massenhafte Umzüge von Hartz IV-Empfängern finden im Bezirk nicht statt." Vor allem mit dieser Parole wollte Kerstin Bauer als Spitzenkandidatin für die Linkspartei.PDS in Friedrichshain-Kreuzberg im Wahlkampf punkten.

Das Stadtforschungsinstitut Topos hatte bereits 2005 gewarnt: Aufgrund zu hoher Kosten für die Unterkunft bei Langzeitarbeitslosen müssten berlinweit 70.000 und in Friedrichshain-Kreuzberg mehr als 10.000 Haushalte mit einem Zwangsumzug rechnen. Allerdings waren in den Berechnungen noch nicht die im Rahmen der später erlassenen Ausführungsverordnung Wohnen (AV-Wohnen) durch Ausnahmeregelungen besonders geschützten Personengruppen berücksichtigt. Nach der Verabschiedung der AV-Wohnen durch den Senat korrigierte das Institut diese Zahl nach unten: auf stadtweit insgesamt etwa 15.000 betroffene Haushalte. Seitdem winkt die Senatssozialverwaltung bei den Stichworten "Zwangsumzüge" und "Wohnkosten" kategorisch ab. Von "Panikmache" spricht Roswitha Steinbrenner, die Pressesprecherin der Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei.PDS). Anlass zur Entwarnung gibt es dennoch nicht. Auch nicht im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Denn Aufforderungen zur Senkung der Wohnkosten sowie zum Wohnungswechsel aufgrund der Überschreitung der Mietobergrenzen landen regelmäßig in den Briefkästen von ALG-II-Beziehenden. Nach Angaben des bezirklichen Jobcenters in Friedrichshain-Kreuzberg bemaß "die Anzahl der angeschriebenen Fälle mit Überschreitung der Richtwerte bzw. Härtefallrichtwerte" allein von Januar bis August 2006 insgesamt 1117 Haushalte. Doch selbst Wohnraum, der für einkommensschwache Haushalte vorgehalten wird, ist für ALG-II-Beziehende in Friedrichshain mittlerweile nicht mehr zu haben. "In den letzten Wochen ist es mir in vielen Fällen nicht gelungen, an ALG-II-Beziehende eine belegungsgebundene Wohnung im Rahmen der Jobcenter-Höchstgrenzen zu vermitteln", berichtet Michael Breitkopf von der Sozialberatung des Mieterladens Friedrichshain in der Kreutzigerstraße. "Geklappt hat die Wohnraumbeschaffung lediglich, wenn es gelang, Bedürftige über den Sozialpsychiatrischen Dienst des Bezirksamts zu stützen und dieser gegenüber dem Jobcenter mittels der Härtefallregelung tätig wurde oder eine Ausnahme über das Geschützte Marktsegment erfolgte." Der Sozialpsychiatrische Dienst kann durch eine entsprechende Befürwortung den Erhalt des bestehenden Wohnverhältnisses oder die Beschaffung einer neuen Wohnung in Gang setzen. Das "Geschützte Marktsegment" sieht laut einer Vereinbarung zwischen dem Senat und der Wohnungswirtschaft vor, dass ein bestimmtes Kontingent an Wohnungen für Menschen in sozialen Schwierigkeiten, die ihre Wohnung verloren haben oder vor dem Verlust ihrer Wohnung stehen und auf dem Wohnungsmarkt chancenlos sind, bereitgestellt wird.

Verdrängung durch "Besserverdienende"

Für die Mieterschaft jenseits solcher Ausnahmeregelungen gilt in Friedrichshain-Kreuzberg zurzeit für die einfache Wohnlage ein Mietspiegel-Mittelwert von 4,44 Euro/qm. Die Miete für Inhaber/innen von Wohnberechtigungsscheinen (WBS) wird durch Landeszuschüsse auf durchschnittlich 4,14 Euro/qm gedrückt. "Demnach dürfte es für ALG-II-Beziehende kein Problem sein, eine 50 bis 60 qm große Wohnung zu finden - ist es aber", resümiert Michael Breitkopf. Nach seiner Einschätzung ist die Wohnungsversorgung für ALG-II-Beziehende mit "Hartz-IV-kompatiblen" Wohnungen in Friedrichshain nahezu ausgeschlossen. Als Ursache für den Mangel nennt der Sozialberater in erster Linie drei Gründe. Erstens: Die drastischen Mieterhöhungen in den zurückliegenden drei Jahren. Zweitens: Der geringe Anteil an verfügbaren Wohnraum im Bereich belegungsgebundener Wohneinheiten. Drittens: Die Explosion der Mietnebenkosten. So sei die Miethöhe in Friedrichshain bei Neuvermietungen innerhalb der letzten 36 Monate, insbesondere im Bereich des Samariter- und Boxhagener Kiezes, enorm gestiegen. Die Nettokaltmiete liege inzwischen bei mindestens 5,50 Euro/qm. In zahlreichen Fällen aber auch darüber. Dieser Wert bewege sich zwar weit über dem Wert, den der Mietspiegel mit 4,44 Euro abbilde, dennoch würden die verlangten Mieten von zahlungskräftigen Mietinteressenten akzeptiert. Neumieter/innen seien in der Regel Doppelverdiener/innen oder Studierende mit entsprechendem finanziellen Hintergrund.

WBS-Berechtigte gehen leer aus

Insgesamt verfügt Friedrichshain über 4200 "gebundene" Wohnungen. Über das Instrument der Belegungsbindung behält sich der Bezirk das Recht vor, Wohnungen aus dem öffentlich geförderten Bestand für finanzschwache Haushalte vorzuhalten. Voraussetzung für deren Belegung ist ein WBS. Danach erhalten ausschließlich Mietinteressenten, deren Einkommenshöhe innerhalb der festgelegten Grenzen des WBS liegen, den Zuschlag. Diese Wohnungen werden jedoch bereits durch sanierungsbetroffene Mieter/innen in Friedrichshain in Anspruch genommen. Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) bzw. deren Tochterunternehmen Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) verfügt derzeit über keine Wohneinheiten für WBS-Inhaber/innen. Ohne WBS, unterhalb von 360 Euro Miete und bis zu 60 Quadratmeter (also "Hartz-IV-kompatibel"), hatte das Unternehmen bei einer Stichtagserhebung gerade einmal zwei Wohnungen im Angebot. Im gesamten Bestand befanden sich lediglich 15 Wohnungen mit einer Miethöhe zwischen 260 Euro und 295 Euro nettokalt. Das heißt, fast alle Wohnungen sind für Einkommen im Rahmen des ALG-II-Bereichs unerschwinglich.

Das größte Hemmnis bei der Neuvermietung von Wohnungen liegt nach Ansicht der Mieterberater jedoch in den WBS-Einkommensgrenzen. Diese Einkommensgrenzen waren seinerzeit mit Verweis auf die "soziale Mischung" im Bezirk bewusst hoch angesetzt worden:

1-Personen-Haushalte bis zu 24.900 Euro Bruttojahreseinkommen, 2-Personen-Haushalte bis zu 37.800 Euro und 3-Personen-Haushalte bis zu 46.900 Euro. Nun haben ALG-II-Bewerber/innen praktisch keine Chance.

Umgehung gesetzlicher Vorschriften

Gleichzeitig registriert die Mieterberatungsstelle ASUM, die im Auftrag des Bezirksamts belegungsgebundene Wohnungen vermittelt, eine systematische Umgehung der Belegungsbindung. So würde WBS-Inhaber/innen eine Wohnung nur zum Schein angeboten. Die Zahlung der Kaution von insgesamt drei Monatsmieten würde entgegen der Vorschrift bereits vor Einzug und zwar in einer Rate statt in drei Raten verlangt, die Mietinteressenten müssten sich verpflichten einen "solventen" Bürgen zu benennen (der seinerseits zur Offenlegung seiner Einkommensverhältnisse aufgefordert wird), es würde eine Bestätigung vom Vorvermieter über die regelmäßige Mietzahlung verlangt und Wohnungssuchende mit Schufa-Eintrag würden einfach abgewiesen, wobei die Schufa-Auskunft von den Wohnungsbewerber/innen beschafft und bezahlt werden muss. Besonders verheerend wirke sich der Beschluss der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom Juli 2006 aus, wonach die Investitionsbank (IBB) eine gegenüber dem Mietspiegel höhere Vergleichsmiete von 4,84 Euro/qm zu akzeptieren habe. Dies führe nicht nur zu erhöhten Zahlungen der IBB-Aufwendungszuschüsse für bereits belegte Wohnungen (Erstattung der Differenz von 4,13 Euro auf 4,83 Euro nettokalt), sondern zu einer entsprechenden Hürde für ALG-II-Beziehende bei der Wohnungssuche. Denn das Jobcenter lege bei der Zustimmung eines Mietvertragsabschlusses in der Regel den tatsächlichen Mietpreis zugrunde. Darüber hinaus haben sich die Vergleichsmieten für Bestandsmieter/innen aufgrund der Nebenkostenentwicklung im zurückliegenden Jahr den Angemessenheitsgrenzen der AV Wohnen ohnehin angenähert und diese teilweise bereits überschritten. Mit den neuerlich ins Haus stehenden Betriebs- und Energiekostenabrechnungen drohe zahlreichen Mieter/innen außerdem eine weitere kräftige Mieterhöhung.

In den Fällen, in denen ALG-II-Beziehende eine "angemessene" Wohnung finden, stelle das zeitaufwendige bürokratische Verfahren, das Antragsteller durchlaufen müssten, ehe das Jobcenter die Zustimmung zu einem Umzug geklärt habe, eine weitere Hürde auf. Während der ASUM für die Neuvermittlung einer Wohnung ein Zeitraum von sechs Wochen zur Verfügung steht, benötigt das Jobcenter häufig mehrere Monate, um einen Umzugsantrag zu bewilligen. Betroffene machen sich also vergeblich auf die Suche nach preisgünstigen Wohnraum, weil eine in Aussicht stehende Wohnung während der Bearbeitungszeit anderweitig vermietet wird.

Fehlendes Mietkostenmanagement

Vor allem wirft die Sozialberatung des Mieterladens Friedrichshain dem Jobcenter vor, keinerlei Kontrollmechanismen entwickelt zu haben. So habe nicht einmal die durch den Bundesgesetzgeber vorgegebene Prüfungspflicht im vergangenen Juni zu ersten Überprüfungen der Wohnkosten von ALG-II-Haushalten durch die Jobcenter geführt. Michael Breitkopf beklagt: "In der Regel führen die Nebenkostenabrechnungen und Mieterhöhungsverlangen der Eigentümer dazu. Bis heute gibt es keine systematische Prüfung der Kosten der Unterkunft beim Jobcenter und keine systematische Erfassung der geprüften Einzelfälle." Obwohl Mieterorganisationen alljährlich mit dem Verweis auf eine Fehlerquote von bis zu 50% bei den Betriebskostenabrechnungen für Privathaushalte zu deren Prüfung raten, fehlt auch hier jegliche Kontrolle durch die Jobcenter. Dabei würde eine konsequente Einbehaltung unberechtigt verlangter Zahlungsaufforderungen ebenso zu einer spürbaren Senkung der Wohnkosten führen wie Mietminderungen wegen Wohnungsmängeln, die ebenfalls von den Jobcentern nicht durchgesetzt würden. "Bei der heutigen Praxis kann die Kostenhöhe den ALG-II-Beziehenden egal sein, solange die AV-Wohnen-Limits nicht überschritten werden. Am billigsten wäre es wahrscheinlich, allen ALG-II-Beziehenden den Jahresbeitrag zur Berliner MieterGemeinschaft oder zum Mieterverein zu spendieren", schlägt Breitkopf vor.

Mit Bewegung auf dem Wohnungsmarkt sei dennoch zu rechnen. "Sobald das Jobcenter an eine systematische Prüfung herangeht, fliegt die Misere auf. Ab Ende des Jahres ist mit einer zunehmenden Mieterverdrängung in die Plattenbaubezirke zu rechnen", prognostiziert Breitkopf.

"Subventionsprogramm für schwervermietbare Wohnungen"

Eine durch die Beratungsstelle durchgeführte Marktrecherche im Plattenbaubestand von Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen hat allerdings ergeben, dass auch hier inzwischen Einschränkungen für ALG-II-Beziehende entstehen. Obwohl die größeren Wohnungsgesellschaften über Leerstände klagten, lägen die Mieten nur noch knapp unter der Obergrenze der AV-Wohnen. Hier sieht Breitkopf keinen "Markteffekt", sondern einen Mitnahmeeffekt von Sozialleistungen durch die Wohnungsgesellschaften. Die Regelung der Wohnkosten in den AV-Wohnen wirke "wie ein Immobilien-Subventionsprogramm für schwervermietbare Wohnungen, weil der Markt sich an der Angemessenheitsgrenze nach oben orientiert", kritisiert Breitkopf.

Nachdem sich die Zahl der Verordneten der Linkspartei.PDS in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg nach den Wahlen halbiert hat, brennt den Sozialisten die "Wohnfrage" im Bezirk offenbar wieder unter den Nägeln. Für Anfang nächsten Jahres plant die BVV-Fraktion der Linkspartei.PDS eine Veranstaltung zum Thema. Dann will Sozialstadträtin Kerstin Bauer mit Schuldner- und Mieterberatern über "Zwangsumzüge" und die Entwicklung der "Kosten der Unterkunft" diskutieren.

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 319