MieterEcho 318/Oktober 2006: Ein Glückstag für die Berliner?

MieterEcho

MieterEcho 318/Oktober 2006

Quadrat BERLIN

Ein Glückstag für die Berliner?

Mit fast vierjähriger Verspätung legte am 13.09.2006 die Anschutz Entertainment Group den Grundstein für ihr Vergnügungsviertel am Ostbahnhof

Christoph Villinger

Pünktlich zur Fußball-WM 2006 sollte die Eröffnung der Multifunktionshalle der Anschutz Entertainment Group (AEG) in der Nähe des Friedrichshainer Spreeufers ursprünglich stattfinden. Zu dieser Halle gehört ein riesiges Quartier mit Wohnungen, Supermärkten, Unterhaltung und Medienindustrie zwischen Ostbahnhof und Warschauer Brücke, geplant mit der doppelten Nutzfläche des Daimler-Chrysler-Areals am Potsdamer Platz. Doch bis heute führen nur neugebaute Straßen durch eine menschenleere Staubwüste zwischen East-Side-Gallery und dem Ost-West-Schienenstrang. Millionen von Euro hat das Land Berlin in allerlei Vorleistungen für die Infrastruktur gesteckt. Aber jetzt soll alles anders werden.

Selbst zur Grundsteinlegung am 13.09.2006 kamen viele der geladenen Gäste eine halbe Stunde zu spät. Nachdem das Publikum mit peinlichen, per Videoleinwand übertragenen Grußworten von Jürgen Klinsmann oder Celine Dion hingehalten wurde, eröffnete schließlich AEG-Präsident Tim Leiweke die Feierlichkeiten und sprach von einem "Glückstag für Berlin". Versammelt waren etliche SPD-Senatoren, angeführt vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), sowie Peter Strieder (SPD), ehemaliger Senator für Stadtentwicklung.

Das von Anschutz nun in Bau befindliche Objekt ist eine 17.000 Zuschauer fassende Multifunktionshalle, in der nachmittags ein Eishockey-Spiel der Berliner Eisbären und am selben Abend ein Konzert mit Madonna stattfinden könnte. Innerhalb der nächsten 24 Monate will die AEG rund 150 Millionen Euro verbauen, die Eröffnung ist für September 2008 geplant. Besonders ins Stadtbild wird eine 1800 Quadratmeter große LED-Installation eingreifen, die mit 300.000 Lichtpunkten für die richtige Vergnügungsstimmung im Stil Las Vegas sorgen soll.

Neuer Name der Halle: O2-World

Nicht nur weil gegen diese riesigen Leuchtreklametafel sogar die Berliner Behörden Sturm liefen, sondern auch weil es der AEG vier Jahre lang nicht gelang, die Namensrechte für die Halle zu verkaufen, stand das Projekt immer wieder auf der Kippe. Mit dem Handy-Betreiber "O2" hat die AEG schließlich "einen Partner" gefunden und die Halle nennt sich nun "O2-World". Der O2-Präsident Rudolf Gröger hört "in Berlin die Musik toben" und da will er dabei sein. Er hofft darauf, dass "Telekommunikation in den nächsten Jahren das Medium zur Verbreitung von digitalen Inhalten wird". Diese liefert dann die AEG als weltweit agierender Unterhaltungskonzern mit Hauptsitz in Los Angeles. Neben bekannten Größen aus dem Show- und Musikgeschäft hat Anschutz auch zahlreiche Basketball-, Eishockey- und Fußballteams unter Vertrag.

Keine Rolle bei der Grundsteinlegung spielte die Auseinandersetzung um das neben der Halle geplante, bis zu 185 Meter hohe Riesenrad. Denn zeitgleich plant der Konkurrent "World Wheel" ebenfalls ein Riesenrad am Bahnhof Zoo. Salomonisch zog sich Klaus Wowereit auf Nachfragen von Journalisten aus der Affäre: "Wer zuerst anfängt zu bauen, hat gewonnen".

Widerstand gegen Riesenrad

Nachdem nämlich die ganze Entwicklung im Kreuzberger und Friedrichshainer Spreeraum in den letzten Jahren wenig Beachtung fand, formiert sich gegen das geplante Riesenrad erstmals breiterer Widerstand. Bei einer der gesetzlich vorgeschriebenen öffentlichen Anhörung im ehemaligen Postbahnhof teilte sich das Publikum schnell in zwei Lager (siehe folgenden Beitrag). Während die einen auf die versprochenen Arbeitsplätze hoffen, warnten andere wie die Kreuzberger Grünen vor einem erneuten Pleiteprojekt vergleichbar dem Londoner Riesenrad. Dabei hatte das Londoner Projekt viel bessere ökonomische Ausgangszahlen. Noch weiter gingen andere Anwohner/innen, die das ganze geplante Areal als "ziemlich albernes Unterhaltungszentrum US-amerikanischen Zuschnitts" ablehnen.

Dieser Einschätzung widerspricht zwar hinter vorgehaltener Hand kaum jemand in Kreuzberg, doch die Politiker versprechen sich Arbeitsplätze für ihre Bevölkerung. So berichtet Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (Linkspartei.PDS) von "der Kooperation zwischen Bezirksamt, AEG und der Arbeitsagentur Mitte". Welche Leute zukünftig gebraucht werden, sei nun die Frage, und die sollen jetzt aus den lokalen Arbeitslosen ausgebildet werden. Dabei wird wohl eher an "Schuhputzer" als an "Millionäre" gedacht. Auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit sieht die Halle "als Schlüsselprojekt für das Gebiet um den Ostbahnhof" und erhofft sich davon "eine Dynamik und neue Perspektiven" für das Umfeld.

Bürgerinitiative fürchtet Verdrängung

Genau diese Dynamiken rief die "Außerparlamentarische Bürgerinitiative Media Spree versenken" auf den Plan, um die Grundsteinlegung mit Trillerpfeifen und einem Transparent zu begleiten. Die Bürgerinitiative befürchtet die Verdrängung der angestammten Bevölkerung. Schwarzgekleidete private Sicherheitsmitarbeiter hatten die Lage schnell wieder im Griff und übergaben die Kreuzberger Bürger/innen zur Personalienfeststellung der Polizei. Doch ob man wie im Flugblatt der Bürgerinitiative ein so ungebrochenes "wir" aus "Anwohner/innen" konstruieren kann, ist spätestens seit der Anhörung im Postbahnhof fraglich. Auf jeden Fall zierte den Bauzaun schon am hellen Mittag das Graffiti "O2-World = Media Spree versenken = NO?". "Media Spree" ist der Zusammenschluss aller Investoren, die zwischen Jannowitz- und Oberbaumbrücke bauen wollen. Tatsächlich aber sitzen viele auf ihren teuren Grundstücken und verschieben Jahr für Jahr den Baubeginn, weil für ihre teuren Luxusbauten keine Nachfrage in Sicht ist.

Wahrscheinlich wird die AEG über ein ähnliches Problem stolpern. In Mitteleuropa gibt es einfach zu wenig Nachfrage nach diesem US-amerikanischen Stil von Unterhaltungsindustrie - desinteressiert werden die Berliner/innen wohl einfach zu Hause bleiben. Wie bei der US-amerikanischen Supermarktkette "Wal-Mart", die ebenfalls den deutschen Markt aufrollen wollte. Nach wenigen Jahren war sie pleite und musste vor kurzem verkaufen.

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 318