MieterEcho 318/Oktober 2006: Protest gegen den weiteren Verkauf von öffentlichem Wohnungsbestand

MieterEcho

MieterEcho 318/Oktober 2006

Quadrat PRIVATISIERUNG

Protest gegen den weiteren Verkauf von öffentlichem Wohnungsbestand

Bündnis will in Nordrhein-Westfalen Privatisierung von 100.000 Wohnungen verhindern

Sebastian Müller

Im Koalitionsvertrag hat sich die neue schwarz-gelbe Landesregierung von Nordrhein-Westfalen geschworen: Wir werden die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) mit ihren 103.000 Wohnungen verkaufen. Und zwar sofort und aus "ordnungspolitischen Gründen". Die meisten der von dem Verkauf betroffenen Wohnungen liegen in den Arbeiterwohnbezirken des Ruhrgebiets. Aber sozialpolitische Gründe, die für Wohnungsbesitz in öffentlicher Hand sprechen, sind der neuen Regierung offensichtlich völlig egal.

Mittlerweile betreibt der Wohnungsbauminister von NRW, Oliver Wittke (CDU), die Bewertung der Wohnungen. Gutachten der Bankhäuser Salomon Oppenheimer und der Westdeutschen Landesbank sollen klären, wie viel die Wohnungen Wert sind und wie sie verkauft werden können, um dabei am meisten herauszuschlagen. Entweder alles auf einmal durch den Verkauf des gesamten Unternehmens LEG oder stückweise in Form von kleineren Paketverkäufen. Die möglichen Käufer stehen schon in den Startlöchern, darunter der englische Private-Equity-Fonds Terra Firma, der bereits in den letzten beiden Jahren fast 250.000 Wohnungen aus öffentlichem Besitz in Deutschland zusammenkaufen konnte und hierzulande unter dem Namen "Deutsche Annington" firmiert. (Die "Deutsche Annington" kaufte unter anderem 2001 65.000 Eisenbahnerwohnungen und im Sommer 2005 die Viterra, mit 138.000 Wohnungen eines der größten deutschen Wohnungsunternehmen. Das MieterEcho berichtete u.a. in Nr. 314, die Red.)

Abstimmung bei der Landtagswahl in NRW wird angestrebt

Es soll also noch in diesem Jahr mit dem Verkauf ernst werden. Um dies zu verhindern, hat sich in Nordrhein-Westfalen ein Bündnis gegen den Verkauf gebildet, das jetzt eine sogenannte Volksinitiative auf den Weg bringen will, für die zurzeit Unterschriften in den Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens gesammelt werden. Die Volksinitiative kann mit 66.000 gültigen Unterschriften erzwingen, dass sich der Landtag von Nordrhein-Westfalen wenigstens mit ihren Forderungen befasst. Die Forderungen beinhalten unter anderem, dass "Landtag und Landesregierung die Bedeutung öffentlicher Wohnungsunternehmen für Daseinsvorsorge, Gemeinwesenentwicklung und Arbeitsplätze feststellen", dass "weder die Wohnungen der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) noch die Landesbeteiligung an der LEG, noch Beteiligungen der LEG an anderen Wohnungsgesellschaften" verkauft werden dürfen, dass die Kündigungssperrfristverordnung vom 20.04.2004 nicht aufgehoben werden darf, sondern sich hingegen "für hohe soziale Standards in Mieterschutz und Wohnraumförderung" einzusetzen ist. Denn auch an der Kündigungssperrfristverordnung will die CDU/FDP-Landesregierung drehen. Sie will den Kündigungsschutz für Mieter/innen im Fall von Privatisierungen auf die gesetzlich zwingenden drei Jahre absenken. Zurzeit gilt in NRW eine verlängerte achtjährige Kündigungssperrfrist.

Im Bündnis gegen die Privatisierung sind viele Schwergewichte versammelt: Deutscher Mieterbund, SPD Landesverband, Deutscher Gewerkschaftsbund Bezirk NRW, kleinere Gruppierungen wie die Landesarbeitsgemeinschaft der LEG-Mieterbeiräte, die Arbeitsgemeinschaft der Mietervereine Bochum, Dortmund, Witten, Mietergemeinschaft Essen, Verdi NRW Fachbereich 13, Betriebsräte der LEG NRW und die Landesverbände von B 90/Grüne und Linkspartei/WASG. Das Bündnis ist darüber hinaus auf lokaler Ebene um örtlich verankerte Aktivist/innen erweitert. Bereits Anfang September war ungefähr die Hälfte der Unterschriften zusammen. Ungefähr Mitte Oktober soll die Unterschriftensammlung bei der Landesregierung abgegeben werden, genau dann, wenn auch die Bankgutachten auf dem Tisch liegen. Die Unterschriftensammlung wird von diversen Mieteraktionen und Veranstaltungen begleitet.

Bedeutung weit über NRW hinaus

Ein Verkauf der LEG etwa an die Deutsche Annington wäre von größter wohnungspolitischer Bedeutung, weit über Nordrhein-Westfalen hinaus. Die Deutsche Annington ist schon heute der größte europäische Vermieter von Wohnungen - und ziemlich sicher auch der größte Wohnungshändler. Ein Private-Equity-Fonds kann mit dem reinen Vermietungsgeschäft weder die Gewinnerwartungen seiner Anleger stillen noch auf dem internationalen Kapitalmarkt konkurrenzfähig sein. Er wird "Dollar, Dollar, Dollar" vor Augen haben und als Heuschrecke mit seiner erdrückenden Finanzkraft die Prinzipien einer sozialen Bewirtschaftung der Wohnungen aushebeln, also Belegschaften ausdünnen, Mieten erhöhen, Mietrückstände eintreiben und Modernisierung und Instandhaltung zurückstellen, wo das nicht verkaufsfördernd ist. Nicht nur Berliner/innen haben damit schon böse Erfahrungen machen müssen, auch wenn noch nicht auffällig mehr Mietparteien aus den Beständen der Fonds vertrieben worden sind.

Monopolbildung durch Komplett- und Paketverkäufe

Fallen die LEG-Wohnungen in die Hände der Fonds, geht der letzte große, zusammenhängende öffentliche Wohnungsbestand Deutschlands an sie. Danach gibt es nur noch die kleineren kommunalen Wohnungsgesellschaften. Auf der anderen Seite entsteht ein Monopolist. Und in Nordrhein-Westfalen ballt sich ein Fonds, der - mit Auswirkung auf ganz Deutschland - in der Lage sein wird, die Wohnungsmärkte stark zu beeinflussen, Spekulationsblasen zu erzeugen und auch die Dienstleistungen rund um das Wohnen zu kontrollieren und Preise zu diktieren. Darüber hinaus wird im politischen Raum diejenige Lobby gestärkt werden, die den deutschen sozialen Mieterschutz am liebsten beseitigt sehen würde und staatliche Wohnungspolitik und Wohnungsbauförderung als Sozialpolitik endgültig auf den Misthaufen der Geschichte schaffen will.

Ziele des Aktionsbündnisses:

Kampagnenbüro der Volksinitiative

c/o Mieterverein Bochum
Tel.: 0234 - 961 14 34
E-Mail: info @ volksinitiative-leg.de
http://www.volksinitiative-leg.de

Autor:

Sebastian Müller, geb. 1940 in München. 1969 Promotion zum Dr. phil. an der Ruhruniversität Bochum. Seitdem an der Fakultät Raumplanung der Universität Dortmund beschäftigt, seit 1988 als Dozent für das Fach Soziologische Grundlagen der Raumplanung. Arbeitsschwerpunkte: Planungstheorie, Politik und Planung, Soziologie der Globalisierung.

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